„Cris Tales“: Zwischen Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft
Ein liebevoll gemachtes JRPG mit besonderem Gameplay-Kniff
Dass das Herumspielen mit der Zeit eigentlich keine gute Idee ist, wissen wir nicht erst seit Star Trek oder Zurück in die Zukunft. Dennoch passiert und fasziniert uns dieses Phänomen gerade aufgrund seiner „Probleme“ beim Eingriff in die vermeintlich feste Zeitkontinuität bis heute immer wieder in zig Erzählungen, sodass es auch kein Wunder ist, wenn sich gerade Games (man denke beispielsweise an das klassische Rollenspiel Chrono Trigger oder die Adventure-Reihe Life is Strange) mit dem Thema auseinandersetzen. Eine besonders innovative Art, mit Zeitmanipulation umzugehen, findet sich im JRPG Cris Tales, das seit Mitte Juli für alle Konsolen und PC zum Preis von rund 40 Euro in den Shops steht. Denn in Cris Tales haben wir jederzeit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in Echtzeit vor Augen und müssen sowohl im Verlauf der Story wie den Kämpfen mit dieser ungewohnten Einsicht hantieren.
Zusammengehalten wir dieses spannende Feature von der Protagonistin Crisbell, die bereits kurz nach Beginn der gut 25 Stunden Spielzeit erkennen muss, dass das Schicksal etwas Besonderes mit ihr vorhat. Denn das schüchterne Mädchen, das in der Obhut eines Waisenhauses aufwuchs, wird eines Tages – man denke an das weiße Kaninchen aus Alice in Wunderland – von einem sprechenden Frosch namens Matias darauf aufmerksam gemacht, dass sie eine Zeitmagierin ist und in die Zeit eingreifen kann. Crisbell (und damit wir) sehen das Geschehen daraufhin stets dreigeteilt, wobei links am Bildschirm die Vergangenheit, in der Mitte die Gegenwart und rechts die Zukunft zu betrachten ist. Gehen wir folglich etwa an einem Haus oder Personen vorbei, können wir dessen Zustände in den jeweiligen Zeitstufen betrachten und unseren sympathischen Begleiter Matias sogar via simpler Eingabe dazu aufrufen, sich in einer der Stufen als kleiner Rätsellöser nützlich zu machen.
Gemeinsam mit Matias und weiteren Mitstreitern, die sich unserer Party anschließen, erleben wir ein sehr typisches, bisweilen ungeheuer naives bis zuckriges Abenteuer, welches aufgrund seiner kindgerechten Erzählart wohl vor allem jüngere Spieler anspricht. Im Kern geht es um übliche Themen wie Freundschaft, Verantwortung und natürlich den Kampf gegen eine zunächst übermächtig scheinende Bedrohung, die nur Crisbell mithilfe ihrer Fähigkeiten besiegen kann. Speziell der Einstieg gestaltet sich dabei zäh, denn jeder Bildschirmwechsel innerhalb der sehr überschaubaren Areale fordert eine längere Ladezeit (zumindest auf der von uns verwendeten PS4-Version) und auch die Spielstruktur weist schnell Längen auf. Die gestaltet sich nämlich meist so: Suche eine Nebenfigur, sprich (sehr) kurz mit ihr, gehe dann zurück zu einer anderen Figur, sprich wieder (sehr kurz) mit ihr, nimm einen Gegenstand auf, bringe diesen an einen bestimmten Ort und spricht wieder mit einer Figur, bei der du eben schon warst usw. Sorry liebe Entwickler, aber das ist einfach oft viel zu dünn und unnötig langatmig. Dass das besser geht, haben Genrekollegen schon zigfach nachgewiesen.
Was schon auf dieser Ebene nach abgedroschener Genrekost klingt, erhält durch die oft unspektakuläre Handlung, die eher triste Weltkarte und die überstrapaziert klischeehaften Charaktere weitere Abzüge. Hätte man die Dialoge etwas tiefer und weniger kurzphrasig angelegt, wäre speziell zu Beginn mehr Stimmung bei uns aufgekommen. Allerdings muss man Cris Tales zugutehalten, dass es mit der Zeit bei Story und Figuren etwas anzieht und wir nicht nur das Gefühl hatten, bis zum leider zu knappen Finale konstant Schema F zu spielen. Das liegt vor allem daran, wie gut die Zeitmanipulation in unser Handlungsrepertoire und die Story eingebunden ist. Denn Crisbell muss sich mehrfach zwischen verschiedenen Optionen entscheiden, ob sie etwa mit begrenzten Ressourcen lieber dieses oder jenes Haus für die Zukunft eines Dorfes retten will. Da wir sehen, was die Zukunft bringt (bzw. die Vergangenheit brachte), fällt die Wahl nicht immer leicht und hat kleinere Auswirkungen auf das Geschehen, das im Übrigen mit optionalen Nebenaufgaben weiter positiv aufgelockert wird.
Abseits der Story und der Erkundung von Städten und der Weltkarte bringen wir die meiste Zeit natürlich in den Dungeons zu, wo wir uns mit unserer Party auch gerne mal richtig putzigen Gegnern stellen müssen. Die leider sehr häufigen Zufallsgefechte, die uns für heutige Spielgewohnheiten viel zu oft aufhalten, laufen ganz klassisch in Runden ab. Wir sehen stets die Reihenfolge unserer Kämpfer- und Gegnerzüge und können dann aus typischen Aktionen wie Angriff, Verteidigung, Einsatz von Items, Magie oder Flüchten wählen. Um etwas mehr Würze in die teilweise recht fordernden Schlachten zu bringen, können wir mit passendem Buttontiming sowohl Angriffe wie Abwehraktionen verstärken und Gegnern, wie bereits angedeutet, mittels Zeitmanipulation zusetzen.
Letzteres verlangt uns eine ordentliche Prise Taktik bzw. Überlegung ab. Zu Beginn des Abenteuers müssen wir beispielsweise ein unüberwindliches Schild eines Endgegners zunächst mit Wasserzauber belegen und dann den Zukunftszauber einsetzen, um das Schild folglich rostig werden zu lassen und es folglich überwinden zu können. So simpel (und vor allem direkt vorgegeben) werden die taktischen Kniffe natürlich nicht mehr, wobei man Cris Tales jedoch positiv anrechnen muss, nicht nur beim Einsatz der Zeitmanipulation innerhalb der Kämpfe im Nachhinein nachvollziehbar zu sein – von den obligatorischen, immer wieder auch hier offensichtlichen Logikproblemen beim Umgang mit strikt vorgegebenen Konsequenzen aus dem Umgang mit Zeitachsen mal abgesehen.
Speziell die Endbosse haben es wirklich in sich, sorgen aber dafür umso mehr für ein befriedigendes Spielgefühl, wenn man ihren Schwachpunkt herausgefunden hat, indem man beispielsweise mittels Zeitmanipulation die Wirkung eines Giftes beschleunigt hat und das vielleicht zuvor etwas zähe Duell so nun fast spielend leicht für sich entscheidet. Wichtige Randnotiz: Kämpfe erwarten Crisbell nur in den Dungeons und nicht auf der Weltkarte. Dort kann auch jederzeit gespeichert und sich in Shops in verschiedenen Locations für das notwendige, wenn auch nicht übertrieben lange Grinding früherer 8- oder 16-Bit-Tage zum Aufleveln unserer Party weiter gerüstet werden.
Was Cris Tales ganz offensichtlich ebenfalls neben seiner Zeitmechanik hervorstechen lässt, ist natürlich der bezaubernde Grafikstil, der wie ein Bilderbuchmärchen zum Selberspielen anmutet. Die sehr expressive Farbwahl sowie der generell animehafte Look der (übrigens solide vertonten) Figuren sind eine echte Augenweide und zeigen selbst in Bewegung ihre ganze Animationspracht. Hier bedienten sich die Entwickler eines cleveren Tricks, indem die 2D-Ansicht leicht gekippt wurde, um Tiefe zu erzeugen und Crisbell so mehr Bewegungsfreiheit in den eng abgesteckten Gebieten zu gewähren. Verlaufen ist daher nie ein Problem und auch die Menüs gestalten sich nach etwas Einübungszeit praktikabel und nicht zu überladen. Der orchestrale Soundtrack, der mehrfach an Genregrößen wie Final Fantasy erinnert, sorgt zusätzlich für die richtige Japano-Atmosphäre und bis auf die eben leider nervig langen Ladezeiten gibt es auf der technischen Ebene nichts zu meckern.
Fazit
Vor allem grafisch ansprechende Hommage an klassische Rollenspiele made in Japan, bei der die gut implementierte Zeitmechanik über einige deutliche Schwächen (Erzählweise und Zufallskämpfe) hinwegtröstet.
Cris Tales • Dreams Uncorporated/SYCK • JRPG • PS4/PS5/Xbox One/Xbox Series X/Switch/PC
Abb. © Modus Games
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