2. März 2021

„The Medium“: Zwei-Realitäten-Horror mit Niveau

Bloober Teams erstes Nextgen-Abenteuer entpuppt sich als gehaltvolle Hommage an „Silent Hill“

Lesezeit: 5 min.

Die Verbindung war auf den ersten Blick sonnenklar. Wer sich an die grandiosen Gitarrenklänge von Akira Yamaoka speziell in Silent Hill 2 (seinerzeit auf PS2 erschienen) erinnert, konnte bei Yamaokas Beteiligung am Horror-Adventure The Medium schon allein aufgrund der Genreüberschneidung erneut eine markante Sounduntermalung erahnen, die den Titel aus der Masse hervorstechen lässt. Dass die Erwartungen an den japanischen Gamekomponisten im finalen Ergebnis alles andere als enttäuscht wurden und uns mit Bloober Teams The Medium tatsächlich seit ein paar Wochen ein echtes Gruselhighlight für die neue Xbox Series X und den PC vorliegt, liegt aber nicht nur an dieser und so manch weiterer Reminiszenz an die berühmte Silent Hill-Reihe mit ihren weniger actiongeladenen, in ihren besten Momenten ungemein subtil psychologischen Untertönen. Denn speziell mit seiner Splitscreen-Mechanik, mit der wir in zwei Realitäten gleichzeitig unterwegs sind (wir berichteten), hat The Medium ein klug eingesetztes wie eigenständiges Gruselfeature im Köcher, das in mehrfacher Hinsicht überzeugt.

In den rund 10 Stunden, die wir mit der Storykampagne von The Medium verbringen, sind wir als Marianne unterwegs. Die übersinnlich begabte junge Frau kann nicht nur mit Geistern und anderen Entitäten kommunizieren, sondern verfügt dazu über die eben genannte Fähigkeit des Wandelns in zwei Realitäten und der Wahrnehmung von (meist verstörenden) Visionen. Eine davon lässt sie den brutalen Mord an einem Kind an einem See nacherleben, was neben einem paranormalen Hilferuf eines gewissen Thomas dazu führt, dass sich Marianne zu einem längst verlassenen ehemaligen Familienressort begibt. Dieses befindet sich spannenderweise im polnischen Krakau und wurde offenbar Schauplatz eines grausamen Massakers. Vor dem historischen Hintergrund der 90er-Jahre markiert das Ressort den Hauptschauplatz des Alptraums, den wir mit unserer Protagonistin zunehmend erleben.

Den Entwicklern gelingt es vom Start weg vorzüglich, Spieler in den Bann ihres sinisteren Settings zu ziehen. Speziell der Verfall der Anlage kommt in vielen Details perfekt zur Geltung und sowohl die teilweise fest vorgegebenen Kamerapositionen als die dezent unheimliche Lichtstimmung evozieren eine konstant schaurige Atmosphäre. Spätestens dann, wenn wir auf ein kleines Mädchen mit Porzellanmaske und fehlendem Arm treffen und in den düsteren Gängen des ehemaligen Ressorts so manches Knirschen ohne lokalisierbaren Auslöser um uns vernehmen, ist es sicher um jeden Genrefan schon geschehen – aber nur dann, wenn man nicht plötzlich durch Fensterscheiben springende Zombiehunde oder angreifende Riesenspinnen erwartet.

Glücklicherweise spielt Bloober diesen Trumpf auch nahezu über die gesamte Spielzeit aus und verhunzt das sich langsame Hervortasten Mariannes nicht mit billigen Jump Scares oder richtig plumpen Terroreinlagen. Im Kern unterteilt sich das Gameplay in Erkunden, Rätseln und Verstecken, wobei die meist sehr simplen Knobeleinlagen den Spielfluss höchstens verzögern anstatt ihn dauerhaft aufzuhalten. Da will mal ein Stromkreis wieder in Betrieb genommen, eine Uhr richtig eingestellt oder ein alternativer Weg gefunden werden, doch richtige Kopf- oder Suchnüsse erwarten uns hier eigentlich nicht.

An der Rätselfront macht sich das Zwei-Realitäten-Feature übrigens mit am stärksten bemerkbar. Wenn wir beispielsweise in der einen Realität nicht weiterkommen, gilt es meist, sich in der anderen an gleicher Stelle genauer umzuschauen, um dann etwa eine Tür zu öffnen, die dann auch in der zweiten Realität offensteht. Eine spielerisch vermeintlich einfache, aber oftmals atmosphärisch clever eingesetzte Art, um für Gänsehautmomente zu sorgen (Stichwort Durchgänge aus Haut).

Der Schwerpunkt auf Erkundung und Rätsel bedeutet allerdings nicht, dass keine akute Gefahr für Marianne drohen würde. Die ist etwa in Gestalt eines Dämons auf unserer Fährte, der „netterweise“ ebenfalls zwischen den Realitäten wechseln und uns so auf verschiedene Art gefährlich werden kann. Denn in der „echten“ Realität können wir ihn mit Ausnahme des Einsatzes einer allerdings sehr begrenzten Detektivsicht nur hören und nicht sehen. Zum Glück verfügt unsere Heldin noch über ein paar weitere Fähigkeiten wie ein Schutzschild, mit dem sich Gefahren wie der Dämon (oder auch allzu gefräßige Motten) zumindest einigermaßen von uns fernhalten lassen. Mit per Knopfdruck angehaltener Luft Herumschleichen und möglichst keine Geräusche zu machen, heißt hier also die Hauptdevise, wobei sich Marianne leider etwas arg sperrig steuert und es so, oftmals ungewollt, aber auch gelegentlich vom Spielverlauf vorgegeben, zu unerwünscht frickeligen Verfolgungsjagten kommt, die in dieser Form sicher technisch vermeidbar gewesen wären.

Doch auch hier sei nochmal betont: The Medium ist kein Actiongame und die Begegnungen mit akuten Gefahren wie dem Dämon halten sich in Grenzen. Wie jeder gut gemachter Horror, spielt uns unsere eigene Angst oft genug einen Streich und gerade das ist einer der Gründe, warum man das Ressort am liebsten schon an 1-2 Abenden erschließen und hinter die Geheimnisse des sogar storytechnisch sehr wendungsreich geplotteten Abenteuers kommen möchte. Speziell zum Schluss bietet The Medium noch eine faustdicke Überraschung und das Settings gestaltet sich abwechslungsreicher als es zunächst scheint.  

Als weiterer Pluspunkt geht dazu eindeutig Marianne durch. Bereits zu Beginn steht mit dem Tod ihres Vaters ein nicht unerheblicher Charakterzug ihrerseits im Fokus und auch in der Folge bildet ihre Figur weit mehr ab als nur einen bloßen Platzhalter ohne Tiefe. Diesen Eindruck unterstützen die hervorragend vertonten Dia- und Monologe (Englisch mit wahlweise deutschen Untertiteln) wie ebenso die insgesamt saubere, wenn auch im oft erst nachladenden Texturdetail nicht immer brillante Technik (wir spielten auf PC) und der sehr faire Schwierigkeitsgrad inklusive vieler frustfrei gesetzter Checkpoints. Bloober, das ja bereits mit Titeln wie Layers of Fear oder Blair Witch viel Erfahrung im Horrorbereich gesammelt (und dabei ähnliche „Panzersteuerungen“ wie bei Marianne bereits verbockt) hat, bringt seine Kompetenz mit The Medium insgesamt auf ein neues Level. Denn anders als in ihren früheren Erzeugnissen, stimmen neben den bereits erwähnten Vorzügen sowohl Abwechslung wie Erzählrhythmus, sodass es keine echten Längen gibt und selbst die leider sehr hakelige Steuerung nicht allzu schlimm ins Gewicht bei der Gesamtbeurteilung fällt.

Wer also bereit ist, für ein nicht allzu langes, aber definitiv nachhallendes Phantastikerlebnis aktuell gut 45-50 Euro auszugeben (oder das Game Pass-Abo von Microsoft zu nutzen und so The Medium schon in dessen Portfolio vorfindet), ist hier definitiv – und nicht nur aufgrund des Soundtracks – an der richtigen Gruseladresse.

Fazit

Bloobers stimmig komponierter Alptraum fesselt mit genialer Atmosphäre, gutem Storytelling und ausgereiftem Schauer, geizt allerdings in spielerischer Hinsicht mit dem letzten Feinschliff.

The Medium • Bloober Team • Horror-Adventure • PC/Xbox Series X

Abb. © Bloober Team

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