Planetenhopping mit Stil
„The Outer Worlds“: Die unerwartete Sci-Fi-Rollenspielhoffnung
Und manchmal passiert es dann doch … Es kommt ein Spiel daher, das man innerlich eigentlich vernachlässigt und quasi übersehen würde, wenn man, wie in meinem Fall, es nicht besprechen würde, ohne genau den Finger drauf legen zu können, warum überhaupt ein Desinteresse besteht. Vielleicht ist es eine langsame Open-World-Müdigkeit oder der Überdruss an ausufernden Spielen, die 40h+ abverlangen. Dabei steht für mich doch alles auf positiver Alarmbereitschaft. Entwickler: Obsidian Entertainment. Hallelujah. Co-Directors: Tim Cain und Leonard Boyarsky („Fallout“, „Vampire - The Masquerade - Bloodlines“). Sign me up, please! Besser wird es nicht! Und gerade in dieser scheinbaren Lücke des Herzens wurmt es sich rein, setzt die Saat und gedeiht zu einem wahren Herzensbrecher. „The Outer Worlds“ sollte nicht nur auf jeder Liste eines RPG-Liebhabers stehen, sondern stellt sich sogleich als eines der ausgeklügeltsten Vertreter des Genres seit einiger Zeit heraus.
Wir setzen in einer weit entfernten Parallel-Zukunft ein, die Menschen verbreiten sich im Sonnensystem, die alte, sterbende Heimat hat man lange hinter sich gelassen. Deren letztes Lebenszeichen hat man vor Jahren – ohne Rückmeldung – vernommen, während die hellsten und klügsten Köpfe der Erde im eisigen Tiefschlaf im Inneren der „Hoffnung“ verweilen, einer Art Arche und Kolonieraumschiff, das zu allem Übel seit Jahrzehnten verloren ging. Megakonzerne beeinflussen das menschliche Leben bis ins kleinste Detail und terraformen außerirdische Planeten – von variierendem Misserfolg gekrönt. Hier wird der Spieler am Rande der menschlichen Kolonien vom exzentrischen, gesetzlosen Wissenschaftler Phineas Welles aus dem Cryoschlaf, in der von ihm wiederentdeckten „Hoffnung“ gefunden, erweckt und sogleich zur Rettung eingefrorenen Kolonisten, ja gar aller Kolonien, entsandt. Um dies zu bewerkstelligen kreuzen zunächst allerdings etliche moralische Zwiespälte den Weg des Spielers, neben einer Vielzahl räuberischer Banden, gefräßigen außerirdischen Ungetümen, um Aufmerksamkeit ringender Fraktionen und Konzerne und einer großen Priese schwarzen Humors.
Zu Beginn des Spiels wählt man zwischen diversen Neigungen der Figur: In drei Kategorien unterteilt („Körper“, „Verstand“ und „Persönlichkeit“) wird festgelegt, wie stark, ausdauernd, intelligent, scharfsinnig, charmant und temperamentvoll die eigene Figur wird. Diese Festlegung ist für die daraus resultierenden passiven Fähigkeiten entscheidend, die besonders bei den Dialogen und Questlösungsansätzen später Früchte tragen werden. Aber selbstverständlich hat die Attributwahl auch sofort griffigeren Einfluss auf Lebenspunkte, die Tragekapazität, den angerichteten Schaden mit diversen Waffen, sowie die Chance auf kritische Treffer, oder die Chance Schlösser zu knacken, unentdeckt zu schleichen, in Gesprächen überzeugend zu sein oder mit einer Lüge durchzukommen, oder Computer zu hacken. Es macht sich schon bei dieser Aufzählung bemerkbar, dass „The Outer Worlds“ ein RPG darstellt, das auf unterschiedlichste Arten spielbar ist. Wovon übrigens kein Lösungsansatz zu kurz kommt. Wer sich lieber auf redegewandte Art durch die Quests züngelt, kommt genauso gut voran, wie der brachiale, dumpfe Barbar. Der übrigens durch den „Dummheitsfaktor“ bei niedriger Intelligenz in Dialogen aberwitzige, „clevere“ oder schlichtweg geniale, einzigartige Lösungsansätze der Entwickler von Obsidian geliefert bekommt. Hier natürlich immer mit einem Augenzwinkern und einer großen Priese ausgefallenem Humors. Obsidians Autorenteam lässt wirklich jeden Spieler „The Outer Worlds“ in vollen Zügen genießen, egal, wie die eigene Präferenz nun aussehen mag, und keine Spielweise kommt zu kurz oder lässt einer anderen den Vortritt.
Wenn wir schon bei der Spielweise sind, folgen natürlich im Stechschritt die Quests: Hier brilliert „The Outer Worlds“ mit einer großen Vielfalt an reaktiven Quests, multiplen und gar äußerst kreativen Lösungswegen für die meisten der etlichen Aufgaben. Gleich zu Beginn trifft der Spieler in der ersten Siedlung Emerald Vales auf einen neurotischen Verschwörungstheoretiker, der glaubt, dass die Maschinen und Roboter den Untergang der Kolonisten planen. In diversen kleinen Quests schickt er den Spieler aus, um Besorgungen zu machen und sich eines vermeintlichen Roboterspions anzunehmen. Am Ziel angekommen kann man natürlich sofort den harmlos wirkenden Roboter zu Schrott verarbeiten, oder – bei gegebener Attribut- und Skillsetzung – mit ihm reden und ihn gar reparieren. Beides gibt Erfahrungspunkte und entlohnt gerecht. Und in beiden Fällen hat man sich des Problems angenommen, für den paranoiden Aluhut-Träger. Den Roboter zu verschonen und gar zu reparieren schlägt ungeahnte Wellen, der in einer deutlich späteren Quest nochmals auftauchen könnte, wenn man alles richtig anstellt. Dabei handelt es sich bei dieser Questline bloß um eine simple kleine Nebenaufgabe.
Die späteren Quests sind noch weitaus reaktiver und üben eine Synergie aufeinander aus, die man häufig nicht kommen sieht. Darum ist es gar ausdrücklich zu empfehlen, „The Outer Worlds“ mit unterschiedlichsten Charakter-Entwicklungen zu spielen, denn jeder Spielverlauf könnte ganz anders aussehen. Wenn man sich gar dazu entschließt bis zu zwei der sechs unterschiedlichen NPC-Begleiter mit auf Reise zu nehmen, geben diese nicht nur Boni im Kampf und in den Dialogen, sondern beratschlagen tatkräftig in Eigeninitiative während der Quests. So lässt sich beispielsweise besagter Roboter auch durch Parvatis Ingenieurskunst flicken, sobald die fröhlich-quirlige Handwerkerin im Team ist. Allerdings sollte man sich auch bewusst sein, dass nicht alle Crewmitglieder mit jeder Entscheidung zufrieden sein werden – auch wenn sie auf dem Schiff warten, während der Spieler ohne sie den planetaren Richter spielt. Hier stellt sich „The Outer Worlds“ als Münze mit zwei Seiten heraus. Die Partymitglieder wie der fluchende, ehemalige Gefängnisinsasse und Vikar Max, der umgemodelte „Säuberungs“-Droide SAM und punkige Ellie stellen sich als vielschichtige oder schlichtweg unterhaltsame Figuren heraus, während die bereits genannte Parvati, Witzbold Felix und die stets auf einem Drink versessene Nyoka eher blass bleiben, oder schlicht weg nur dazu da sind, eine Spielergruppe zu bedienen. Das wird besonders bei der eigentlich liebreizenden Parvati deutlich, die nichts anderes vorweisen kann, als eine verliebte, schüchterne, asexuell-lebische junge Frau zu sein. Ihre ellenlange Begleiter-Quest dreht sich bloß um eine aufblühende Romanze, während der Parvati überraschend blass und stereotypisch bleibt, trotz vieler „moderner“ und tiefschürfender Thematiken, wie ihre erblühende Liebe, ohne den Wunsch nach Körperlichkeit. Ebenso bei Felix und Nyoka fühlen sich alle drei Figuren eher nach einer To-Do-Liste an, damit auch jeder politisch-korrekt zufrieden sein kann, als nach wirklich ausgearbeiteten Figuren. Nützlich bleiben die Figuren dank ihrer Skills, Begleiterfähigkeiten und passiv an den Spieler vermittelten Wertsteigerungen aber dennoch.
Es wird unvermeidlich der hinkende Vergleich gezogen werden müssen, auch wenn ich mich dagegen wehre: „The Outer Worlds“ sollte jeden vertriebenen „Fallout“-Spieler glücklich stimmen, gerade diejenigen, die bereits seit dem ersten „Fallout“ mit an Bord sind und sich bei Bethesda nicht gut aufgehoben fühlen. Das bereits von Obsidian Entertainment entwickelte „Fallout: New Vegas“ gilt nicht umsonst als das beste „Fallout“ seit „Fallout 2“, was sich natürlich darin bemerkbar macht, dass Obsidian aus alten „Fallout“-Haudegen besteht und „The Outer Worlds“ von zwei der „Fallout“-Schöpfer generiert wurde. Allerdings ist „The Outer Worlds“ weitaus mehr als ein bunteres „Fallout“. Die Entscheidungsfreiheiten sind deutlich vielschichtiger und bieten viel mehr rollenspielerische Entfaltung, als im Falle von beispielsweise „Fallout 4“, und auch das gesamte Skill- und Dialogsystem ist ausgereifter und erinnert in gewissen Punkten an „New Vegas“, übertrifft dieses aber um eine ganze Spur. Auch der Fokus auf die eventuell freigeschalteten Begleiter hebt „The Outer Worlds“ deutlich hervor und ist inzwischen nicht nur für Obsidian ein unerwarteter Verkaufsschlager geworden, sondern sollte unbedingt als Anwärter für das „Game of the Year“ zumindest in Betracht gezogen werden.
„The Outer Worlds“ ist seit dem 25. Oktober 2019 für PC, XBox One und PS4 erhältlich. Eine Nintendo-Switch-Version soll noch 2020 folgen.
The Outer Worlds • Obsidian Entertainment • RPG/Shooter • PC/ Xbox One/PS4
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