1. Juni 2015 1 Likes

Suchscheinwerfer

Robert A. Heinleins Kurzgeschichte gibt es jetzt exklusiv und gratis auf diezukunft.de zu lesen

Lesezeit: 8 min.

Spätestens in den Fünfziger- und Sechzigerjahren, als das Rennen zum Mond in vollem Gange war, kam kaum eine Story mehr ohne eine Mondbasis aus. Unser Trabant war das Ziel, auf das sich aller Augen richtete, und das Errichten einer permanenten Kolonie, die bis in die fernste Zukunft Bestand haben würde, war zentraler Baustein unzähliger Geschichten und Romane. Einer der prominentesten Fürsprecher war Robert A. Heinlein, in dessen Mondbasen gerne der Teufel los war, wie nicht zuletzt sein Roman Mondspuren (im Shop) unter Beweis stellt. Ein ganz anders gelagertes Problem hat die blinde Ausnahme-Pianistin Elizabeth Barnes in Heinleins Kurzgeschichte „Suchscheinwerfer“ aus Heinleins wegweisender Sammlung Die Geschichte der Zukunft (im Shop), die es auch in unserem Shop als exklusiven Gratis-Download gibt. Barnes macht sich nach ihrem Konzert in Tycho Basis mit einem automatisch gesteuerten Fahrzeug auf zur dunklen Seite des Mondes, um die dort stationierten Männer und Frauen zu unterhalten. Doch auf dem Weg nach Farside Hardbase verschwindet ihr Schiff von den Radarschirmen, und eine beispiellose Suchaktion beginnt …

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Suchscheinwerfer

»Wird sie Sie hören?«

»Ja, wenn sie sich auf dieser Seite des Mondes befindet. Wenn es ihr gelungen ist, das Schiff zu verlassen. Wenn ihr Anzugfunkgerät nicht beschädigt ist. Wenn sie es angestellt hat. Wenn sie noch lebt. Da das Schiff stumm und kein Radarsignal zu entdecken ist, halte ich es für unwahrscheinlich, dass sie oder der Pilot mit dem Leben davongekommen ist.«

»Sie muss unbedingt gefunden werden! Bleiben Sie auf Empfang, Meridian-Raumstation! Tycho-Basis, melden Sie sich!«

Die Antwort verzögerte sich um drei Sekunden, Washington-Mond und zurück. »Mondbasis, kommandierender General.«

»General, schicken Sie jeden Mann auf dem Mond auf die Suche nach Betsy!«

Die durch die Lichtgeschwindigkeit hervorgerufene Verzögerung ließ die Antwort missmutig klingen. »Sir, wissen Sie, wie groß der Mond ist?«

»Das spielt keine Rolle! Betsy Barnes ist dort irgendwo – und deshalb müssen alle nach ihr suchen, bis sie gefunden ist. Sollte sie tot sein, wäre auch Ihr großartiger Pilot tot besser dran!«

»Sir, der Mond hat beinahe fünfzehn Millionen Quadratmeilen. Wenn ich jeden Mann einsetze, den ich habe, müsste jeder über tausend Quadratmeilen absuchen. Ich hatte Betsy meinen besten Piloten gegeben. Ich werde mir keine Drohungen gegen ihn anhören, solange er nicht darauf antworten kann. Von niemandem, Sir! Ich habe es satt, mir von Leuten, die die lunaren Bedingungen nicht kennen, sagen zu lassen, was ich tun soll. Mein Rat, Sir, der Rat, den ich Ihnen als kommandierender General gebe, ist, dass Sie es die Meridian-Raumstation versuchen lassen. Vielleicht können die Leute dort ein Wunder wirken.«

»Nun gut, General!«, lautete die scharfe Antwort. »Mit Ihnen spreche ich später. Meridian-Station! Erstatten Sie Bericht über Ihre Pläne!«

 

Elizabeth Barnes, das blinde Wunderkind am Klavier, war auf einer Konzerttournee auf dem Mond gewesen. Nachdem sie ihr Publikum in Tycho-Basis begeistert hatte, startete sie mit einer Jeep-Rakete nach Farside Hardbase, um unsere einsamen Raketenmänner hinter dem Mond zu unterhalten.

Sie hätte in einer Stunde dort sein sollen. Ihr Pilot war für seine Verlässlichkeit bekannt; Schiffe wie das ihre pendelten täglich ohne Piloten zwischen Tycho und Farside.

Nach dem Start wich ihr Schiff von dem programmierten Kurs ab. Es verschwand von Tychos Radarschirmen. Es war – irgendwo. Nicht im Raum, denn dann würde es um Hilfe funken, und andere Schiffe, Raumstationen, Bodenstationen würden seinen Ruf auffangen. Es war irgendwo in der Leere Lunas abgestürzt – oder notgelandet.

 

»Hier der Direktor der Meridian-Raumstation.« Die Verzögerung war unmerklich; die Radiowellen brauchten von Washington zu der Raumstation in nicht mehr als zweiundzwanzigtausenddreihundert Meilen Höhe und zurück nur eine Viertelsekunde. »Wir haben die Sender auf der Erdoberfläche zugeschaltet, um den Mond mit unserm Ruf ganz abzudecken. Von Station Newton in der Lagrange-Position aus wird die hintere Seite erreicht. Schiffe von Tycho umkreisen den Rand des Mondes – die Zone, die im Funkschatten von uns und von Newton liegt. Falls wir etwas hören …«

»Ja, ja! Warum suchen Sie nicht mit Radar?«

»Sir, eine Rakete auf der Oberfläche sieht für ein Radargerät genauso aus wie eine Million anderer Gegenstände von der gleichen Größe. Unsere einzige Chance ist, dass wir eine Antwort von ihnen erhalten – wenn sie imstande sind zu antworten. Mit Ultrahochauflösungsradar könnten wir sie in ein paar Monaten finden – aber Anzüge, wie man sie in diesen kleinen Raketen trägt, haben nur für sechs Stunden Luft. Wir beten, dass sie uns hören und antworten.«

»Wenn sie antworten, werden Sie ihnen einen Funkpeilempfänger anhängen, nicht wahr?«

»Nein, Sir.«

»In Gottes Namen, warum nicht?«

»Sir, ein Funkpeilempfänger ist in diesem Fall sinnlos. Er würde uns nur verraten, dass das Signal vom Mond kommt – was uns nicht weiterhilft.«

»Doktor, Sie wollen sagen, selbst wenn Sie Betsy hören, können Sie nicht feststellen, wo sie ist?«

»Wir sind ebenso blind wie sie. Wir hoffen, es wird ihr gelingen, uns zu sich zu führen … wenn sie uns hört.«

»Wie?«

»Mit einem Laser. Einem intensiven, sehr eng gebündelten Lichtstrahl. Sie wird ihn hören …«

»Einen Lichtstrahl hören

»Ja, Sir. Wir werden die Oberfläche wie mit einem Radargerät – das uns nichts zeigen würde – abtasten. Aber wir modulieren den Lichtstrahl, sodass er eine Trägerwelle auf einer Radiofrequenz abgibt, und die wiederum wird zu einer hörbaren Frequenz moduliert – zur Übertragung von Klaviertönen. Wenn Betsy uns hört, werden wir ihr sagen, dass sie die Töne bestimmen soll, während wir den Mond absuchen und sämtliche Tasten des Klaviers durchgehen …«

»All das, während ein kleines Mädchen stirbt?«

Eine neue Stimme mischte sich ein. »Mr. President – halten Sie den Mund!«

»WER WAR DAS?«

»Ich bin Betsys Vater. Man hat mich von Omaha zugeschaltet. Bitte, Mr. President, seien Sie ruhig, und lassen Sie die Leute ihre Arbeit tun! Ich möchte meine Tochter wiederhaben.«

Der Präsident antwortete gepresst: »Ja, Mr. Barnes. Machen Sie weiter, Direktor! Ihnen steht zur Verfügung, was immer Sie brauchen.«

 

In der Meridian-Raumstation wischte sich der Direktor das Gesicht ab.

»Bekommen Sie etwas herein?«

»Nein. Chef, kann nicht etwas wegen dieses Rio-Senders geschehen? Er sitzt genau auf der Frequenz!«

»Wir werden ihnen einen Ziegelstein auf den Kopf werfen. Oder eine Bombe. Joe, geben Sie dem Präsidenten Bescheid.«

»Ich habe es gehört, Direktor. Der Sender wird zum Schweigen gebracht!«

 

»Pst! Ruhig! Betsy, hörst du mich?«

Der Funker nahm mit konzentriertem Gesichtsausdruck eine Feineinstellung vor.

Aus diesem Lautsprecher kam die helle, süße Stimme eines Mädchens: »… jemanden zu hören! Was bin ich froh! Kommt schnell – der Major ist verletzt.«

Der Direktor war mit einem Satz am Mikrofon. »Ja, Betsy, wir beeilen uns. Du musst uns helfen. Weißt du, wo du bist?«

»Irgendwo auf dem Mond, nehme ich an. Es war eine harte Landung, und ich wollte ihn gerade deswegen aufziehen, als das Schiff umkippte. Ich öffnete meinen Gurt und fand Major Peters, und er bewegt sich nicht. Er ist nicht tot – glaube ich jedenfalls nicht; sein Anzug bläht sich auf wie meiner, und ich höre etwas, wenn ich meinen Helm an ihn halte. Eben ist es mir gelungen, die Tür zu öffnen.« Sie setzte hinzu: »Das kann nicht Farside sein, dort wäre es doch Nacht. Ich bin im Sonnenschein, ganz bestimmt. Dieser Anzug wird ziemlich warm.«

»Betsy, du musst draußen bleiben. Du musst dich da aufhalten, wo du uns sehen kannst.«

Sie lachte.

»Das ist gut! Ich sehe mit meinen Ohren.«

»Ja. Du wirst uns mit deinen Ohren sehen. Hör zu, Betsy! Wir werden den Mond mit einem Lichtstrahl absuchen. Du wirst ihn als Klavierton hören. Wir teilen den Mond in die achtundachtzig Töne eines Klaviers auf. Wenn du einen davon hörst, rufst du: ›Jetzt!‹ Dann sagst du uns, welche Note es war. Kannst du das?«

»Natürlich«, antwortete sie zuversichtlich, »wenn das Klavier richtig gestimmt ist.«

»Das ist es. Gut, wir fangen an …«

»Jetzt!«

»Welcher Ton, Betsy?«

»Das Es in der ersten Oktave über dem mittleren C.«

»War es dieser Ton, Betsy?«

»Ja, wie ich es gesagt habe.«

Der Direktor rief: »Wo ist das auf der Karte? Im Mare Nubium? Benachrichtigen Sie den General!« Ins Mikrofon sagte er: »Wir finden dich, Betsy, Schätzchen! Jetzt suchen wir nur das Stück ab, wo du bist. Wir ändern die Einteilung. Möchtest du inzwischen mit deinem Daddy sprechen?«

»O ja! Geht denn das?«

»Sicher!«

Zwanzig Minuten später schaltete er sich ein und hörte: »… natürlich nicht, Daddy. Oh, ein winzig kleines bisschen Angst, als das Schiff umkippte. Aber es kümmern sich Leute um mich, das haben sie immer getan.«

»Betsy?«

»Ja, Sir?«

»Du musst uns wieder sagen, ob du einen Klavierton hörst.

 

»Jetzt!« Sie setzte hinzu: »Das ist das Kontra-G, drei Oktaven tiefer.«

»Dieser Ton?«

»Das ist richtig.«

»Tragen Sie das auf dem Netz ein, und sagen Sie dem General, er soll seine Schiffe starten lassen! Das beschränkt das Suchgebiet auf zehn Quadratmeilen! Höre, Betsy – wir wissen beinahe, wo du bist, und wir werden die Stelle noch genauer bestimmen. Möchtest du ins Schiff gehen und dich abkühlen?«

»Mir ist nicht zu heiß. Ich schwitze nur ein bisschen.«

Vierzig Minuten später erklang die Stimme des Generals: »Sie haben das Schiff entdeckt! Sie sehen Betsy winken!«

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„Suchscheinwerfer“ ist Bestandteil von Robert A. Heinleins Die Geschichte der Zukunft (im Shop), die aus 21 Erzählungen und Romanen unterschiedlicher Länge besteht, die sowohl einzeln als auch im Sammelband erhältlich sind. Die einzelnen Stories in chronologischer Reihenfolge sind: 

Lebenslinie (im Shop)
Die Straßen müssen rollen (im Shop)
Katastrophen kommen vor (im Shop)
Der Mann, der den Mond verkaufte (im Shop)
Delila und der Raummonteur (im Shop)
Raum-Jockey (im Shop)
Requiem (im Shop)
Die lange Wache (im Shop)
Nehmen Sie Platz, meine Herren! (im Shop)
Die schwarzen Klüfte Lunas (im Shop)
„Wie schön, wieder zu Hause zu sein!“ (im Shop)
‚„… wir führen auch Hunde spazieren“ (im Shop)
Suchscheinwerfer (im Shop)
Zerreißprobe im All (im Shop)
Die grünen Hügel der Erde (im Shop)
Imperialistische Logik (im Shop)
Das Ekel von der Erde (im Shop)
„Wenn das so weitergeht …“ (im Shop)
Coventry (im Shop)
Außenseiter (im Shop)
Methusalems Kinder (im Shop)

 

Robert A. Heinlein wurde 1907 in Missouri geboren. Er studierte Mathematik und Physik und verlegte sich schon bald auf das Schreiben von Science-Fiction-Romanen. Neben Isaac Asimov und Arthur C. Clarke gilt Heinlein als einer der drei Gründerväter des Genres im 20. Jahrhundert. Sein umfangreiches Werk hat sich millionenfach verkauft, und seine Ideen und Figuren haben Eingang in die Weltliteratur gefunden. Die Romane „Fremder in einer fremden Welt“ (im Shop) und „Mondspuren“ (im Shop) gelten als seine absoluten Meisterwerke. Heinlein starb 1988. Weitere Romane und Stories von Robert A. Heinlein, darunter auch „Predestination – Entführung in die Zukunft“ (im Shop), die mit Ethan Hawke in der Hauptrolle kongenial verfilmt wurde, finden Sie in unserem Shop

 

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