16. April 2018 2 Likes

Der Science-Fiction-Poet

Wolfgang Jeschke war vieles: Herausgeber, Autor, Publizist und Wegbereiter des Genres – und ein wortmächtiger Lyriker

Lesezeit: 2 min.

Der Tod von Wolfgang Jeschke, dem langjährigen Herausgeber des Heyne-Science-Fiction-Programms und vielgelobten Autor, jährt sich nun bald zum dritten Mal. Je öfter man Romane wie „Der letzte Tag der Schöpfung“ (im Shop) oder Erzählungen wie „Das Geschmeide“ von ihm wieder liest, umso mehr erstaunt Jeschkes zeitloser, stets frischer Blick auf unsere Wirklichkeit.

Eine Seite dieses herausragenden Publizisten ist bislang aber nur wenig gewürdigt worden: Wolfgang Jeschke war ebenfalls ein Lyriker. In der kleinen Sammlung „Zwölf Geschichten“ (im Shop) sind fünf seiner Gedichte enthalten. Der Text „Denkmodelle“ daraus zeigt, dass Jeschkes poetischer Blick auf die Gegenwart genauso scharf und durchdringend wie seine Vision für fantastisches Schreiben.

 

Wolfgang Jeschke

Denkmodelle

 

Theorien wie Kathedralen,
imposant, ewigkeitswertbeständig,
entworfen und aufgetürmt
von Generationen
mehr oder weniger
exakter Naturwissenschaftler,
mal mit, mal ohne Billigung
des Hl. Stuhls.
Verwinkelte Interieurs,
schattenhaft,
vertrackte Nischen,
Kreuzwege ptolemäisch,
Schießscharten

– als Maßwerk getarnt –
längst aufgegebener Positionen,
verstaubtes Gedankengewebe,
zernagte Zinnen einstmaliger Dogmen,
zerbröckelnde Fundamente.
Gehäuse aus Zeit und Tod,
Heimstatt für Einsiedlerkrebse.
Fossiler Geist.

Andere wiederum,
buntscheckige Luftikusse,
geflickt und wieder geflickt,
flexibel und
von erstaunlicher Haltbarkeit
wie die Schiffe weiland
der Herren Montgolfier,
die allen Zweiflern zum Trotz
abhoben und aufstiegen
mit Hilfe von warmer Luft
und – ja gewiss –
einer neuen Idee.
 

Wolfgang Jeschke (1936–2015) war der Großmeister der deutschen Science-Fiction. Lange Jahre als Herausgeber und Lektor für den Heyne Verlag tätig, hat er vor allem auch mit seinen eigenen Romanen und Erzählungen das Bild des Genres geprägt. Jeschke wurde mehrmals mit dem renommierten Kurd Lasswitz Preis ausgezeichnet. Er starb im Juni 2015.

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