„Berge des Wahnsinns“ - Zwei Neuausgaben des Lovecraft-Klassikers
Einmal bildgewaltig, einmal neu übersetzt
Stephen King neigt sicherlich gelegentlich etwas zu Übertreibungen, aber das Zitat „H.P. Lovecraft ist der größte Horrorautor des 20. Jahrhunderts – daran gibt es keinen Zweifel.“, abgedruckt auf der Rückseite von „Berge des Wahnsinns – Erster Teil“ (im Shop), kann man durchaus unterschreiben. Sicher, der ein oder andere wird vehement Einspruch einlegen, denn es gab da ja natürlich noch diesen anderen berühmten, amerikanischen Schriftsteller, Edgar Allen Poe, der ebenso für eine Reihe einflussreicher Horrorklassiker verantwortlich war. Doch Poe hat zwar bis heute ein Image als Horror-Schriftsteller, war allerdings thematisch recht breit aufgestellt. So finden sich in seinem Werkverzeichnis ebenso Detektivgeschichten, Lyrik oder literatur- oder naturwissenschaftlich Abhandlungen.
Lovecraft dagegen hatte sich Zeit seines nur wenige Jahre längeren Lebens größtenteils dem Horror gewidmet und eine Form von literarischen Horror geschaffen, die bis heute großen Einfluss ausübt, sich gleichzeitig aber auch seit Jahrzehnten in einem regelrechten Kampf mit anderen Medien befindet, ein Kampf aus dem Lovecrafts Geschichten meist als Gewinner rausgehen. Während sich Poes Arbeiten zum Beispiel gut verfilmen lassen, ist man sich weitgehend einig, dass der größte Teil aller Lovecraft-Verfilmungen gescheitert ist. Es wurde versucht seine Geschichten in ihrer Gänze zu verfilmen, es wurden Motive übernommen oder es finden sich lediglich Referenzen an sein literarisches Universum. Die erste Option stellte die Filmemacher allerdings immer wieder vor ein großes Problem. Das hat sicherlich zu einem gewissen Grad damit zu tun, dass ein großer Teil seiner Arbeiten aus Kurzgeschichten besteht, die wahre Schwierigkeit liegt aber woanders: Obwohl Lovecraft ein großer Filmfan war, mochte er Horrorfilme nicht sonderlich und hoffte schon zu Lebzeiten, dass man sein Werk niemals verfilmen würde.
Lovecrafts literarische Stilistik, in der sich oft eine sprachliche Kluft manifestiert, mutet da wie ein Ausdruck des Widerwillens gegen eine Konvertierung seiner Arbeiten an, ein „Schreiben gegen das Bild“. Er verwendet überwiegend eine sehr spezielle und auch bei ausführlichen Erläuterungen eigentümlich unkonkrete Sprache, die gespickt ist mit Adjektiven wie zum Beispiel „monolithisch”, „zyklopisch” oder „unsagbar”. Dann und wann weist er gar auf eine fremdartige, dem Menschen unbegreifliche Geometrie und Formenlehre hin, für dessen Beschreibung den Menschen schlichtweg die kognitiven und physischen Voraussetzungen und somit auch die sprachlichen Begriffe fehlen, weswegen Beschreibungen von vornherein nur mangelhaft sein können. Oder er streut massive Zweifel am Erzählten, indem er unklar lässt, ob sein Erzähler überhaupt zuverlässig ist. Lovecraft hält seine Geschichten fast immer in einer Art Schwebe, einem unscharfen Zustand zwischen Realität und Fantasie, zwischen Wirklichkeit und Traum. Es sind in erster Linie diese formale Besonderheiten, die viel zu einer eigentümlichen Stimmung beitragen, die sein Werk prägt und an deren Transfer in ein anderes Medium sich in den vergangenen Jahrzehnten Legionen von Künstlern die Zähne ausgebissen haben.
Zwar keine Verfilmung, aber ein glanzvolle Beispiel für eine überaus gelungene Visualisierung von Lovecrafts Prosa ist der 2020 erschienen Band „Ctulhus Ruf“ (im Shop), der einen ungewöhnlichen Weg ging. Statt Text und Bild zu trennen, wie es in anderen illustrierten Ausgaben der Fall ist, gehen hier Text und Bild eine Symbiose ein, was dank dem Format 26.9 x 1.3 x 35.8 cm für ein äußerst immersives Erlebnis sorgt. Der französische Konzeptkünstler, Illustrator und Autor François Baranger erweist sich dabei als genialer Partner für Lovecraft, denn er hat den Schriftsteller aus Providence genau verstanden. So sind seine Bilder zwar wuchtig, aber von einer gewissen Distanz geprägt, stehen nie dem Text im Weg, sind nie zuviel, fangen immer genau das ein, was Lovecraft mit seinen Beschreibungen evoziert.
Das ist mit „Berge des Wahnsinns – Erster Teil„, eine der wenigen langen Erzählungen, in seinem von kurzen Geschichten dominierten Œuvre nicht anders – hier hat man ein bisschen in Buchform die Verfilmung, die Guillermo del Toro seit 2006 versucht, auf die Beine zu stellen.
Erzählt wird von einem Polarforschungsteam, das sich aufmacht um den Antarktis zu erkunden und im ewigen Eis nicht nur auf unheimliche Gebirge mit den weltweit höchsten Gipfeln, sondern auch auf ein uraltes Grauen stößt, das die Hälfte der Expeditionsteilnehmer dezimiert. Auch wenn die Geschichte bis dato nie verfilmt wurde, gibt es doch zwei Produktionen, die sehr von ihrem Geist beseelt sind. Da wäre zum einen der John-Carpenter-Klassiker „“The Thing“ (1982), allerdings lag diesem die Novelle „Who goes there?“ von John W. Cambell zu Grunde, die zwei Jahre nach „Berge des Wahnsinns“ (1936) erschien. Ob Campbell von Lovecraft beeinflusst wurde, ist nicht bekannt, sehr wohl aber, dass Carpenter großer Lovecraft-Fan ist (und später mit „Die Mächte des Wahnsinns“ auch eine offene Hommage drehte), weswegen Lovecraft bei der Produktion von „The Thing“ sicherlich ebenso ein gewisse Rolle gespielt haben dürfte. Ein weiterer Film, der offensichtliche Parallelen zu „Berge des Wahnsinns“ aufweist, wäre „Prometheus – Dunkle Zeichen“ (2012).
Jedenfalls handelt es sich bei Barrangers Umsetzung der Geschichte erneut um ganz großes Kino im Buchformat, das uns tief in eine Welt führt, in der der Mensch nichts verloren hat, klein und hilflos wirkt, nur ein Spielball fremder Mächte ist, was allein durch die Proportionen in den Illustrationen deutlich wird, wenn etwa Schiffe an gigantischen Eisgebirge vorbeifahren.
Ein absolutes Juwel, mit dem man die Geschichte noch mal ganz neu erfährt – „Berge des Wahnsinns – Zweiter Teil“ (im Shop) ist für den 11. Mai 2023 angekündigt.
Doch nicht genug der Berge: Der Anaconda-Verlag hat „Berge des Wahnsinns“ (im Shop) zudem komplett als kostengünstiges Buch in einer Neuübersetzung von Florian Marzin veröffentlicht, der auch ein informatives Nachwort beisteuerte. Mal abgesehen von der Frage, wieso heutzutage überhaupt ständig alles neu übersetzt werden muss, trifft Marzin hier waghalsige Entscheidungen, was im Vergleich zur illustrierten Ausgabe, die der Übersetzung von Rudolf Hermstein von 1970 folgt, bereits beim ersten Satz klar wird. So heißt es bei Hermstein: „Ich muss mein Schweigen brechen, weil Männer der Wissenschaft sich weigern, meinem Rat zu folgen, ohne zu wissen, worum es geht.“ und bei Marzin: „Ich bin nun gezwungen zu sprechen, weil die Wissenschafter sich grundlos weigern meinen Ratschlägen zu folgen.“. Echte Lovecraft-Junkies schlagen anhand dieser deutlich Simplifizierung des Sprachstils natürlich entsetzt die Hände über den Kopf zusammen, schütten einen Benzinkanister über das Buch und grillen Marshmallows auf dem Feuer.
Doch so schlecht ist der Ansatz nicht: Bei aller Lovecraft-Begeisterung muss man schon so ehrlich sein und zugeben, dass der Sprachstil – wobei das hier noch ein zahmes Beispiel war – des Horrorgroßmeisters nicht überall für Begeisterung sorgt und mit Sicherheit schon den ein oder anderen abgehalten dürfte, Lovecraft zu lesen. Somit kann man Einsteigern das Buch absolut ans Herz legen.
Howard Phillips Lovecraft (Text), François Baranger (Illustrationen): Berge des Wahnsinns – Erster Teil • Roman • Aus dem Amerikanischen von Rudolf Hermstein • Wilhelm Heyne Verlag, München 2022 • 64 Seiten • gebunden • Preis: € 25 • im Shop
Howard Phillips Lovecraft : Berge des Wahnsinns • Roman • Aus dem Amerikanischen von Florian Marzin • Anaconda Verlag, München 2022 • 192 Seiten • gebunden • Preis: € 6,95 • im Shop
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