8. August 2018 1 Likes

Bring mich zu den Sternen

Eine neue Leseprobe aus Dennis E. Taylors genialem Space-Abenteuer „Ich bin viele“

Lesezeit: 12 min.

Kaum hat sich Bob Johansson, ehemaliger Multimillionär und nun KI wider Willen, an sein neues Dasein als digitalisiertes Bewusstsein gewöhnt, da wird er auch schon auf seine erste Mission geschickt: Im Auftrag der Regierung soll er ins All fliegen, und dort neue Planeten erforschen. Doch schon der erste Start als Raumschiffsonde gestaltet sich für Bob äußerst turbulent …

 

Bob – 17. August 2133

Nachdem ich [18 Stunden und 26 Minuten lang] in den Bibliotheken herumgestöbert und Projektmaterial gelesen hatte, richtete ich die Aufmerksamkeit wieder auf die Geschehnisse im Raum. Ich hatte dafür gesorgt, dass ich es mitbekam, sobald mich jemand ansprach.

Als ich die Kameras herumschwenkte, sah ich Dr. Landers, der völlig außer sich zu sein schien. »Wir sind gerade erneut angegriffen worden«, sagte er mit zitternder Stimme. »Irgendwer hat versucht, ein paar wichtige Bauteile in die Luft zu sprengen. Das ist zwar nicht gelungen, aber dafür sind bei der Explosion vier meiner Leute umgekommen. Wir werden in eine andere Einsatzzentrale umziehen. Wie kommen Sie mit Ihrer Lektüre voran?«

Sein letzter Satz wirkte so zusammenhanglos, dass ich noch einmal die letzten paar Sekunden rekapitulieren musste, um sicherzugehen, dass ich nichts überhört hatte. »Äh, gut, Doc. Warum fragen Sie?«

»Wir versuchen, den Start vorzuverlegen. Was bedeutet, dass Sie einen Teil Ihrer Ausbildung möglicherweise erst während des Flugs absolvieren werden.«

Oh, verdammt. »Okay, Doc, was brauchen Sie von mir?«

»Ich habe ein Dokument in Ihre Warteschlange hochgeladen. Lesen Sie es umgehend. Danach machen wir ein Back-up von Ihnen, fahren Sie herunter und befördern Ihren Speicherblock ins Schiff.«

»Sie wollen mich tatsächlich herumschleppen? Haben Sie noch nie was von ftp gehört?«

»Bevor die Sie vor ein paar Wochen in die Luft gesprengt haben, hätte das noch funktioniert. Was glauben Sie denn, woher die Ersatzeinheit stammt?«

»Oh.« Sie hatten die Replikanten-Matrix aus dem Schiff geholt?

»Replikanten-Hardware ist teuer, Bob. Sie haben in letzter Zeit mit denselben Schnittstellen gearbeitet, die Sie auch während des Flugs verwenden werden. Bislang waren Sie nur an Simulatoren gekoppelt. Bitte lesen Sie das Dokument, und sagen Sie Bescheid, sobald Sie damit fertig sind. Dann bringen wir Sie auf den Weg.« Er nahm Platz, verschränkte die Hände vor sich auf dem Tisch und sah mich an.

           Bob,

möglicherweise werden sämtliche Unterhaltungen abgehört. Dieses Dokument ist die einzige sichere Methode, Ihnen mitzuteilen, dass in der Heaven-1 mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Selbstzerstörungsmechanismus verbaut ist.

Wir wissen nicht, ob er mit einem Zeitzünder oder ferngesteuert ausgelöst wird. Aufgrund der Projektrichtlinien waren Ihre Fähigkeiten, sich selbst zu untersuchen, bislang eingeschränkt. Ich habe mein Team jedoch angewiesen, diese Beschränkungen aufzuheben. Damit können Sie jetzt alles unter die Lupe nehmen, was Sie wollen: Sei es die Verkabelung, die Konstruktion, Hardware oder Software. Die Zugangsschlüssel für Ihr Betriebssystem sind am Ende dieses Dokuments aufgelistet.

Gleichzeitig erlaubt Ihnen diese Maßnahme leider auch, die Befehle in Ihrem Programmcode zu umgehen, die Sie zur Einhaltung der Missionsziele zwingen. Aufgrund meine Erfahrungen mit Ihnen bin ich jedoch zuversichtlich, dass Sie diese Ziele auch aus freien Stücken verfolgen werden, da sie sich mit Ihren persönlichen Interessen decken. Sobald Sie deaktiviert sind, werden wir Sie in die Umlaufbahn bringen und in der Heaven-1 installieren. Vor dem Start wird es einen langen Countdown geben, den Sie aber bitte, wenn es nötig werden sollte, einfach ignorieren. Viel Glück – und auch wenn ich es nur ungern sage: Gott sei mit Ihnen.

           Dr. Landers

Es gab noch mehrere Anhänge, darunter eine Zusammenfassungdes Missionsprofils und die Zugangsschlüssel zum Betriebssystem. Sicherheitshalber ging ich noch mal alles durch und überprüfte, ob es irgendwelche Lücken oder Widersprüche in den Aufzeichnungen gab, und löschte schließlich die Originale. »Fertig.«

Dr. Landers zuckte überrascht zusammen. Vermutlich war ich nur wenige Millisekunden weg gewesen. Er nahm das Tablet und tippte auf das Display.

Ich erwachte in Dunkelheit und konsultierte GUPPI.

[STATUSBERICHT.]

[Fusionsreaktor-Schnittstelle: Bereit/im Sollbereich.]

[Schnittstelle zum treibstofflosen Antrieb: Bereit/

Stand-by.]

[Staustrahltriebwerk: Bereit/Stand-by.]

[Kommunikationssysteme & Externe Sensoren: Bereit/

Stand-by.]

[Interne Systeme: Bereit/im Sollbereich.]

[Fabrikationssysteme: Inaktiv/zum Start verstaut.]

[ROAMer/Nanomaschinensystem: Inaktiv/zum Start

verstaut.]

[Startsysteme: Bereit/T minus 04:12:13.]

Ich klinkte mich in die internen Systeme ein und entdeckte, dass sie mehrere Bibliotheken von beträchtlicher Größe beinhalteten, von deren Existenz ich bislang noch gar nichts gewusst hatte. Anschließend checkte ich die Startsysteme und erkannte, dass mich der programmierte Kurs zu Epsilon Eridani bringen würde. Interessant. FAITH rechnete offensichtlich damit, dass alle anderen Alpha Centauri anfliegen wollten. Ohne Waffen würde ich bei einer Konfrontation mit mehreren Gegnern chancenlos sein.

Ich stellte sicher, dass ich wirklich volle Zugriffsrechte auf sämtliche Systeme hatte und auch die Klammern sprengen konnte, die mich an der Raumstation festhielten. Dr. Landers hatte geschrieben, ich könne den Countdown wenn nötig ignorieren. Hieß das, ich solle sie einfach wegsprengen und aufbrechen? Täte ich das jedoch einfach so, ohne irgendeine spezifische Bedrohung, würde man mich wohl für einen Abtrünnigen halten. Und den Ärger dafür bekäme höchstwahrscheinlich Dr. Landers zu spüren. Er war immer aufrichtig zu mir gewesen. Das wollte ich ihm nicht vergelten, indem ich ihm nun in den Rücken fiel.

Als ich die Kommunikationssysteme aktivierte, sah ich mich sofort mit einem halben Dutzend verschiedener externer Audiokanäle konfrontiert. Daneben liefen auch ein paar Videokanäle, die aber weniger Output zu produzieren schienen. Sie zeigten Bilder von Räumen mit leeren Sitzreihen, die zum Startzeitpunkt vermutlich mit Zuschauern gefüllt sein würden.

Außerdem versorgten sie mich mit Außenansichten der Heaven-1 sowie der Raumstation, mit der sie verbunden war. Auf zwei weiteren Videoeinspielungen sah ich die Kommandozentrale und die noch größtenteils leere VIP-Galerie.

Ich warf einen genauen Blick auf die Sonde, in der ich mich befand. Oder besser gesagt, auf die Sonde, die ich war. Sie war ein umgebauter interplanetarer Frachter. Der Rumpf war in der Mitte auseinandergeschnitten worden, und dort saß nun ein SURGE-Antriebsring. Der Fusionsantrieb hatte den extragroßen Aggregaten weichen müssen, die den überdimensionierten Reaktor kühlten. Außerdem fiel mir auf, dass die Schilde über den Aussichtsfenstern verschlossen waren. Das ergab Sinn. Da ich nicht im Pilotensitz Platz nehmen würde, wäre ein Fenster nur eine strukturelle Schwachstelle gewesen.

Die Sonde war nicht sonderlich hübsch. Sie besaß weder die klassische Linienführung der Enterprise noch die sanft geschwungene aerodynamische Form eines Space Shuttles. Der Schiffskörper hatte einen elliptischen Querschnitt mit vielen Luftschleusen und Frachtluken. Neben den bei der Meeresschifffahrt üblichen roten und grünen Fahrtlichtern blinkten an der Heaven-1 zusätzlich auch noch blaue Lämpchen, in Anspielung auf die drei Dimensionen des Weltraums.

Wegen des SURGE-Antriebs, des Staustrahltriebwerks und all der anderen für eine Von-Neumann-Sonde notwendigen Anbauten blieb nur wenig Platz für weitere Extras, wie zum Beispiel, nun, Waffen. Ich hatte also nichts, womit ich mich gegen vermutlich bewaffnete Widersacher zur Wehr setzen konnte. Oder auf was ich dort draußen sonst noch stoßen würde. Es ließ sich immer weniger schönreden, dass das gesamte HEAVEN-Projekt offensichtlich ein ziemlicher Schnellschuss war, bei dem man – um Zeit zu sparen – an so vielen Stellen wie möglich auf bereits existierende Technologien zurückgegriffen hatte.

Und allmählich bekam ich einen Eindruck davon, wie sich eine Forelle im Karpfenteich fühlen musste.

Aber Dr. Landers hatte mich ja vorgewarnt. Nun war ich zwar in die Heaven-1 installiert worden und wartete nur noch darauf, in Richtung Sterne geschossen zu werden, aber ich hatte nach wie vor keine Ahnung, worum es bei alldem eigentlich ging, und meine Ausbildung hatte ich auch noch nicht abgeschlossen. Ich hielt es für das Beste, noch mal tief in die Materie einzutauchen. Also erklärte ich GUPPI, unter welchen Voraussetzungen ich gestört werden wollte, und machte mich auf die Suche nach einem Missionsprofil.

Im Handumdrehen stieß ich auf ein paar nützliche Informationen. Einer der Tricks, zu denen mich die Heaven-1 befähigte, war die Anpassung meines subjektiven Zeitempfindens. Ich konnte es so einstellen, dass mir jedes verstrichene Jahr wie eine Minute vorkam. Umgekehrt konnte ich meine Wahrnehmungsrate auch so weit erhöhen, bis irgendwann meine Hardware an ihre Grenzen stieß. Den technischen Beschreibungen war nicht zu entnehmen, wo genau diese Grenze lag, also drehte ich die Rate bis zum Maximum auf und sah zu, wie sich die Echtzeituhr bis zu einem absoluten Schneckentempo verlangsamte.

Die Antriebsenergie wurde von einem Fusionsreaktor erzeugt. Obwohl die Sonde für den Start mit Wasserstoff vollgetankt war, würde sie den Treibstoff, sobald ich unterwegs war, aus interstellarer Materie gewinnen. Anders als in den alten Science-Fiction-Romanen würde der so eingesammelte Wasserstoff jedoch nicht für den Vortrieb verwendet werden, da die Heaven-1 keine Reaktionsmasse im herkömmlichen Sinne benötigte. Stattdessen verwendete die Sonde ein treibstoffloses System, den sogenannten SURGE-Antrieb. Ich musste mich in die zugrundeliegende Theorie zwar erst noch genauer einlesen, aber dieser Antrieb schien sich auf irgendeine Weise vom Raum-Zeit-Gefüge abzustoßen. Eine absolute Pflichtlektüre. Kommt auf die To-do-Liste.

Das Kommunikationssubsystem meldete sich. Ich synchronisierte mich wieder mit der Echtzeit und akzeptierte eine reine Sprechverbindung mit dem Stationskommando.

»Heaven-1, hier Stationskommando, bitte bestätigen Sie den Erhalt des Missionsprofils.«

»Okey-dokey. Hab’s bekommen.« Ich stellte mir vor, wie ich über das erstaunte Schweigen am anderen Ende der Verbindung grinste – mehr konnte ich nicht tun.

»Ähem, Sie nehmen das Startprotokoll ganz schön auf die leichte Schulter, Heaven-1

»Ja, finden Sie? Sorry, Statkom, aber dieser Teil meiner Ausbildung wäre erst nächste Woche dran gewesen. Ich fürchte, das Startprotokoll werden wir uns in die Haare schmieren müssen.«

»In die Haare schmieren … Okay. Heaven-1, wir haben nur noch etwas mehr als vier Stunden und zehn Minuten bis zum Start. Bis dahin werden Sie noch ein paarmal offizielle Ansprachen erdulden müssen – und zwar zu den folgenden Zeitpunkten …«

Das ganze Briefing dauerte fast zehn Minuten. Ich ertrug es nur, ohne den Verstand zu verlieren, indem ich meine subjektive Zeit so weit raffte, dass sich Statkom wie ein wütendes Eichhörnchen anhörte.

Sobald Statkom die Verbindung beendet hatte, stellte ich die Wahrnehmungsfrequenz wieder auf Maximum und hoffte auf diese Weise, so viel Studienzeit wie möglich herauszuschinden.

Doch es schien, als hätte sich das ganze Universum gegen mich verschworen.

Ein weiteres Mal wurde ich bei meiner Lektüre von einem Funkruf unterbrochen. Wegen meiner derzeitigen Wahrnehmungsfrequenz war die Übertragung noch nicht über das erste dröhnende Wort hinausgekommen.

Als ich in die Echtzeit zurückkehrte und es noch einmal abspielte, erkannte ich Dr. Landers’ Stimme. Das Wort, das er äußerte, lautete: »Raketen«.

Mhm. Was für Sätze sind vorstellbar, die mit »Raketen« beginnen und positiv enden …? Irgendwie will mir keiner einfallen.

Die externen Sensoren meldeten zwei Objekte, die sich mit hoher Geschwindigkeit näherten. Sie flogen auf meinem planmäßigen Startvektor, vermutlich, damit sie mich auch einholen konnten, falls ich frühzeitig startete. Das war eine vernünftige und nachvollziehbare Taktik, aber ich hatte nicht vor, mich ebenso berechenbar zu verhalten.

Geschlagene fünf Millisekunden grübelte ich über meine Optionen nach und entwickelte einen groben Plan.

Zum Glück war die Sonde schon seit Langem startbereit, sodass ich jederzeit losfliegen konnte. Also sprengte ich die Haltevorrichtungen ab und fuhr sämtliche Flugsysteme hoch. Während ich darauf wartete, dass die Realität meine wesentlich schnellere Wahrnehmung einholte, startete ich in meinen Bibliotheken eine Suchanfrage zu den herannahenden Raketen. Die Bibliotheken warfen aufgrund der beobachteten Flugeigenschaften drei mögliche Modelle aus. Ich wählte die pessimistischste Alternative und berechnete einen neuen Startvektor, der in einem Winkel möglichst diametral von der Flugbahn der Raketen wegführen, aber trotzdem noch halbwegs sicher sein sollte.

Sobald die Sensoren anzeigten, dass ich nun frei war, zündete ich kurz den SURGE-Antrieb, nur so lange, dass ich von der Station wegkam. Dann wendete ich die Sonde und drehte den Reaktor bis zum Anschlag auf. So bekomme ich zwar ein Problem mit den Treibstoffreserven, aber in Stücke gesprengt zu werden fände ich noch viel problematischer. Sobald der Reaktor-Output das gewünschte Niveau erreicht hatte, startete ich den SURGE-Antrieb mit maximaler Beschleunigung.

Die Sonde schoss von der Station fort, in entgegengesetzter Richtung zur eigentlich geplanten Flugbahn. Als die erste Rakete auf unverändertem Kurs an mir vorüberraste, wurde mir schlagartig bewusst, dass sie es auf die Raumstation abgesehen hatte. Die zweite Rakete änderte dagegen die Flugbahn und heftete sich mir an die Fersen. Ich hoffte, dass die angegebenen Maximalwerte für den Reaktor und den SURGE-Antrieb stimmten. Denn wenn ich nicht ganz so schnell beschleunigte, wie in der Bedienungsanleitung versprochen wurde, würde die Rakete mich abfangen. Und das wäre das Ende von Heaven-1. Also meins.

Während ich gespannt darauf wartete, wie schnell die Sonde werden würde, überprüfte ich, wie weit Dr. Landers’ Sprachnachricht mittlerweile übertragen war. Bislang lautete die Mitteilung: »Raketen fliegen auf Sie zu. Hauen Sie ab …« Ich checkte, wie schnell ich vorankam, indem ich mit SUDDAR den wachsenden Abstand zur Station maß. Meine Berechnungen ergaben eine gleichmäßige Beschleunigung von 2,5 g. Da der SURGE-Antrieb auf die gesamte Sonde einzuwirken schien, hatte ich keine Möglichkeit, die Geschwindigkeit im Schiffsinneren zu messen.

Die Raumstation nahm die herannahende Rakete unter Beschuss, offenbar mit einem Gatling-Geschütz. Hoffentlich wussten sie, was sie taten. Wenn die Projektile in eine periodische Umlaufbahn gerieten, würden sie früher oder später zu ihnen zurückkehren.

Der Blitz einer fernen Detonation überlud eine meiner Kameras. Das konnte keine der beiden Raketen gewesen sein, da ich sie immer noch unverändert auf dem Schirm hatte. Eine schnelle Berechnung ergab, dass die Explosion an der Stelle stattgefunden hatte, von wo die Raketen gekommen waren. Jemand hatte also den Schützen abgeschossen.

Ein zweiter Blitz kündete von der Zerstörung der Rakete, die auf die Raumstation zugejagt war.

Das war ja alles recht erfreulich, aber mir selbst saß immer noch eine Rakete im Genick. Mit genügend Zeit würde ich sie abhängen können … Nach einer schnellen Kalkulation wusste ich, dass ich sie fast abhängen konnte. Aber fast war nicht gut genug.

Normalerweise verwendete man Täuschkörper, um eine Rakete abzulenken, aber ich bezweifelte, dass es so etwas an Bord gab. Allerdings hatte ich sechs Drohnen für den Rohstoffabbau im Frachtraum, die mit eigenen kleinen SURGE-Antrieben ausgerüstet waren. Na gut, vielleicht konnte ich der Rakete ja doch etwas in den Weg werfen.

Ich aktivierte zwei der Drohnen und warf sie mit der Order aus, die Rakete zu rammen. Während sie auf meinen Verfolger zuflogen, positionierte ich sie hintereinander. Hoffentlich würde bereits die erste Drohne die Rakete erledigen, aber falls sie danebenging, hatte die zweite bessere Zielinformationen. Falls beide versagten, würde mir vermutlich jedoch keine Zeit mehr für weitere Drohnenstarts bleiben.

Ein greller Lichtblitz hinter der Sonde blendete die Heckkamera. Was zum Teufel? Das konnte nicht die Rakete gewesen sein. Die näherte sich aus einer anderen Richtung.

Nachdem ich den Kameras eine kurze Erholungspause gegönnt hatte, blickte ich noch einmal über die Schulter. Wo gerade noch die Raumstation gewesen war, breitete sich nun eine Wolke aus rasch abkühlenden Trümmerteilen aus. Dr. Landers’ Sprachnachricht kam immer noch herein, also war zumindest er nicht auf der Station gewesen. »… so schnell Sie können, und eliminieren Sie …«, hörte ich ihn nun sagen.

Wieso war die Station explodiert? Die Raketen waren doch immer noch beide da. Ich sah, dass die Drohnen in diesem Moment die Rakete hinter mir erreichten. Es gelang ihr, der ersten auszuweichen, woraus ich schloss, dass sie über irgendeine Form von intelligenter Steuerung verfügen musste. Aber nach diesem Manöver konnte sie erstmal nicht mehr die Richtung wechseln. Daher erwischte die zweite Drohne sie halb von der Seite, und die darauffolgende Detonation zerstörte sie beide.

Ein schneller Systemcheck ergab, dass der Heaven-1 bei alldem nichts passiert war. Anschließend überprüfte ich noch rasch, dass nach wie vor alles sicher verstaut war, und hörte mir dann den Rest von Dr. Landers’ Nachricht an.

»… Ihren Funkempfänger. Irgendwo ist eine Bombe mit Fernzünder.«

Na, das ist nenne ich mal doppelplusungut.

Ohne zu zögern, zerstörte ich das Funkgerät und fuhr sicherheitshalber auch gleich noch die Antennenschüssel ein. Anschließend unternahm ich mit SUDDAR einen Langstrecken-Scan, um zu sehen, ob noch irgendwelche anderen Überraschungen auf mich warteten.

In dem Teil des Weltraums, der für meinen anberaumten Start geräumt worden war, ging es mittlerweile zu wie in einem Bienenstock. Ich erkannte mindestens sechs Schiffe, die meine Bibliotheken als Militärgefährte einstuften. Außerdem entdeckte ich ein knappes Dutzend kleinerer Signaturen, die sich sehr schnell bewegten und höchstwahrscheinlich von weiteren Raketen stammten. Zum Glück schienen sie sich viel mehr füreinander als für mich zu interessieren.

Also hatte jemand ein paar Raketen auf mich abgefeuert und war anschließend selbst von jemand Drittem attackiert worden. Und dann war da natürlich noch derjenige, der die Raumstation zerstört hatte. Inzwischen war etwas in vollem Gange, was mich sehr an eine Seeschlacht erinnerte. Höchste Zeit, abzuhauen, bevor sich wieder irgendwer für mich interessiert.

Ich schwenkte auf meinen ursprünglich geplanten Kurs ein und drosselte den SURGE-Antrieb auf eine wesentlich vernünftigere Beschleunigung von 2 g. Das war immer noch schneller, als die Missionsparameter vorsahen, und ich würde den vergeudeten Reaktortreibstoff später wieder nachfüllen müssen.

Mit einem gedachten Seufzer der Erleichterung begann ich meine Reise nach Epsilon Eridani.

 

Dennis E. Taylor: „Ich bin viele“ ∙ Roman ∙ Aus dem Amerikanischen von Urban Hofstetter ∙ Wilhelm Heyne Verlag, München 2018 ∙ 464 Seiten ∙ Preis des E-Books € 11,99 (im Shop)

 

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