„Cthulhus Ruf“ und H. P. Lovecrafts Nachhall
Ein Blick auf den Schöpfer und die Geschichte des Cthulhu-Mythos
H.P. Lovecrafts wohl bekannteste Erzählung „Cthulhus Ruf“ (im Shop) gibt es neuerdings bei Heyne als spektakulär illustrierten Band im Großformat. Der perfekte Anlass, sich noch einmal kurz mit dem Mythos rund um Cthulhu und seinem Schöpfer zu beschäftigen.
Nyarlathotep, Yog-Sothoth, die Shoggothen, Shub-Niggurath, Azathoth, die Hunde von Tindalos … Im Werk H. P. Lovecrafts (im Shop) wimmelt es von unaussprechlichen Wesen, alten Völkern, prähistorischen Göttern und ähnlichen fremdartigen Kreaturen, deren bloßer Anblick oft ausreicht, um den unglücklichen Betrachter in Wahnsinn und Verderben zu stürzen. Doch keins dieser mannigfaltigen Monstren nimmt eine so herausragende Stellung ein wie eine Entität namens Cthulhu. Wobei das gigantische Ungeheuer, das sein Schöpfer als Mischung aus Tintenfisch, Drachen und Zerrbild eines Menschen beschreibt, mit einem „grotesken und schuppigen Leib, der Ansätze von Schwingen zeigt“, in Lovecrafts Erzählungen selbst keine besonders dominante Rolle einnimmt. Gerade mal in drei Geschichten findet sich seine namentliche Erwähnung, und ausschließlich „Cthulhus Ruf“ beschäftigt sich ausführlich mit dem Erwachen der schlafenden Gottheit sowie dem fiktiven Kult um das Tentakelmonster.
Dass ausgerechnet dieses Wesen einen gattungsübergreifenden Mythos begründete, liegt vor allem an seiner paradigmatischen Bedeutung für die Fortführung des Kanons durch andere Künstler. Wie kaum ein zweiter fantastischer Autor inspirierte Lovecraft zahlreiche Schriftsteller zur Erschaffung eigener Prosa, die sich im Kosmos ihres Vorbilds bewegt. Eine Entwicklung, die nicht nur auf die thematische Dichte seiner Werke zurückgeht, sondern vor allem als Fortschreibung eines mythischen Überbaus zu verstehen ist, der sich bereits in seinem Werk selbst findet.
Howard Phillips Lovecraft wurde 1890 in Providence, Rhode Island geboren und entwickelte bereits als Kind großes Interesse am Geheimnisvollen, wie es beispielsweise in den „Geschichten aus Tausendundeiner Nacht“ zu finden war. Später begeisterte er sich für Disziplinen wie Astronomie, Chemie und Geschichte – vor allem die Historie seiner Heimat Neuengland faszinierte den jungen Howard. Diese Interessen legten den Grundstein für seine frühen Werke als Autor – Auftakt zu einem hochkonzentrierten Werk, das neben kurzen und langen Erzählungen auch zahlreiche Gedichte, Essays und vor allem einen intensiven Briefwechsel umfasst. (Dass viele Darstellungen deformierter Körper oder anderer abstoßender Eigenarten auf den gut dokumentierten Rassismus Lovecrafts zurückgehen, ist eine bedauernswerte Tatsache der Literaturgeschichte.)
Vor allem in jenen Erzählungen, die Lovecraft selbst als „Arkham Cycle“ bezeichnete, spiegelt sich sein Interesse für seine Heimat im Nordosten der Vereinigten Staaten wider. In diesen Geschichten spielt die fiktive neuenglische Stadt Arkham eine große Rolle, der Lovecraft viele Charakteristika seines eigenen Umfelds verlieh. Und im Rahmen dieses Zyklus ist es die 1926 erschiene Erzählung „Cthulhus Ruf“, die auf beispielhafte Art all jene Themen in sich vereint, welche den Arkham Cycle – und in verschiedenen Ausprägungen das gesamte Schaffen Lovecrafts – im Kern charakterisieren.
Die schlafende Gottheit, deren Indifferenz gegenüber menschlichem Leben so viel grausamer und kälter ist als es jeder lüsterne Vampir oder blutrünstige Zombies es jemals sein könnte; die kultische Verehrung des Großen Alten durch verschwörerische Mächte im Hier und Jetzt; die historische Dimension in Form von Abdul Alhazreds Buch „Necronomicon“; das langsame Aufdecken kosmischer Zusammenhänge, die nicht nur Zeit und Raum sprengen, sondern auch die Fähigkeiten des menschlichen Verstandes gnadenlos überfordern. Neben diesen Motiven teilen sich viele weitere Erzählungen Lovecrafts auch Schauplätze, Personenarsenal oder speziell konnotierte Gegenstände mit dem Ruf des Cthulhu. Geschichten wie „Das Grauen von Dunwich“, „Das Ding auf der Schwelle“, „Die Farbe aus dem All“, „Schatten über Innsmouth“ oder „Berge des Wahnsinns“ begründen keine zusammenhängende narrative Struktur, sondern vielmehr eine fiktive Welt, die thematisch wie geografisch sehr eng gefasst ist.
Die Zusammenfassung unter dem Begriff „Cthulhu-Mythos“ hat dieser Erzählkosmos dem Verleger und Autor August Derleth verdanken. Derleth gründete 1939 – zwei Jahre nach Lovecrafts Tod – eigens einen Verlag namens Arkham House, um die Werke seines Freundes in gesammelter Form zu veröffentlichen. Darüber hinaus erweiterte er in eigenen Erzählungen die Welt rund um Arkham, die fiktive Miscatonic-Universität und all die anderen Schöpfungen des zu Lebzeiten nicht immer populären Autors aus Providence. Weitere Schriftsteller taten es ihm gleich – darunter so unterschiedliche Persönlichkeiten wie Robert Bloch, Ramsey Campbell, Matt Ruff, Robert E. Howard, Wolfgang Hohlbein oder Stephen King. Letzterer beschreibt das kosmische Tentakelwesen in seinem Vorwort zu Michel Houellebecqs Essay „Gegen die Welt, gegen das Leben“ besonders anschaulich als „gigantische, mit Fangarmen ausgestattete Killervagina“. Diese psychoanalytische Auslegung mag man teilen oder nicht – viel spannender ist die Tatsache, dass der Mythos in den etwa hundert Jahren seit seiner Entstehung die reine Prosa längst verlassen hat. Videospiele wie „Call of Cthulhu“ nähren die fiktionale Welt rund um Arkham & Co. genauso wie Comics, Kinofilme oder sogar Heavy-Metal-Songs von Bands wie Iron Maiden oder Metallica. Mit der TV-Serie „Lovecraft Country“ sind die Monster aus Massachusetts mittlerweile auch im Streaming-Zeitalter angekommen. Und ein Ende ist nicht abzusehen. Lovecraft mag viele Ungeheuer geschaffen haben, doch Cthulhu ruft von allen auch heute noch am lautesten.
H. P. Lovecraft: Cthulhus Ruf – Illustriert von François Baranger · Originaltitel: Call of Cthulhu · Aus dem Amerikanischen von H. C. Artmann · Wilhelm Heyne Verlag · 64 Seiten, durchgehend farbig illustriert · Hardcover mit Schutzumschlag: € 25,00
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