13. April 2018

Und Action!

Eine exklusive Leseprobe aus Douglas E. Richards Roman „Split Second“

Lesezeit: 7 min.

In unserem Ausblick hatten wir Ihnen Douglas E. Richards Science-Thriller „Split Second“ (im Shop) bereits vorgestellt. Für alle, die noch vor dem offiziellen Erscheinungstermin am 07. Mai 2018 gerne selbst in das rasante Abenteuer um die beiden Wissenschaftler Jenna und Nathan und ihre bahnbrechende Entdeckung reinlesen möchten, gibt es hier eine erste Leseprobe.

 

Auf dem Lindbergh-Flughafen in San Diego wurde Jenna von einem strahlenden, aber müden Nathan Wexler begrüßt, der genauso aussah wie während ihrer Skype-Telefonate der vergangenen Woche – als wäre er allergisch gegen Schlaf.

Nach einer langen Umarmung und als das Laufband endlich ihr Gepäck hergegeben hatte – der Flughafen war dafür bekannt, dass man lange auf seine Koffer warten musste –, fuhr Wexler sie nach Hause zu ihrem kleinen Mietshaus in La Jolla. An der University of California in San Diego war er mit Abstand der jüngste Lehrstuhlinhaber am Fachbereich Physik und hatte schon jetzt bahnbrechende Arbeiten in unterschiedlichen Teilgebieten der Physik und Mathematik geleistet.

Auf dem Weg löcherte Wexler sie mit Fragen über den Besuch bei ihrer Schwester, wollte wissen, wie sie Ambers Zustand einschätzte, obwohl sie sich darüber auch schon bei ihren täglichen Telefonaten unterhalten hatten. Als sie zu Hause ankamen, zauberte er eine Flasche teuren Rotwein hervor, dazu zwei elegante, übergroße Kelche aus Kristallglas. Mit funkelnden Augen schenkte er ein. »Willkommen zurück«, sagte er.

Jenna war beeindruckt. Bei ihnen brauchte es normalerweise einen größeren Anlass, damit sie mal nicht aus Plastikbechern tranken. Sie trugen alte Jeans und T-Shirt, denn sie fanden beide, dass Bequemlichkeit wichtiger war als Eleganz, und im Kontrast zu ihrer Aufmachung wirkten die noblen Gläser unpassend vornehm.

Es war kurz vor Mitternacht, und sie war erschöpft. In wenigen Minuten würde aus Sonntagnacht ganz offiziell Montagmorgen werden; in Chicago allerdings war es schon vor Stunden so weit gewesen, und ihr Körper war noch darauf eingestellt. Nathan kam ihr sogar noch erschöpfter vor, aber trotzdem umgab ihn eine Aura leuchtenden Triumphs, so als hätte er gerade im Lotto gewonnen.

Seit sie zusammenlebten, waren sie noch nie so lange am Stück getrennt gewesen; vielleicht hatte ihm das mehr zu schaffen gemacht als erwartet. »Du weißt aber, dass du mich nicht betrunken machen musst, um mit mir zu tun, was immer du willst, oder?«, fragte sie, und ihre Mundwinkel hoben sich zu einem ironischen Lächeln.

Worauf wartete er noch? Eigentlich hätten sie einander längst die Kleider vom Leib reißen sollen. Manchmal führte Erschöpfung – vor allem geistige – zu grandiosem Sex. Je gründlicher das Hirn ausgeschaltet wurde und primitiven Urinstinkten das Feld überließ, desto besser.

»Gut zu wissen.« Er erwiderte ihr Lächeln. »Aber ich habe nicht vor, dich betrunken zu machen. Ginge es mir darum, hätte ich dir das Übliche eingeschenkt – du weißt schon, aus dem großen Weinkarton im Kühlschrank.«

»Japp. Letzte Woche war ein ausgezeichnetes Jahr«, antwortete sie grinsend.

»Ich bin sicher, dir ist aufgefallen, dass der hier aus einer richtigen Flasche kommt. Mit einem richtigen Korken aus, du weißt schon, Kork.«

»Bemerkenswert«, sagte sie und zog die Augenbrauen hoch. »Hast du mich so sehr vermisst?«

»Natürlich hab ich dich vermisst«, sagte Wexler. »Aber ich gestehe, das hier hat einen anderen Grund.« Er machte eine Pause. »Das errätst du nie im Leben.«

»Du hast eine gewaltige Gehaltserhöhung bekommen?«, fragte Jenna.

»Nein, ich habe nicht gemeint, dass du raten sollst. Ich meinte, und zwar wortwörtlich, dass du tausend Jahre alt werden könntest und es trotzdem niemals erraten würdest.«

Jenna lachte. Er war ein bisschen schrullig, aber weit weniger, als man in Anbetracht seines Verstands hätte erwarten können. Und er war witzig und liebevoll und hatte ein so blitzschnelles Auffassungsvermögen, dass ihr davon manchmal ganz schwindelig wurde.

Sie hatte dumme Männer immer verabscheut. Aber als sie Nathan kennengelernt hatte, war auf einmal sie die Langsame gewesen, trotz der Tatsache, dass sie auf der High School die Abschlussrede gehalten hatte und ihre Ergebnisse im SAT-Test nahezu perfekt gewesen waren. Mit ihm zu diskutieren war atemberaubend.

Aber für ihn war es schwierig, allen anderen so weit voraus zu sein. Selbst die klügsten Köpfe der Physik an der Uni konnten nicht mit ihm mithalten. Und wenn schon brillante Leute im Vergleich zu ihm langsam dachten – wie viel Geduld musste ihndann der Umgang mit durchschnittlichen Menschen kosten?

Jenna war überzeugt, dass die geistige Stimulation durch einen Geistesriesen es wert war, dafür einige Schrullen in Kauf zu nehmen. Das gehörte einfach dazu. Sie hatte mal einen Film über Stephen Hawking gesehen und darüber, wie seine Frau nicht nur mit den Schrullen eines superintelligenten Mannes klarkommen musste, sondern auch damit, dass dieser Mann vollständig gelähmt war. Nun, abgesehen von seinem Penis jedenfalls, denn sie hatten drei Kinder miteinander, auch wenn Jenna sich nicht besonders gern bildlich vorstellte, wie sie das wohl bewerkstelligt hatten.

Die Situation der Hawkings war tausendmal schwieriger als alles, womit sie sich je konfrontiert gesehen hatte. Nathan war nur modeblind, geistesabwesend und nahm manchmal alles zu wörtlich. Ziemlich regelmäßig führte er murmelnd Selbstgespräche und vergaß oft, wo er seine Sachen hingelegt hatte, weil sein brillanter Geist nicht immer mit dem alltäglichen Kleinkram zurechtkam. All das fand sie inzwischen liebenswert an ihm.

»Okay, wenn ich es also niemals erraten könnte, dann sag es mir doch einfach.« Sie hob ihr Glas.

»Ich dachte schon, du würdest nie fragen«, antwortete er grinsend. »An dem Tag, als du abgereist bist, hatte ich eine Eingebung, und seitdem arbeite ich rund um die Uhr daran. Es ist wirklich verblüffend. Ich bin da über ein paar esoterische Berechnungen gestolpert, aus denen nie jemand irgendeinen konkreten Nutzen ableiten konnte, und ganz plötzlich hat mich eine Erkenntnis getroffen und zu einem wirklich bemerkenswerten Schluss geführt.«

»Wie bemerkenswert?«

»Du-trinkst-gerade-Wein-aus-einer-Flasche-bemerkenswert. Vielleicht sogar Nobelpreis-bemerkenswert. Ich habe das Ganze noch nicht auf Praxistauglichkeit überprüft, aber zumindest theoretisch könnte es ein echter Durchbruch sein. Etwas Gewaltiges. Ich will damit nicht sagen, es wäre dieselbe Liga wie die Relativitätstheorie, aber andererseits lässt sich das nicht feststellen, ehe ich es nicht genauer ausgearbeitet habe. Und selbst wenn es sich nicht ansatzweise als so bedeutsam erweisen sollte, glaube ich, dass es für die Welt ebenso überraschend sein wird wie damals, als Einstein seine Theorien vorgestellt hat. Und vielleicht genauso revolutionär.«

»Und daran hast du die ganze Woche gearbeitet?«

Er nickte.

Das erklärte seinen offensichtlichen Schlafmangel. Wenn ihn eine große Idee am Wickel hatte, arbeitete er ohne Unterbrechung, bis er schließlich vor Erschöpfung zusammenbrach. »Wieso hast du beim Skypen nie was davon erzählt?«

»Na ja, du stecktest mitten in einer Krisensituation, und ich wollte, dass du dich in dieser Woche ganz auf dich und deine Schwester konzentrieren kannst. Außerdem war ich nicht ganz sicher, ob ich nicht einfach nur halluziniere. Bin ich immer noch nicht ganz.«

»Du machst mich fertig. Erzählst du mir, worauf du da gestoßen bist?«

Wexler lächelte. »Ich weiß nicht«, neckte er sie. »Vielleicht sollte ich warten, bis ich mir meiner Sache vollkommen sicher bin. Ich muss die Berechnungen und logischen Schlüsse noch auf Herz und Nieren prüfen und es den besten Leuten vorlegen, die ich kenne, um ganz sicher zu sein, dass ich mich damit nicht blamiere. Kann sein, dass ich irgendwas Wichtiges übersehen habe.«

»Uns ist aber beiden klar, dass das ziemlich unwahrscheinlich ist.«

»Ich weiß dein Vertrauen zu schätzen«, sagte Wexler verlegen. »Aber in diesem Fall stellt die Komplexität von Mathematik und Logik alles in den Schatten, woran ich mich bisher versucht habe. Dagegen wirkt die Stringtheorie so einfach wie schlichte Addition. Ich habe schon an Dan Walsh geschrieben und ihm mitgeteilt, was ich entdeckt zu haben glaube, und ihn gebeten, sich ein bisschen Zeit freizuschaufeln, damit er auch einen Blick darauf werfen und die Richtigkeit meiner Berechnungen überprüfen kann.«

Dan Walsh war Physiker an der nahen UCLA und seit Jahren ein enger Freund Nathan Wexlers.

»Okay«, sagte Jenna. »Das ist ja alles ganz süß, Nathan. Gefällt mir, wie du den Spannungsbogen aufziehst. Aber jetzt reicht’s. Mich hält es kaum noch auf dem Stuhl. Ernsthaft.« Sie stellte ihren Weinkelch auf dem Beistelltisch ab. »Also sag schon. Spuck’s aus. Ich stoße nicht mit dir auf eine bahnbrechende Entdeckung an, ohne den allergeringsten Schimmer zu haben, worum es dabei überhaupt geht.«

Wexler tippte aufs Display seines Handys, und aus dem Lautsprecher ertönte ein Trommelwirbel.

»Nicht dein Ernst!« Jenna lachte. Anscheinend beschränkten sich seine Vorbereitungen nicht auf den Wein. »Ich wusste ja nicht, dass du so einen ausgeprägten Sinn für Dramatik hast.«

»Du weißt eine ganze Menge nicht über mich«, antwortete er breit grinsend, untermalt vom Trommelwirbel, der in Dauerschleife lief.

Die Haustür flog auf, und drei Männer stürzten über die Schwelle in ihr kleines Zuhause, als wäre der Trommelwirbel ihr Stichwort gewesen.

Ganz kurz glaubte Jenna, sie seien Teil der Show, aber etwas an ihnen, ihr Aussehen, ihr Ernst, passte nicht dazu, und sie hatte sofort das Gefühl, dass diese Männer hochgefährlich waren. Und Nathans Reaktion – ihm blieb der Mund offen stehen, die Augen quollen ihm fast aus den Höhlen – machte ihr dann endgültig klar, dass er diese Leute nicht eingeladen hatte.

Sie wusste nicht, wer diese Männer waren und warum sie ihr Haus stürmten, aber eins war sicher – sie wussten genau, was sie taten. Sie hatten nicht nur vollkommen lautlos das Schloss geknackt, sondern es auch noch irgendwie geschafft, den Alarm auszuschalten.

Was zum Teufel ging hier vor?

Stumm standen die Männer da und warteten, bis die beiden Wissenschaftler ihren plötzlichen Auftritt verdaut hatten.

»Wer sind Sie?«, flüsterte Nathan Wexler den drei Eindringlingen zu. »Und was wollen Sie hier?«

 

Douglas E. Richards: „Split Second – Zurück in der Zeit“ ∙ Roman ∙ Aus dem Amerikanischen von Maike Hallmann ∙ Wilhelm Heyne Verlag, München 2018 ∙ 448 Seiten ∙ Preis des E-Books € 11,99 (im Shop)

 

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