Straßengeschichten, Minenflüche und Adelselend
Phantastik-Comic-Neuheiten im Juli
Manu Larcenet adaptiert meisterhaft Cormac McCarthys „Die Straße“, Scott Snyder ergänzt seine Comixology-Kollektion um einen Horror-Western, und das Künstlerduo Lewelyn/Jérôme Lereculey lässt Tiere sprechen.
Manu Larcenet: Die Straße
Manu Larcenet gehört zu den besten und vielseitigsten Zeichner*innen der Gegenwart: das fiebrige Psychogramm eines Serienkillers „Blast“, die Mikrostudie des autoritären Charakters „Brodecks Bericht“, die melancholische Komödie „Der alltägliche Kampf“, mehrere Beiträge zu Lewis Trondheims Fantasy-Parodie „Donjon“ – Larcenet scheint sich jedes Sujet mühelos anzueignen, gleicht seinen Stil perfekt dem Inhalt an, und nachdem er sich durchgearbeitet hat, bleibt ein großes oder kleines Meisterwerk für die Geschichtsschreibung des Mediums zurück. Seine Adaption von Cormac McCarthys Roman „Die Straße“, seinerseits mit dem Pulitzer-Preis geadeltes, radikales Schwergewicht unter den postapokalyptischen Stoffen, tanzt da nicht aus der Reihe und wird zum Jahresende die Bestenlisten dominieren.
Im Prinzip ist es ein Zwei-Personen-Kammerspiel, weil die geschilderte abgestorbene Welt zum gigantischen Gefängnis der wenigen Überlebenden geworden ist, die nichts mehr bereithält, was Hoffnung auf einen Neuanfang schüren könnte. Die Menschen sind selbst zur letzten Ressource geworden, entweder quälen sie sich durch die Zivilisationsruinen auf der Suche nach Lebensmitteln aus früheren Zeiten oder werden zu Kannibalen. Die Frage nach der Sozietät wird schnell zum jede Sequenz implizit mitbestimmenden Leitmotiv. Die Gespräche über den Sinn und Unsinn des Überlebens zwischen Vater und Sohn, den beiden, den einzigen Hauptfiguren, gleichen einem paradoxen Generationenkonflikt: Der Vater verzweifelt an den Erinnerungen an bessere Tage und gleicht sein Handeln den Bedingungen des Elends an; der Sohn kennt keine besseren Tage, kann aber die Grausamkeit der marodierenden „Bösen“ nicht verstehen, zumal die good guys nur wenige Schritte von den bad guys trennen. Survival of the fittest bedeutet hier nicht, heroisch, mit edlerer Grobschlächtigkeit den zivilisatorischen Kollaps zu überstehen, sondern ständig die Frage zu verhandeln, ob ein Leben ohne Humanität überhaupt noch funktioniert. Wenn der an einer Lungenkrankheit leidende Vater seinem Sohn erklärt, wie ihre Pistole, die nur noch zwei Patronen enthält, benutzt wird, dient diese Instruktion nicht der Selbstverteidigung.
In „Die Straße“ ist das Leben ein unablässiges Vegetieren unter dem Diktat der toten Erde. Die Dramaturgie ist geknüpft an die sinnlose Fortbewegung: Warum die Zwei in den Süden ziehen, wissen sie selbst nicht so recht, und die Konfrontationen mit anderen Menschen sind fürchterlich, aber quantitativ eher Randerscheinungen. Im Nichts geschieht nicht viel. Larcenets Zeichnungen – und das verbindet ihn mit John Hillcoats Verfilmung von 2009 – erzählen nichts von der Kontemplation des Untergangs, wie ihn das Blockbuster-Kino so oft ästhetisch goutierbar macht, jedoch viel von der vergeblichen Errettung der Moral in einer auch sozial völlig zerstörten Welt. Nichts für Rousseau-Anhänger*innen.
Manu Larcenet: Die Straße • Reprodukt, Berlin 2024 • 160 Seiten • Hardcover • € 25,00
Scott Snyder, Dan Panosian: Canary
Und ein weiterer Band aus Scott Snyders Comixology-Kollektion, die der Splitter Verlag gedruckt herausbringt. An Genre-Vielfalt findet der Autor offensichtlich gefallen, „Canary“, gezeichnet von Dan Panosian, ist ein Horror-Western-Hybrid, und nicht der schlechteste. Der Plot dreht sich um eine verlassene Kupfermine des titelgebenden Ortes, um die sich allerlei düstere Legenden ranken, und es obliegt dem Revolverhelden Marshal Holt, dem Mysterium auf den Grund zu gehen. Der ist nicht nur Gesetzeshüter, sondern auch Protagonist einer populären Groeschenroman-Reihe, in der seine Taten besungen werden, und wurde damit beauftragt, eine Mordserie aufzuklären, die mit der Mine in Verbindung zu stehen scheint. Für Snyder ein Aufhänger, um immer wieder die Anfänge der Pulpliteratur zu preisen, und grundsätzlich versteht er bestens, mit der Spannungskurve umzugehen. Das Baustein-Prinzip trägt so lange, bis sich im Finale wieder mal zeigt, dass die Maßgaben des Genres keinesfalls mit neuen Modellen belästigt werden sollen. Mehr Retro-Spielwiese denn Herausforderung.
Scott Snyder, Dan Panosian: Canary • Splitter Verlag, Bielefeld 2024 • 160 Seiten • Hardcover • € 25,00
Lewelyn, Jérôme Lereculey: Die 5 Reiche Band 12
Eine frankobelgische Perle, die ein wenig unter dem Radar läuft: In bereits zwei Zyklen, von denen der vorliegende Band letzteren beschließt, entblättern Szenarist Lewelyn und Zeichner Jérôme Lereculey ein komplexes Ränkespiel mehrerer verfeindeter Königshäuser, dessen vordergründige Niedlichkeit – die Figuren sind allesamt Tiere und weisen in kleinen Dosierungen auch entsprechende Eigenschaften ihrer Art auf – sowohl von der komplexen Plotkonstruktion als auch dem kompromisslosen Blutzoll desavouiert wird. Wie in „Game of Thrones“ ist das gesamte Personal stets gefährdet und in seinen Entscheidungen nur mäßig durchschaubar, sind die politischen Intrigen so launig inszeniert, dass sie sich auch als galliger Kommentar zum Wesen von Macht und Herrschaft eignen. Eine der derzeit interessantesten Serien auf diesem Sektor, die im kommenden Jahr mit einem ersten Spin-off fortgesetzt wird, bis ein weiterer Zyklus folgt.
Lewelyn, Jérôme Lereculey: Die 5 Reiche Band 12 • Splitter Verlag, Bielefeld 2024 • 56 Seiten • Hardcover • € 17,00
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