31. Mai 2024

„Welcher Außerirdische hat diesen Film gemacht?“

George Lucas' schwere Star-Wars-Geburt, erzählt als galaktisch guter und überraschend luftiger Comic

Lesezeit: 8 min.

Gehen wir (aus Gründen) einen kleinen Umweg, lassen wir zunächst Harlan Ellison (1934-2018; im Shop) sprechen, der nicht nur unvergleichlicher Fantast, sondern auch leidenschaftlicher Filmkritiker war. 1977 gelangte – unfassbar widrigen Umständen zum Trotz, dazu später mehr – ein Film in die Kinos, der den Titel Star Wars trug (Krieg der Sterne; später aufgrund episch-serieller Prequel-Sequel-Ausbauten in Episode IV – Eine neue Hoffnung umbenannt), die Kinowelt in imperialem Sturm nahm und den Grundstein für das wohl bekannteste und erfolgreichste Film-Franchise aller Zeiten legte. Mindestens eine öffentlich gut vernehmbare Stimme mochte nicht in den Jubelchor einsteigen. Sie gehörte Ellison, dessen seinerzeitiger, Luke Skywalker Is A Nerd And Darth Vader Sucks Runny Eggs überschriebener Verriss bis heute zu den Referenztexten für Menschen gehört, die der Weltraummärchensaga und ihrer populärkulturellen Platzhirsch-Anmutung eher wenig abgewinnen können. „It is all bread and circuses,” nichts als Brot und Spiele, schreibt Ellison und bezeichnet Unterhaltungskunst, die einen gezielt verblöden lässt, als Kapitalverbrechen: „Must ‚entertainment‘ be synonymous with ‚mindless‘ or ‚without content‘? How foolish of us to have thought Mary Shelley’s Frankenstein was entertaining, or Poe, or Pinter, or Scorseses Taxi Driver. Troubling, yes; forcing us to think, yes; but entertainment nonetheless.”

Hiermit liefert Harlan Ellison mehr als eine starke sogenannte Meinung, sondern zieht dem überaus faden Leichte-Schauwert-Kost-ist-doch-nichts-Schlimmes-alles-Geschmackssache-Argument gekonnt die Zähne. Was ihn, der sich produktiv aufregen konnte wie kaum ein zweiter, an Star Wars aufregt, hat womöglich weniger mit der spezifischen, kindergemütstauglichen Überwältigungskunst von George Lucas zu tun. Vielmehr geht’s um ein so frustriertes wie angemessenes Unbehagen an der Tatsache, dass dieser alle Rekorde brechende Film – gerade durch den unschuldigen Kuhaugenblick, mit dem er uns anblickt und wir ihn anblicken – nebenbei und quasi im Alleingang noch zwei weitere, einen wie Ellison zur Verzweiflung treibende Einbrüche verantwortet. Erstens brüllt Star Wars einer überaus breiten Weltöffentlichkeit entgegen: So muss ab jetzt Sci-Fi aussehen, schön doof, die Zukunft spielt vor langer Zeit in einer weit, weit entfernten Galaxis; eine Science-Fiction, wie Ellison sie sich vorstellt und repräsentiert, die auch mal ein bisschen mehr will, als den bis ins hohe Alter stur achtjährig verharrenden Zirkusspektakelanspruch in uns zu bedienen, ist ab jetzt für alle Zeiten von Lucas und seinem mächtig breiten Jedi-Hintern an den Rand gedrängt. Zweitens ist – siehe oben – der Begriff der Unterhaltung generell für immer versaut, diskreditiert, weil von Kindsköpfen gekapert, enorm lukrativ und unumkehrbar ans Leichte, Seichte, alternativlos Unterkomplexe, die Oberfläche gekoppelt.

Pardon für dieses umständliche Präludium und nun aber zur Sache. Auch der Verfasser dieser Zeilen – immerhin einer, der den ursprünglich zweiten Teil, Das Imperium schlägt zurück (1980), mit acht Jahren im Kino sah und die Durchschlagskraft des Phänomens am eigenen Leib erlebte – hat sich bislang eher auf der Linie Harlan Ellisons gewähnt. Das ist jetzt anders, weil es George Lucas: Der lange Weg zu Star Wars von Laurent Hopman und Renaud Roche gibt. Der akribisch recherchierte und so szenisch-rasant wie locker-entspannt erzählte Comic hält exakt, was sein Titel verspricht. Eine George-Lucas-Biografie ist er zwangsläufig auch, folgt jedoch keiner beflissenen Chronistenpflicht, sondern macht – weitgehend chronologisch – jeweils dort Station, wo eine Etappe auf jenem Weg markiert ist, der zu Star Wars führt.

Die Kindheits- und Jugendepisoden in der kalifornischen Kleinstadt Modesto drehen sich um Georges Leidenschaft für schnelle Autos, Flash Gordon und DCs Tommy-Tomorrow-Comics (die Lucas auf seine Luke-Anakin-Vater-Sohn-Plot-Idee bringen). Schon früh zeichnet sich ein verschlossen-verschrobenes, im sozialen Miteinander unbeholfenes Naturell ab, das ihm später sowohl beim Verfassen von Drehbuch-Dialogen als auch bei den Dreharbeiten im Weg stehen wird; ebenso liegen hier die Grundsteine für seine rettungslos an Genre-Pulp-Schauwerte verlorene und dennoch sprühende Fantasie sowie für seinen unbedingten Willen, den langen Weg bis zu Star Wars überhaupt anzutreten – und nicht mehr davon abzuweichen, trotz aller Hürden und Hindernisse. Seine Ehefrau Marcia Lou Griffin ist nicht nur eine hochtalentierte Cutterin, sondern wird auch auf anderen Ebenen (wie als konsequent kritische Erstleserin seiner Skriptentwürfe) zu einer wichtigen Arbeitspartnerin. Er lernt andere seines Schlages kennen: Mavericks, die Hollywood aufmischen und dessen Regeln brechen, der Filmindustrie aber gleichzeitig so zuliefern, dass den Studiomanagern nicht nur die Ohren, sondern auch gewaltig die Kassen klingeln, dem New Hollywood nach und nach entwachsende Regie-Superstars, Blockbuster-Erfinder und Oscar-Abräumer wie Francis Ford Coppola (das wesenhafte Vorbild Han Solos) oder Steven Spielberg, der sich nach der Vorführung von Lucas‘ Gesellenstück, dem Science-Fiction-Kurzfilm THX 1138 4-EB, vollkommen geplättet und euphorisiert fragt: „Mein Gott, welcher Außerirdische hat diesen Film gemacht?“ (S. 23).

Die Geldgeber lehnen seinen zweiten Langfilm American Graffiti (1973) ab, doch da der Publikumszuspruch umso größer ausfällt, ist der weitere Weg zumindest prinzipiell geebnet, und George, Hopman und Rechaud präsentieren auf Seite 40 die Grundidee des ersten Entwurfs: „Erzählt wird die Geschichte […] eines alten Generals, der eine Prinzessin aus den Klauen des Imperiums, einer galaktischen Diktatur, befreien will.“ Die restlichen vier Fünftel des Comics folgen der Entstehung jenes Films, der dank der Schrullen und Beharrlichkeit seines Schöpfers weniger dessen Leben, sondern das Kino und die Unterhaltungskulturindustrie verändert – insofern ist George Lucas: Der lange Weg zu Star Wars eben keine typische Comic-Biografie, vielmehr ein biografisch-faktisch grundierter Comic über das Filmemachen, definitiv Erzählung statt Sachbuch. Das Skript wird immer wieder umgeschrieben. Der ständige Kampf gegen die Sabotagen der Studiobosse nimmt bizarre Ausmaße an; die 20th Century Fox verweigert ihm buchstäblich bis zum Schluss einen Vertrag. Die Produzenten Gary Kurtz und Alan Ladd junior sind seine wichtigsten Gefährten in der Dauerschlacht gegen das Imperium. Lucas‘ Ideen und seine Art, sie zu artikulieren, sind für das in weiten Teilen hochnäsige Team – aus Kostengründen wird in England gedreht, wo man gewohnt ist, mit einem Kaliber wie KUBRICK zu drehen – gewöhnungsbedürftig, etwa der Wunsch, der Millennium Falke möge aussehen wie eine Mischung aus Hamburger und Schweinekotelett. Kurz: „Er sieht zwar aus wie ein Buchhalter, ist in Wahrheit aber völlig durchgeknallt…“ (S. 92) Die einzige Regieanweisung, die der interaktionsgehemmte Regisseur für seine mitunter unerfahrenen Darstellerinnen und Darsteller parat hat, lautet: „Noch einmal, aber schneller und intensiver!“ Die strengen Arbeitsgesetze am englischen Set schreiben vor, um punkt 17 Uhr 30 das Werkzeug fallenzulassen, auch mitten in einer Szene. Die Zeit rast davon… und doch.

1975 gründet er Industrial Light & Magic, weil sein so gut wie ausschließlich visuelles Denken (zum Beispiel bezüglich der Dynamik von Weltraumschlachten) dem bis dato tricktechnisch Möglichen vorausläuft – die Technikgrundlage, auf der seine Bilder entstehen können, muss erst noch und extra für diese Bilder erfunden werden. Lucas hat außerdem neben den Veteranen vor Ort in England auch tolle Leute an Bord geholt, die (Haupt-)Rollen nach flüchtigen Casting-Eindrücken und Bauchgefühl perfekt besetzt, mit Ben Burtt einen beispiellos engagierten Sammler und Künstler von Toneffekten bei der Hand (Laserschwert-Sound: Schnurren eines Filmprojektors plus Fernsehkathoden-Geräusch) und wird auf den letzten Drücker von John Williams mit einer Filmmusik beschenkt, die seine kühnsten Erwartungen übertrifft. Am Ende ist die Macht ganz mit George: Star Wars wird innerhalb weniger Wochen „zu einem gigantischen Kulturphänomen“ (S. 182), das u.a. ein junger Regisseur namens Ridley Scott mit den Worten kommentiert: „Wir müssen unsere Art, Filme zu machen, komplett überdenken… Dieser Lucas lebt nicht in derselben Welt wie wir. Nicht mal im selben Jahrhundert.“ (ebd.)

Tja, Harlan Ellison. Zwar mag dein Vorwurf der Hegemonie von Hirn- und Anspruchslosigkeit nicht ausgeräumt sein, und vermutlich wird, wer ganz und gar bei dir ist, von diesem Comic nicht zum Yoda- und Ewok-Liebhaber bekehrt. Doch Hopman und Roche liefern zu viele gute Gründe dafür, George Lucas und dessen Hauptwerk mit frischem, in kultur- und ideologiekritischer Hinsicht gedimmtem Blick zu betrachten. Beide sind lesbar Fans von Star Wars, verfallen aber nie in panegyrische Heldenverehrung und erzählen keine Märchen, sondern ihre mühselige und pannenreiche Chanson de geste in leicht ironisch gefärbtem Dauerstaunen darüber, dass all das (mehr oder weniger) wahr ist. Vielleicht gibt es, böses hohles Franchise-Imperium hin oder her, ab und an doch Wichtigeres in der populären Erzählkunst als Mangel an Tiefgang und Geist, jedenfalls dann, wenn – wir glauben den Biografen einfach mal aufs Wort – ein temperamentgedämpfter Typ wie Lucas (der abseits seiner Öffentlichkeitsscheu ein ziemlich anständiger Mann zu sein scheint) mit einem so kompromisslos visionären, genuin filmisch getriebenen Temperament befeuert daherkommt. Und wenn er schon kein Künstler ist: prima. Dann ist es eben keine Kunst, keine Science-Fiction, sondern eine andere Art von Geist, die einen anweht, kindlich statt kindisch und von entwaffnender Aufrichtigkeit, unberührt von dem, was die Welt draußen aus seiner Weltenschöpfung macht.

Das ultimative Bild dafür finden Hopman und Roche schließlich in Lucas und Spielberg, die sich gemeinsam von ihren Drehstrapazen auf Hawaii erholen (Spielberg hat soeben Unheimliche Begegnung der dritten Art beendet) und dort am Strand: albern aufwendige Sandburgen bauen. Überhaupt, die Grafik. Wie Skizzen und Vorstudien im Anhang – zu dem auch eine üppige Quellenbibliografie gehört – zeigen, wollte Renaud Roche die Sache zunächst in klassisch-realistischem Stil angehen, mit fein gezogenem Strich und aufwendigen Schraffuren. Stattdessen hat er sich für breitere, luftige Tuschekonturen entschieden, ungefähr an Baru oder Yves Chaland erinnernd, jedenfalls entschieden europäisch wirkend, im Rahmen des Stoffes alles andere als naheliegend und daher umso überraschender. Das ist nicht nur supersüffig anzuschauen, sondern zeitigt auch einen dezenten Verfremdungseffekt – jedenfalls hat Roche sichtlich Spaß daran (den die Leserschaft mühelos teilen kann), die ikonischen Figuren wie Chewbacca oder C-3PO und die unverkennbaren Physiognomien von Carrie Fisher, Harrison Ford, Mark Hamill oder Alec Guinness seinem eigenen Stil einzuverleiben und auch sie auf diesem Weg neu und unverbraucht in den Blick zu nehmen. Die Kolorierung fällt monochrom, aber tonal vielfältig aus. Das dominierende, abgestufte Grau wird durch eine Palette gedämpfter Farben ergänzt (gewissermaßen ist dies ein bunter Schwarz-Weiß-Comic), in denen wiederum punktuell knalligere Töne bestimmte signifikante Details akzentuieren (wie ein Baseballkappen-Schriftzug oder, auch mal symbolisch, der knallrote Apfel, den Ford vor seiner ersten Kussprobe mit Fisher verspeist). Und all das dient eben ideal dem Zweck, auch Star-Wars-Skeptikern beizubringen, welch einen bewundernswerten Weg George Lucas bis zu und mit dem Krieg der Sterne doch gegangen ist. Grad hat man ihm in Cannes die Ehrenpalme für sein Lebenswerk überreicht, doch dieser Comic ist irgendwie die wichtigere Würdigung.

Abb. Splitter Verlag

Laurent Hopman / Renaud Roche: George Lucas: Der lange Weg zu Star Wars • Aus dem Französischen von Christoph Haas • Splitter Verlag, Bielefeld 2024 • Hardcover • 208 Seiten • € 29,80

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