22. Mai 2017 2 Likes

Phänomen „Twin Peaks“

TV-Kult und Legende seit 1990

Lesezeit: 4 min.

1990 sollte sich das Film- und Fernsehverständnis nachhaltig völlig verändern. Hollywoods mehrfach für den Oscar nominierter Regisseur David Lynch begab sich in ein Gebiet, in dem sich nur sehr wenige Filmemacher bis dahin wohl fühlten: das Fernsehen. Autor Mark Frost folgte ihm und die Mystery-Serie „Twin Peaks“ war geboren.

Damals war die TV-Landschaft noch eine gänzlich andere: Beherrscht von seichter Unterhaltung, Seifenopern, Zeichentrickserien und familienverträglicher Comedy so weit das Auge reichte, blieb es bei „erwachsener Unterhaltung“ meist bei selten oder schlecht-produzierten TV-Filmen. Ein kleines Häppchen nach dem anderen. Serialisierte, unverarbeitet-bebilderte Rohkost in mundgerechneten Stücken. Heute kaum mehr anders vorzustellen, in einer Zeit in der TV-Serien den Medienkonsum eines jeden atmenden Menschen zu beschäftigen scheinen, wären ohne „Twin Peaks“ unsere Lieblinge wie „True Detective“, „Game of Thrones“, „Stranger Things“ – und wie sie alle auch heißen mögen – kaum denkbar.

David Lynch brachte nicht nur die erwachsene, tiefschürfende, wenn auch verstörende Magie seiner Filme „Dune“, „Der Elefantenmensch“ und „Blue Velvet“ ins Fernsehen, sondern bereicherte das episodische Erzählformat durch seine cineastischen Sensibilitäten und seine Art House-Qualitäten. Das sogenannte „Auteur“-Fernsehen erblickte zum ersten Mal das Licht der Welt: Ein Schöpfer, der sämtliche Aspekte eines kreativen Projektes übernimmt, leitet, und seine Handschrift spürbar macht. Heute ist die Idee des „Auteurs“ kaum mehr aus der Filmtheorie und dem Fernsehen wegzudenken, unter die hervorragende Vorbilder fallen, wie Nic Pizzolatto („True Detective“), Julian Fellowes („Downtown Abbey“) oder auch Joss Whedon („Firefly“, „Buffy“), neben unzähligen anderen.

Was zeichnet aber nun „Twin Peaks“ aus? Neben dem deutlichen Ruf des „Ich bin ein Werk David Lynchs!“ wurde mit „Twin Peaks“ der erste „gigantische Film in Episodenform“ erschaffen. Das Fernsehen wirkte nun nicht mehr wie leichte Kost, sondern drang danach verschlungen zu werden, samt all dem Surrealismus und Exotik, die Lynch und Co-Autor Mark Frost mit einbrachten. Themen wie Vergewaltigung, sexuelle Orientierungen und Fetischisierung schlichen sich plötzlich in die nichts ahnenden Heime der Zuschauer. Unter Filmliebhabern, die sich nach malerischen Geschichten sehnten, galt das Fernsehen als tote Zone, ein Unding, das den Geist abstumpft. Niemand rechnete damit, dass David Lynch die psycho-sexuellen Grenzen der „unschuldigen“ Vereinigten Staaten malträtieren würde, was der Serie dann auch vorgeworfen wurde: Zu explizit seien die Geschehnisse, unverträglich für das Kabelfernsehen. Aber dennoch schalteten nach wie vor Millionen von Zuschauern „Twin Peaks“ ein, trotz wechselnder Sendezeiten.

Denn in der reinen Form betrachtet ist „Twin Peaks“ eine Kriminalgeschichte um den Mord der jungen Laura Palmer. Schnell wird durch die zugleich bedrückende und skurril aberwitzige Atmosphäre jedoch deutlich, dass weitaus mehr dahinter steckt. Neben den einmalig-surrealen Jazz- und Blues-Kompositionen des Italieners Angelo Badalamenti, die für die Atmosphäre sorgen, beleben allerhand exzentrische und wunderliche Bewohner das namensgebende verschlafene Städtchen Twin Peaks, hinter dessen Türen und roten Vorhängen so mancher Fetisch versteckt ist. Ein jeder dieser Bewohner scheint zu allem Überfluss auch noch etwas zu verbergen. Und draußen in den Wäldern wartet noch etwas viel Düstereres auf den Zuschauer.

Das klingt heute nicht mehr nach viel, aber es gibt bis dato kaum eine Serie, die ihr Werk so gut versteht und meistert wie „Twin Peaks“. Die erste Staffel funktioniert selbst heute noch genauso gut, wie vor gut 27 Jahren. Gerade Figuren wie der für einen Helden untypische aber liebreizende FBI-Agent Dale Cooper, die kecke Audrey Horne (zumindest ihre Darstellung in der ersten Staffel) oder David Lynchs eigener Charakter Gordon Cole sind meilenweit entfernt von stereotypischer Darstellung. Krimi und Seifenoper mit einer ordentlichen Prise Horror, gepaart mit dem schwarzen Humor, der surrealen, traumartigen Atmosphäre und der äußersten Liebe zum Detail machen „Twin Peaks“ zu einem Unikum.

Einem hohen Flug folgt aber bekanntlich auch oft ein tiefer Fall: Mit der zweiten Staffel überspannte „Twin Peaks“ den Bogen. Während viele Zuschauer nach der Enthüllung des Mörders der jungen Laura Palmer der Serie Lebewohl sagten, verloren sich auch Mark Frost und David Lynch im Zwist. Beide blieben dem Drehort oft fern, nachdem auf Drängen des Senders ABC der Mord aufgeklärt wurde. Die auszeichnenden Merkmale der ersten Staffel waren zwar immer noch vorhanden, jedoch schwappte die Serie nun förmlich über vor Intrigen, irrsinnigem Seifenoper-Geplänkel und dem einen oder anderem unerwünschten Handlungsfaden.

Die Quoten fielen und ABC drohte damit, die sechs letzten Folgen nicht mehr auszustrahlen. Nach einer erfolgreichen Brief-Kampagne der Fans flimmerten die finalen Episoden dann doch in den amerikanischen Haushalten. Und zu allem Übel endete die zweite Staffel dennoch mit gleich mehreren Cliffhangern, die bis heute ungeklärt blieben. Selbst der 1992 veröffentlichte Film „Twin Peaks: Fire Walk With Me“ (deutsch: „Twin Peaks – Der Film“) diente nur als unversöhnliches Prequel und blieb viele Antworten schuldig, während sich zugleich neue Fragen auftaten. Mark Frost und David Lynch gingen nach den durch die zweite Staffel eröffneten Differenzen getrennter Wege und so musste Lynch fast im Alleingang den Film zu Ende bringen. Dieser floppte und verärgerte Zuschauer wie Kritiker, und blieb der einzige „Twin Peaks“-Film von ursprünglich drei geplanten, die die Serie zu einem Ende bringen sollten. Inzwischen blickt die große Allgemeinheit aber mit deutlich wohlwollenderen Augen auf den Film zurück, der eine noch deutlichere Lynch-„Handschrift“ trug, die spätere Filme wie „Mulholland Drive“ auszeichnen sollte.

Nichtsdestotrotz blieb es dann trotz anhaltendem Fan-Kult still um „Twin Peaks“ und 2001 bezeichnete David Lynch die Serie als „mausetot“. Entgegen aller Hoffnungen gab es dann 2014 doch die ersten Lebenszeichen, als David Lynch und Mark Frost ganz im Stile einer der Catchphrases der Serie twitterten: „That gum you like is going to come back in style!“ Das „Twin Peaks“-Revival auf dem US-Pay-TV-Sender Showtime war geboren, welches in 18 Folgen ab dem 21. Mai 2017 ausgestrahlt wird und auch hier in Deutschland bereits ab dem 25. Mai beim Sender Sky übertragen wird, welcher vor zwei Jahren einen Exklusiv-Deal mit Showtime einging.

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