16. Februar 2022 1 Likes

„Titane“ - Sex mit einem Cadillac? Why not?

Achterbahnfahrt ohne Grenzen

Lesezeit: 3 min.

Der neue Film des französischen Ausnahmetalents Julia Ducournau setzt voll und ganz auf die Kraft des Mediums Films, die in den letzten Jahre nur noch vereinzelt, etwa in Panos Cosmatos’ „Mandy“, vollumfänglich spürbar war. Leider hat sich ansonsten, vielleicht aufgrund der unzähligen Literaturverfilmungen, die Denkhaltung etabliert, dass ein Film eine Geschichte bebildern muss, dabei ist es doch genau umgekehrt: Die Geschichte sollte in Bildern erzählt werden, es heißt nicht ohne Grund so schön: „Show, don’t tell!“

Und so lebt „Titane“, Docournaus zweite Arbeit als Regisseurin und Autorin, vor allem von Blicken, Gesten, Aktionen und die mit einem liebevollen, bewundernden Blick inszenierten, geschundenen Körper ihrer beiden bravourös gespielten Hauptfiguren. Das phasenweise dialoglose, immer bedeutungsoffene Geschehen dreht sich um ein kleines, von ihrem Vater ungeliebtes Mädchen mit Namen Alexia, das nach einem Autounfall eine Titanplatte in den Schädel implantiert bekommt, die offenbar ihr erotisches Interesse an Fahrzeugen weckt. Einige Jahre später verdingt sich die erwachsene, die meiste Zeit schweigsame Alexia als Erotiktänzerin bei Auto-Shows und tötet eines Abends einen aufdringlichen Fan mit einer Haarnadel. Anschließend hat sie Bondage-Sex mit einem Cadillac, worauf sie schwanger wird: Der Bauch beginnt anzuschwellen, ihr tropft Motoröl aus der Vagina. Nach drei weiteren Morden, bringt sie ihre Eltern um und nimmt, als sie merkt, dass die Polizei sich an ihre Fersen geheftet hat, die Identität von Adrien, dem vor 10 Jahren verschwundenen Sohn des Feuerwehrkommandanten Vincent an, der seinen Körper regelmäßig mit Hormonspritzen versorgt. Der Beginn einer ungewöhnlichen Beziehung, die keine Grenzen kennt.

Angesiedelt ist das Ganze irgendwo zwischen David Cronenbergs „Crash“ (1996) und Shinja Tsukamotos „Tetsuo: The Iron Man“ (1989), lässt aber jederzeit Ducournaus eigene Stimme erkennen. Wie bereits in ihrem fulminanten Debüt „Raw“ (2016) geht es erneut um Selbstfindung, Selbstbestimmung, Überwindung von Grenzen, schlicht um Freiheit. Letzteres macht sich dieses Mal auch in der Erzählhaltung bemerkbar, während ihre Debüt immer noch relativ konventionellen Strukturen verpflichtet war, pflegt der Nachfolger einen fast schon Stream-of-Consciousness-mäßigen Stil: Wild wird zwischen leisen, zurückhaltenden Tönen, harschen Gewaltspitzen und comichaften Szenarien gewechselt, die dem vorangegangenen diametral gegenüberstehen. Das kann man überkandidelt und anstrengend finden, ist aber einfach nur konsequent dem Inhalt verpflichtet.

Aber wer seine Erwartungshaltung – ähnlich wie Alexia ihren Körper – entsprechend der Gegebenheiten umbaut, wird schnell feststellen, oder, besser, wird fühlen, dass dieser so ungewöhnliche, verrückte und vermeintlich sperrige Film tief im Inneren auf unglaublich ehrliche und aufrichtige Art und Weise außerdem von etwas völlig Normalen erzählt, das wir alle nur zu gut kennen: Liebe!

Eine Anmerkung noch zur Homevideo-Auswertung von Koch Media: Während die damalige Universal-Scheibe von „Raw“ tatsächlich mit null Bonusmaterial daherkam, gibt’s dieses Mal – in der Steelbook-Edition – wenigstens den Soundtrack und zwei Interviews. Das ist schön, der Audiokommentar von Docournau und ihr Kurzfilm „Junior“ (beides auf der französischen Scheibe) wären für Fans aber ebenso toll gewesen.

„Titane“ ist gerade bei Koch Media auf Blu-ray, Steelbook (Blu-ray & CD), DVD und VOD erschienen.

„Titane“ (Belgien/Frankreich 2021) • Regie: Julia Docournau • Darsteller: Vincent Lindon, Agathe Rousselle, Garance Marillier, Mara Cisse, Marin Judas, Diong-Kéba Tacu

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