30. Oktober 2018 1 Likes

Leinwand-Wahnsinn!

„Mandy“: Heavy-Metal-Poesie in Reinform!

Lesezeit: 3 min.

2010 waberte mit dem an dieser Stelle vom Kollegen Bernd Kronsbein so treffend beschriebenen „Beyond the Black Rainbow“ einer der schönsten und vor allem bildgewaltigsten Science-Fiction-Horror-irgendwas-Filme über eine Handvoll kanadischer Leinwände, verendete dank extrem gespaltener Resonanz von Publikum wie Kritik dann aber kümmerlich auf gerade mal einem US-Homevideo-Release.

In den folgenden Jahren sorgte das Debüt von Panos Cosmatos weiterhin für heftige Irritation bis hin zur totalen Ablehnung, fand aber auch eine kleine, stetig anwachsende Gruppe an glühenden Befürwortern. Begründete Hoffnung auf einen Nachfolger durfte man sich allerdings trotzdem nicht machen, Cosmatos trat 2013 lediglich als Produzent der VHS-Doku „Rewind This!“ in Erscheinung, ansonsten blieb die Heizung leider kalt. Umso größer die Überraschung als im Sommer 2017 tatsächlich ein neues Projekt angekündigt wurde – die Hauptrolle sollte sogar der in den letzten Jahren gewaltig ins Straucheln gekommene, aber dank seiner eigenwilligen Schauspielkünste immer noch immens populäre Nicolas Cage übernehmen! Noch merkwürdiger wurde es, als „Mandy“ bei der Premiere im Januar dieses Jahres mit einer Welle der nahezu einstimmigen Euphorie empfangen wurde, was sich ein klein wenig nach Wiedergutmachung anfühlte – offenbar war einem Teil der Kritikermeute wohl bewusst geworden, was für ein Prachtstück man damals falsch eingeschätzt oder gar ganz ignoriert hatte.


Mandy (Andrea Riseborough) in „Mandy“

Ein bisschen wundert es jedenfalls schon, dass plötzlich unisono gejubelt wird, denn der Punkt ist nämlich: Die neuste Arbeit des genialen Bilderstürmers ist zwar einen Tick zugänglicher als die vorherige, was sich vor allem in einer sanften, bedauerlicherweise nicht immer stimmigen, Dosis Humor äußert, ansonsten weicht der Italo-Kanadier aber kein Schamhaar breit von seiner Linie ab, sprich: Trotz Rachethematik, trotz Cage, trotz kurzen, mit Splatter gewürzten Actioneinlagen schwelgt auch „Mandy“ wieder in unglaublichen, außerweltlichen Bildern, die wie schon beim Vorgänger oft eine seltsame Vertrautheit vermitteln, aber trotzdem irgendwie nie so recht zugeordnet werden können und zudem im genießerischen, fast schon ein wenig provokativen Zeitlupen-Tempo regelrecht zelebriert werden. Der Plot spielt dabei weiterhin kaum eine Rolle beziehungsweise macht sich nur als bis aufs Skelett runtergefressene Verbindung, die das Ganze irgendwie zusammenhält, bemerkbar. Folgerichtig wurde bei der Fantasy-Film-Fest-Aufführung in Stuttgart bereits nach 20 Minuten „Der ist schon arg ruhig!“ gemault und in Berlin sollen sogar „Buh“-Rufe vernommen worden sein, ganz zu schweigen von zahlreichen Internet-Kommentaren, die Cages Rachefeldzug nicht nur arschlangsam finden, sondern zudem noch fachmännisch „Vorhersehbarkeit“ und „fehlende Twists“ bescheinigen.

Das geht natürlich meilenweit am Kern vorbei und ist in erster Linie einer immer engärschigeren Rezeption geschuldet, angesichts derer man froh sein kann, dass Filme wie „2001: Odyssee im Weltraum“ schon vor 50 Jahren gedreht worden sind, heute würden die Chancen auf Box-Office-Erfolg, geschweige denn Klassiker-Status, ganz schön schlecht stehen.


Heavy Metal Poesie: „Mandy“

Jedenfalls gibt es nicht nur die eine Art wie ein Film zu funktionieren hat und Regisseur Cosmatos vergleicht die seinen in Interviews nicht ohne Grund immer mit Musikalben (in diesem Fall mit einem der Trash-Metal-Gruppe Slayer), was den Nagel auf den Kopf trifft: Bei „Mandy“ handelt es sich um audiovisuelle Heavy-Metal-Poesie; ein aus tiefstem Herzen ehrlich und aufrichtig auf die primär in Rot und Schwarz getunkte Leinwand transferiertes Epos, das sanft beginnt, sich immer mehr zu einem pechschwarzen Höllenritt steigert und dabei nur an der Oberfläche einen Holzfäller schildert, der seine von einer durchgeknallten Sekte getötete Freundin rächt; „Mandy“ erzählt im Kern vom Verlust der Unschuld, vom Verlust der Liebe.

Es ist generell erstaunlich mit wie wenigen Pinselstrichen Cosmatos im ersten Drittel Intimität herstellt, aber es ist die kleine Sequenz, in der ein so zurückhaltend wie selten agierenden Cage am Lagerfeuer eine ungeheuren Zärtlichkeit und Sehnsucht im Blick seine von gothischer Anmut umhüllte Mandy betrachtet – dieser kurze Moment birgt die ganze Essenz des Films und macht das Abgleiten in den Wahnsinn, Cages Abstieg in die sprichwörtliche, innerlich, wie auch äußerliche Hölle tatsächlich greifbar, denn ohne die Liebe geht die Welt zu Grunde.

„Mandy“ ist im Grunde kein Film. „Mandy“ ist ein zweistündiger Song, ein tragisches Liebeslied – gesungen in einem Meer von Blut.

„Mandy“ läuft ab dem 01.11.2018 im Kino- die einzelnen Termine gibt es hier! Die Heimkinoauswertung beginnt bereits am 22. November in diversen Formaten.

Mandy (Belgien/USA 2018) • Regie: Panos Cosmatos • Darsteller: Nicolas Cage, Andrea Riseborough, Linus Roache, Ned Dennehy, Olwen Fouéré, Richard Brake, Bill Duke

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