22. Mai 2025

Cannes – Kunst und Technik

Das exklusivste Filmfestival der Welt wird Immersiv – In gewisser Weise

Lesezeit: 4 min.

Neben den bizarren Tarifen auf Filme, eine Schnappsidee, die Donald Trump vermutlich beim abendlichen Surfen im Internat kam, war das Thema KI auch bei den Filmfestspielen in Cannes bestimmend. Wie die Filmbranche von den sich rasant entwickelnden Möglichkeiten von Sprachbots profitieren oder aber bedroht werden könnte ist eine Frage, die nicht so bald zu beantworten ist. Welche Sorge man sich in der Branche macht zeigte sich etwa vor der letzten Oscar-Verleihung, als bekannt wurde, das beim Historienfilm „Der Brutalist“ einige wenige Passagen, in denen Hauptdarsteller Adrien Brody ungarisch sprach, mittels KI aufgepeppt wurden.

In ein paar Jahren wird man vermutlich darüber lachen, denn die Möglichkeiten der Technik entwickeln sich rasant, wie auch Yann Gozlans KI-Thriller „Dalloway“ andeutete, der in der genreaffinen Mitternachtssektion gezeigt wurde. In einer nicht allzu fernen Zukunft lebt die Schriftstellerin Clarissa (Cécile de France) in einer hochtechnologisierten Künstler-Residenz, wo sie ihre Schreibblockade zu überwinden hofft. Eine KI mit weicher Stimme hilft ihr beim Alltäglichen – Kaffee machen, lästige Mails schreiben – greift aber auch zunehmend offensiv in ihr Leben ein. Nicht mehr nur praktisch, sondern psychologisch klingen die Fragen der KI, die Clarissa bald besser zu kennen scheint als sie sich selbst. (Man kennt das Gefühl als Amazon oder Facebook-Nutzer…)


Dalloway @ 2024 Mandarin&Compagnie-Gaumont-Panache Production-La compagnis Cinématographique

Stringent erzählt, reißt „Dalloway“ spannende Fragen an, umreißt Möglichkeiten und Gefahren von KI und deutet an, dass der Preis der Bequemlichkeit, den wir an Google, Amazon oder Apple zahlen, die enorme Menge an Daten und persönlichen Informationen ist, die wir alle den Konzernen täglich und nur scheinbar kostenlos zur Verfügung stellen.

Ein Nebengeräusch des Festivals sind seit einigen Jahren VR oder AR-Filme, die inzwischen unter dem allgemeineren Begriff Immersive zusammengefasst werden, ein im Kunstbetrieb ebenso beliebter wie umstrittener Begriff. Auch in deutschen Städten sind „immersive Ausstellungen“ inzwischen gang und gäbe, besonders bunte, auffällige Künstler wie Salvador Dali, Hieronymus Bosch oder die Impressionisten werden da gerne bei raumfüllenden Videoprojektionen auf ihre reine Oberfläche reduziert, das „Eintauchen“ in die Kunst bedeutet hier kein tieferes Verständnis, sondern das sich Suhlen auf weichen Sitzsäcken, während zu sphärischer Musik Bilder auf die Wände projiziert werden – und der geneigte Besucher am Ende möglichst viel im Souvenirladen einkauft.


Beyond the Vivid Unknown. Foto © Michaël Jan

Wenn in Cannes nun zum zweiten Mal neben all den anderen Reihen auch eine Immersive Competition veranstaltet wird, findet das größtenteils auf höherem, interessanterem ästhetischen Niveau statt. Größtenteils, denn manche Banalität, wie die spanische Rauminstallation „Fillos do Vento: A Rapa“, bewegt sich nahe am Kitsch, wenn sie den Zuschauer in die Mitte einer Pferdekoppel stellt und von Wildpferden umkreisen lässt.

Doch das ist die Ausnahme, die einer spektakulären Arbeit wie „Beyond the Vivid Unknown“ gegenüber steht, einer Videoprojektion, die auf Geoffrey Reggios legendärem zivilisationskritischen Essayfilm „Koyaanisqatsi“ basiert. Die rasend schnellen Bilder wirken auch wie aus Reggios Film, sind jedoch durch KI zusammengestellte, im Internet verfügbare Bilder, die ihnen ähneln. Zusätzlich hat Regisseur John Fitzgerald eine interaktive Ebene eingebaut, die die Bewegungen des Zuschauers im Ausstellungsraum aufnimmt und dadurch den Fluss der Bilder per Zufallsgenerator beeinflusst.


Lacuna. Foto © Michaël Jan

Eine visuell spektakuläre Arbeit, die allerdings wie so viele andere die Frage aufwirft, wo sie außerhalb eines Filmfestivals gezeigt werden könnte. Kommerziell zu verwerten sind die wenigsten VR oder immersiven Arbeiten, eine Ausnahme könnte der niederländische VR-Film „Lacuna“ bilden. Der lateinische Begriff bezeichnet in der Philologie eine Lücke in der Überlieferung eines Textes, und genau darum geht es: Die über 80 Jahre alte Sonja berichtet von ihren Erinnerungen an ihre Kindheit, an die Eltern, die sie früh verlor, beschreibt einzelne Fotos und Gegenstände, die sich aber nicht recht zu einer konkreten Erzählung formen wollen. Ganz langsam, mit immer eindringlichen Bildern, wird deutlich, dass es sich um eine jüdische Familie handelte, die Eltern wurden in Auschwitz ermordet, Sonja und ihre Schwester hatten das Glück, von Verwandten in Surinam aufgenommen zu werden und überlebten. Ein eindringlicher Film über Formen der Erinnerung, der zumindest in den Niederlanden in Holocaust-Gedenkstätten zu sehen sein wird.


In the Current of Being. Foto © Michaël Jan.

Die Arbeit „In the Current of Being“ von Cameron Kostopoulos geht beim Versuch, ein immersives Erlebnis zu erzeugen, sogar fast zu weit: Auf Stühlen nimmt man Platz, bekommt eine vibrierende Weste umgelegt, die bald die „Currents“ des Titels physisch spürbar zu machen versucht, die Elektroschocks, die ein Proband bei der besonders in Amerika noch weitverbreiteten Konversionstherapie verspürt. Mit dieser soll „Unnormales“ ausgetrieben werden, vom Linkshändisch sein bis zur Homosexualität. Auf diese unmenschlichen Methoden aufmerksam zu machen ist sicher ein hehres Anliegen, wenn der unbedarfte Zuschauer dabei selbst in fast „Uhrwerk Orange“-Manier getriezt wird, geht das zwar einerseits zu weit, zeigt aber auch, welche spannenden Möglichkeit in VR und anderen Formen des Immersiven steckt.

Abb. ganz oben: „Beyond the Vivid Unknown“. Foto © Michaël Jan“

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