20. Oktober 2015 1 Likes

„Der Marsianer“ im Reality-Check, Teil 3

My Home Is My Castle: Mark Watneys Mars-Habitat

Lesezeit: 4 min.

Der vielleicht wichtigste Ausrüstungsgegenstand des auf dem Mars gestrandeten Astronauten Mark Watney, der zur Zeit in Ridley Scotts Verfilmung von Andy Weirs Bestseller Der Marsianer (im Shop) das Kinopublikum begeistert, ist sein Habitat. Es wird sehr viel länger als die geplanten 31 Tage Marks Zuhause. Aber wie würde ein solches Habitat in der Realität aussehen? Und wie funktioniert die Versorgung mit Energie, Sauerstoff und Wasser auf dem lebensfeindlichen roten Planeten?

 

Achtung: Der nachfolgende Text enthält einige Spoiler zu Der Marsianer. Weiterlesen auf eigene Gefahr!

 

Watneys Film-Habitat ist eine aufblasbare Kuppel mit zwei Luftschleusen, die alles beherbergt, was die Crew zum Überleben auf dem Mars braucht. Sie erscheint relativ groß und komfortabel, auch als sie noch von sechs Personen bewohnt wird. Das erste Mars-Habitat könnte tatsächlich so konstruiert sein. Die Vorteile eines aufblasbaren Habitats liegt auf der Hand: Es lässt sich platzsparend verstauen und wiegt nur wenig – beides essenziell für das treibstoffintensive „Verschicken“ durch den interstellaren Raum. Allerdings haben aufblasbare Habitate auch Nachteile. Im Falle eines Druckverlusts – etwa, wenn eine viel beanspruchte Luftschleuse defekt wird – fällt die ganze Struktur in sich zusammen. Um das zu vermeiden und zumindest einen Teil der Ausrüstung zu schützen, braucht man eine Art Zeltgerüst, das die Hülle zusätzlich stabilisiert. Deswegen sind im Film zwar Marks Kartoffeln erfroren, aber sein Zuhause im Großen und Ganzen noch intakt. Die harte kosmische Strahlung ist auf dem Mars nicht nur für Kartoffeln ein Problem. Das Habitat muss in der Lage sein, seine Bewohner davor zu schützen. Die Firma Bigelow Aerospace forscht derzeit an Materialien, die einen solchen Strahlenschutz bieten. Sie testet gerade in Zusammenarbeit mit der NASA das aufblasbare BEAM-Modul an der ISS. Unter anderem soll festgestellt werden, wieviel Strahlung im niedrigen Erdorbit die Wände des Moduls durchdringt, um so Materialien entwickeln zu können, die zugleich dünn, flexibel, durchbeständig und strahlungsundurchlässig sind. Watneys „Plastikfolie“, die er zur Reparatur der kaputten Schleuse benutzt, ist noch Zukunftsmusik, aber Bigelow Aerospace arbeitet daran. (Panzertape hingegen funktioniert überall. Ja, wirklich überall.)

Ein Problem, das Buch und Film gleichermaßen ausklammern, die Wissenschaftler der Weltraumagenturen jedoch beschäftigt, ist der „Marssand“. Ähnlich wie auf dem Mond sind dessen Partikel extrem fein, und wahrscheinlich würden sie ohne Schutzmaßnahmen überall eindringen. Einmal im Habitatinneren könnten Astronauten sie einatmen, oder sie dringen in die Lebenserhaltungssysteme ein und beschädigen sie. Wir wissen bisher nichts über eventuelle Gesundheitsrisiken von Marsstaub, und sollte sich eines Tages herausstellen, dass es Mikroorganismen auf unserem Nachbarplaneten gibt, wird der Schutz der Crew vor einer Kontamination noch dringlicher. Deswegen könnte es im echten Mars-Hab beispielsweise Leiter in den Schleusen geben, die schwache elektrische Impulse aussenden, damit der elektrostatisch aufgeladene Staub angezogen wird. Die Crew kann ihn dann leichter einsammeln und entsorgen, ehe er ins Habitatinnere gelangt.

Das Marshabitat muss seine Bewohner obendrein warm halten und sie mit allem, was sie zum Leben brauchen, versorgen. Dazu benötigt es vor allem Energie. Watneys Habitat versorgt sich durch Solarzellen mit Energie – und greift damit auf eine Methode zurück, die schon die ersten Sonden, Lander und Rover benutzten. Der feine Staub, der sich auf diesen Flächen absetzt, muss regelmäßig entfernt werden. Aber abgesehen davon funktionieren Solarzellen auf dem Mars fast so gut wie auf der Erde. Das Problem ist nur: Der Stromverbrauch der Mission ist gewaltig. Habitatsysteme, Laborgeräte, das Wiederaufladen der Rover – alles in allem schätzen Wissenschaftler, dass rund zwanzig Kilowattstunden pro Erden-Tag anfallen, also rund 7300 Kilowattstunden im Jahr. Zum Vergleich: Der durchschnittsdeutsche Haushalt bringt es auf gerade einmal 2300 Kilowattstunden im Jahr. Wahrscheinlicher ist also, dass die bemannten Mars-Missionen auf Fissionsreaktoren zurückgreifen werden, um ihren Stromverbrauch zu decken, anstatt sich komplett auf erneuerbare Energien zu verlassen. Der im Film gezeigte RTG, der Radioisotopgengenerator, existiert tatsächlich und wird in der Raumfahrt vor allem dort eingesetzt, wo es zu wenig Sonnenlicht gibt, um Solarzellen zu betreiben (zum Beispiel bei der Sonde New Horizons im Kuiper-Gürtel). Er besteht aus dem Plutonium-Isotop 238, das beim Zerfall Wärme freisetzt, die dann zur Energiegewinnung genutzt wird, und ist damit der ideale Treibstoff für alles, was sich weit von der Sonne entfernen soll. Allerdings gibt es damit in der Zukunft ein Problem: Plutonium-238 ist ein Nebenprodukt der Herstellung von Plutonium-239, der Hauptzutat von Atmowaffen. Und die stellen wir nicht mehr her, sodass den Weltraumagenturen diese Energiequelle nur noch eingeschränkt zur Verfügung steht.

Zur Versorgung der Astronauten mit Sauerstoff und Wasser während der Mission setzt die NASA auf Ressourcen vor Ort. Deren Nutzung erspart uns, bei jedem Flug alles benötigte Wasser, Sauerstoff, Treibstoff etc. von der Erde mitnehmen zu müssen. Von Mark Watneys Oxygenator sind wir zwar noch weit entfernt, aber wir kennen einige Verfahren, um die Gase der Marsatmosphäre so umzuwandeln, dass sie für den Menschen atembar sind. Wasserstoff, den wir von der Erde mitbringen, kann zusammen mit dem Kohlendioxid der Atmosphäre im sogenannten Sabatier-Prozess zu Wasser und Methan umgewandelt werden, und durch Elektrolyse – das Trennen einer Flüssigkeit in ihre einzelnen Bestandteile mittels Strom – können wir Sauerstoff aus dem Kohlendioxid auf dem Mars gewinnen. Lebenserhaltungssysteme, die diese Gase und Flüssigkeiten recyceln, werden auf der Internationalen Raumstation getestet. Diese Prozesse zu untersuchen und weiter zu verfeinern wird mit Sicherheit zu den Aufgaben der ersten bemannten Mars-Missionen gehören. In Sachen Habitat und Energieversorgung nimmt Der Marsianer vieles vorweg, an dem heutzutage geforscht wird.

Den Roman Der Marsianer von Andy Weir, auf dem Ridley Scotts gleichnamige Verfilmung beruht, gibt es in unserem Shop. Noch mehr Mars-Fakten rund um die erste bemannte Mission finden Sie in dem kürzlich erschienenen Sachbuch Der Weg zum Mars, ebenfalls in unserem Shop erhältlich.

Bild: © 20th Century Fox

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