Nebel über Pluto
Eine erste Zwischenbilanz zum Vorbeiflug der NASA-Sonde New Horizons am Pluto-System
Vor acht Monaten kam New Horizons dem Zwergplaneten Pluto, dem größten und hellsten Objekt im Kuiper-Gürtel, so nahe wie noch keine Raumsonde vor ihr. Seitdem schickt sie Unmengen von Daten aus einer Region, die so weit entfernt ist, dass das Signal fünf Stunden braucht, um die Entfernung zur Erde zurückzulegen. Vergangene Woche veröffentlichten die Wissenschaftler der Mission fünf zusammenhängende Artikel in der Zeitschrift Science, in denen die bisherigen Erkenntnisse über das Pluto-System zusammengefasst werden. Sie zeigen, dass auf Pluto nahezu nichts so ist, wie erwartet, und dass dieses kleinen System am Rande unseres Sonnensystems einiges auf den Kopf stellt, was wir bisher zu wissen glaubten.
Die erste Überraschung zeigte sich schon aus der Ferne: Plutos Oberfläche ist wesentlich vielfältiger als gedacht. Hätte New Horizons festgestellt, dass Pluto geologisch betrachtet langweilig und inaktiv ist, wäre niemand sonderlich überrascht gewesen. Doch bereits ein Blick durchs Teleskop zeigt, dass es helle und dunkle Regionen auf der Oberfläche gibt, und die Auswertung der Flyby-Bilder verrät, dass Pluto alles andere als dröge ist. Die Fotos offenbarten einen Blick auf eine Welt, die von schroffen Gebirgen ebenso dominiert wird wie von gigantischen Eisebenen. Zudem stellte sich heraus, dass ein Teil der Oberfläche wesentlich jünger ist als zunächst angenommen, und dass er die letzten vier Milliarden Jahre geologisch aktiv gewesen sein muss. Das Alter von planetaren Oberflächen bestimmt man, indem man Krater zählt. Je mehr Krater es gibt und je größer diese sind, desto älter die betrachtete Oberfläche. Plutos Cthulhu Regio ist stark verkratert und demzufolge sehr alt. Andere Regionen weisen kaum Krater auf, ein Beweis dafür, dass ihre Oberfläche relativ jung sein muss und die Krater durch geologische Prozesse – Vulkanausbrüche und dergleichen – ausgelöscht wurden. Das überrascht, denn Pluto ist kleiner als unser Erdenmond. Der Zwergplanet hätte bereits wesentlich länger ausgekühlt sein müssen, als es den Anschein hat. Außerdem ist er so weit von der Sonne entfernt, dass ihre Energie nicht ausreicht, um den Planeten zu erwärmen. Es müssen also andere Vorgänge für die unterschiedlichen Landschaften verantwortlich sein.
Am jüngsten ist die Ebene, die informell auf den Namen Sputnik Planum (siehe Bild unten) getauft wurde. Sputnik Planum ist eine Eisfläche, die etwa so groß wie der US-Bundesstaat Texas ist, und weist gar keine Krater auf. Ihr Höchstalter wird auf gerade einmal 10 Millionen Jahre geschätzt.
Die Oberfläche Plutos wurde, wie die der Erde auch, durch seine Atmosphäre mitgestaltet. Diese besteht in Bodennähe hauptsächlich aus Stickstoff, dazu kommen Kohlenmonoxid und Methan. Diese Gase frieren in jahreszeitlichen Zyklen aus und setzen sich als Schnee auf die Oberfläche, auf der auch Wassereis vorkommt, mit dem sie dann interagieren. Auf der Erde gibt es nur einen einzigen Stoff, der einen solchen jahreszeitlich bedingten Zyklus hat: Wasser. Auf Pluto geht es also wesentlich komplexer zu, als wir hätten ahnen können, und ähnlich schwer tun wir uns derzeit noch, diese Vorgänge zu verstehen.
Ein mögliches Resultat dieser Zyklen wären sogenannte Kryovulkane, die statt heißen Magmas sehr viel kältere Substanzen speien. Solche Vulkane wurden auf Triton, dem größten neptun-Mond entdeckt, wo sie von den gewaltigen Anziehungskräften des Gasriesen, der an seinem Mond rüttelt, in Gang gehalten werden. Pluto hat keinen so großen Nachbarn, und niemand weiß bisher, wie der Kryovulkanismus hätte entstehen können. Und doch deutet vieles darauf hin, dass Wright Mons, ein gut vier Kilometer hoher Berg mit einem Basisdurchmesser von rund 144 Kilometern ein Vulkan ist, nicht zuletzt das „Loch“ in seinem Gipfel. Es ist denkbar, dass Stickstoff unter die Oberfläche eingedrungen ist, dort erwärmt wurde und schließlich durch einen solchen Vulkan wieder in die Atmosphäre entlassen wurde.
Auch Plutos Atmosphäre erweist sich als sehr viel komplexer als zunächst angenommen. Sie hat nicht nur, wie auf dem Foto zu sehen, verschiedene Nebelschichten in unterschiedlichen Höhen, sondern ist auch noch um rund 126 °C kälter und kompakter als angenommen. Das wiederum beeinflusst auch die Rate, mit der der kleine Zwergplanet sie verliert: die ist nämlich rund 10 000 Mal kleiner als gedacht. Was die Atmosphäre kälter macht, ist noch nicht bekannt, aber die Vermutung liegt nahe, dass es eine Art Kühlmittel geben muss. Über die Entstehung der Nebelschichten, die eine bläuliche Farbe haben und bis in die höchsten Schichten der Atmosphäre hinauf reichen, ist man sich hingegen einig: Gravitationswellen. Der Atmosphärenforscher meint damit aber nicht dasselbe wie der Physiker, sondern eine Art Wellenbewegung in den verschiedenen Luftschichten, die auf Pluto durch sehr schwachen Wind hervorgerufen werden. Damit wäre auch geklärt, warum die Nebelschichten nicht parallel zur Oberfläche verlaufen.
Auch Charons Oberfläche ist nicht alt. Vulcan Planum zum Beispiel, eine relativ glatte Ebene in der Äquatorregion, beherbergt die beiden Berge Kubrick und Clarke, die vermutlich ebenfalls Kryovulkane sind und vor vier Milliarden Jahren noch aktiv waren. Das bemerkenswerteste geologische Merkmal des Mondes ist jedoch der gewaltige Spalt, der mit einer Länge von 960 Kilometern größer als der Grand Canyon auf der Erde ist. Vermutlich entstand er, als Wasser unter der Oberfläche gefror und sich dabei ausdehnte, sodass es die Mondoberfläche aufriss. Im Gegensatz zu Pluto gibt es auf Charon überwiegend nur eine Sorte Eis: gefrorenes Wasser. Es gelang dem kleineren Mond vermutlich nicht, flüchtigere Gase wie Methan, Kohlenmonoxid und Stickstoff zu halten, sodass die Gase ins All davonflogen und teilweise wohl von Pluto eingefangen wurden. Die Interaktionen der verschiedenen Gase mit der Oberfläche, die wir auf Pluto feststellen können, finden auf Charon nicht statt
Auch von kleineren Pluto-Monden Styx, Nix, Hydra und Kerberos gibt es Neuigkeiten. Dass sich alle ungewöhnlich verhalten, sich sehr schnell drehen (Hydra dreht sich alle 10 Stunden um ihre eigene Achse und ist damit der schnellste Mond) und auf taumelnden Bahnen um das Pluto-System kreisen, war bereits bekannt. Anhand der Bilder von New Horizons konnte jetzt festgestellt werden, dass einige der Monde durch Kollisionen entstanden sind. Weil alle Monde heller sind als die durchschnittliche Masse im Kuiper-Gürtel – die Helligkeit rangiert von frischem Beton bis hin zu frisch gefallenem Schnee – geht man davon aus, dass sie nicht aus dem Gürtel eingefangen wurden, sondern Überreste einer gewaltigen Kollision sind, die einst das gesamte Pluto-System hervorbrachte. Diese These machte Mission Control anfangs Kopfzerbrechen, weil man davon ausging, dass noch mehr Rückstände dieses Zusammenpralls durchs Pluto-System fliegen würden. Doch New Horizons konnte nicht mehr kosmische Staubpartikel entdecken als im äußeren Sonnensystem üblich – auch das eine weitere Überraschung.
Bis Jahresende dürfen wir uns aller Wahrscheinlichkeit nach auf noch mehr solcher Überraschungen einstellen, denn New Horizons schickt weiterhin Flyby-Daten zur Erde zurück. Bisher ist erst die Hälfte aller Daten übertragen worden. Die Sonde ist bereits unterwegs zum KBO 2014 MU69 (das hoffentlich bald einen neuen Namen erhalten wird) und soll im Dezember 2019 dort ankommen. Dass wir in den nächsten Jahrzehnten dem Pluto noch einmal so nahe kommen werden, ist mehr als unwahrscheinlich.
Quelle/Bilder: NASA/JHUAPL/SwRI
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