11. Januar 2021

Im Gespräch mit „Cthulhus Ruf“-Illustrator François Baranger

Ein Interview über H. P. Lovecrafts Einfluss, visuelle Orthodoxie und Rassismus

Lesezeit: 5 min.

Der Franzose François Baranger arbeitete als Konzeptkünstler an Filmen wie „Die Schöne und das Biest“, „Percy Jackson: Im Bann des Zyklopen“, „Zorn der Titanen“, „Harry Potter und die Heiligtümer des Todes“ und „Arthur und die Minimoys“ mit. Doch er schrieb auch schon mehrere eigene Romane aus den Bereichen Thriller und Science-Fiction und war an den Videogames „Heavy Rain“ und „Alone in the Dark: The New Nightmare“ beteiligt. H. P. Lovecraft: Cthulhus RufAußerdem illustriert der 1970 geborene Baranger seit einiger Zeit Genre-Klassiker von Weird-Fiction-Ikone H. P. Lovecraft (im Shop) im ganz großen Stil, die als riesige Coffee-Table-Books erscheinen – so wie aktuell „Cthulhus Ruf“ bei Heyne im Hardcover und im Überformat von 26 x 35 Zentimetern. Im Interview spricht François Baranger über seine Geschichte mit H. P. Lovecrafts ikonischem Kosmos und Schaffen, seine wahrlich bildgewaltige Adaption von „Cthulhus Ruf“ und nicht zuletzt Lovecrafts Rassismus, der inzwischen zu einer kritischen Neubewertung des Horror-Titans geführt hat.

 

Bonjour Monsieur Baranger. Können Sie uns sagen, wann Sie erstmals mit dem Werk von H. P. Lovecraft in Berührung kamen?

Wie viele Menschen meiner Generation entdeckte ich H. P. Lovecraft als Teenager in den 1980ern mit dem von Chaosium veröffentlichten Rollenspiel „The Call of Cthulhu“. Es war ein Freund, der mich dazu brachte, es zu versuchen, und ich war sofort begeistert. Ich hatte schon einmal von Lovecraft gehört, aber noch nichts von ihm gelesen. Um das Rollenspiel aufzuwerten, fing ich an, seine Werke zu lesen. Und ich bin nie wieder rausgekommen.

Sah man früh Ihre Begeisterung für Lovecrafts Kosmos und Geschichten in Ihren eigenen Kunstwerken?

Tatsächlich war genau das Gegenteil der Fall. Lovecrafts Stil und Universum passten sehr gut zu meinem persönlichen Geschmack und deshalb mochte ich seine Arbeit auf Anhieb. Mir gefiel dieser Fantasy-Stil bereits und es stellte ein Vergnügen dar, einen Autor zu finden, der ihn so gut ausnutzte. Und da ich schon als Teenager zeichnete, habe ich sehr früh angefangen, Illustrationen zu Lovecrafts Werken anzufertigen. Aber damals war ich nie zufrieden mit dem, was ich tat. Es dauerte lange, bis ich bereit war, das Ergebnis meiner Interpretation seines Kosmos zu zeigen.

Können Sie für uns beschreiben, wie Sie eine von Lovecrafts Geschichten in Motive umbrechen und wie Sie dann technisch von der Skizze bis zum fertigen Bild vorgehen?

François Baranger
François Baranger

Ich lese zuerst analytisch den Text, um festzustellen, welche Passagen hervorzuheben sind. Da ich keine Seite ohne Bild lassen möchte und einige Szenen in der Geschichte manchmal weniger interessant sind, muss ich hin und wieder jeden Satz ganz genau betrachten, um etwas zum Illustrieren zu finden! Aber im Allgemeinen ist Lovecrafts Schreibstil visuell genug, sodass die Ideen von selbst kommen. Dann mache ich für jede Seite Schwarz-Weiß-Skizzen, die ich in Sachen Details und Farbe weiter vorantreibe. Sobald das gesamte Buch skizziert ist, überprüfe ich das Ganze, um sicherzustellen, dass keine Seiten zu ähnlich aussehen oder dass sich die Bilder zu oft wiederholen, insbesondere im verwendeten Farbbereich. Die nächste Phase ist die Ausführung der Bilder. Die ist sehr lang. Es dauert ungefähr ein Jahr, um ein ganzes Album mit 52 Illustrationen (verteilt auf 26 Doppelseiten) zu erstellen. Jede Doppelseite dauert zwischen 5 und 15 Tagen. Was die Technik angeht, arbeite ich fast ausschließlich im digitalen Bereich, male mit dem Wacom-Tablet in Photoshop und verwende manchmal eine 3D-Basis für die Architekturen.

Heute gibt es viele Darstellungen des großen Cthulhu. Ist es schwer, die Balance zwischen der allgemeinen Erwartung und der persönlichen Interpretation zu finden?

Ich zeichne Cthulhu seit Jahren und im Grunde habe ich es immer auf dieselbe Art getan. Daher fällt es mir schwer, mich von meiner eigenen Vision zu lösen, die ich im Laufe der Zeit verfeinert habe. Diejenigen, die sich an Lovecrafts Beschreibung halten, nutzen sowieso so ziemlich das dasselbe Design. Es gibt natürlich Variationen, aber es herrscht immer noch ein allgemeiner Konsens in Bezug auf diese Kreatur vor. Es ist eher der Stil als das Design, was die Versionen unterscheidet. Wenn ich Lovecraft vollständig gefolgt wäre, hätte ich Cthulhu etwas grotesker, fetter, amorpher und mit einer weniger klar gezeichneten Silhouette umsetzen sollen. Aber aus ästhetischer Sicht wollte ich das nicht wirklich! Ich gebe zu, dass er bei mir manchmal eher wie eine griechische Skulptur aussieht, die nicht unbedingt der Lovecraft’schen Orthodoxie entspricht. Ich erlaubte mir diese kleine Verrenkung.

Welche Szene aus „Cthulhus Ruf“ ist Ihre liebste, und wieso?

Ich glaube, das ist die Entdeckung der toten Stadt R’lyeh durch die Seeleute der Alert. Es ist eine Szene, die alles zusammenbringt, was ich an Abenteuerromanen mag, das Spektakuläre, das Mysteriöse, die Spannung, die Dramatik.

H. P. Lovecraft: Cthulhus Ruf - Illustration: François Baranger
Cthulhu (Illustration François Baranger)

Sie werden vermutlich oft gefragt, welche Lovecraft-Story Sie gerne noch illustrieren würden. Aber gibt es auch eine, die Sie eben nicht unbedingt adaptieren wollen?

Vielleicht „Die Farbe aus dem All“. Das ist jedoch eine seiner besten Geschichten, vielleicht sogar seine Lieblingsgeschichte, glaube ich. Aber im Fall einer illustrierten Adaption stellt sie eine große Schwierigkeit dar, da in ihr eine Farbe vorkommt, die es nicht gibt! Wie kann eine nichtexistierende Farbe visualisiert werden? Trotzdem könnte es eine interessante Herausforderung sein.

Die Kritik an Lovecrafts Weltbild und Rassismus wächst seit Jahren und verändert unsere Sicht von ihm als Mensch. Aber ändert das auch seine Errungenschaften für die dunkle Fantastik? Können wir Lovecrafts Arbeit 2021 noch vorbehaltlos anpreisen, jetzt, da wir um seine menschlichen Makel wissen?

Es ist die ewige Debatte: Sollen wir das Werk vom Autor trennen? Für mich ist es sehr einfach: Wenn sich die schändlichen Ideen des Autors in seiner Arbeit nicht durchsetzen, gibt es kein Problem. In den meisten Kurzgeschichten von Lovecraft bleibt sein Rassismus außen vor. Seine widerlichen Thesen entwickelte er vor allem in seiner brieflichen Korrespondenz. Es ist stimmt jedoch, dass wir sie dennoch in bestimmten Anspielungen in einigen Kurzgeschichten erahnen können. Ich glaube, solange es bei Anspielungen bleibt, können wir diese Texte weiter lesen und sie heute möglicherweise mit einer kontextbezogenen Anmerkung versehen.

Gibt es zum Schluss noch eine Frage zu Ihrer Arbeit in Lovecrafts Kosmos, die bis jetzt nicht gestellt wurde?

Die Beantwortung einer Frage, die nicht gestellt wurde, ist ein ziemlicher Lovecraft-Ansatz! Deshalb nehme ich die Herausforderung lieber nicht an, aus Angst, in den Wahnsinn zu verfallen …

Gute Antwort! Vielen Dank, dass Sie dem Ruf dieses Interviews gefolgt sind.

 

H. P. Lovecraft, François Baranger (Illustr.): Cthulhus Ruf • Heyne, München 2020 • 64 Seiten • Hardcover: 25 Euro (im Shop)

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