23. August 2024

Im Gespräch mit David Wellington

Der Autor von „Paradise One“ über Stephen King, Star Wars, KI und mehr

Lesezeit: 7 min.

US-Autor David Wellington (im Shop) blickt auf eine Karriere zurück, die zwanzig Jahre, rund 30 Bücher und eine Handvoll Genres umfasst. Zu seinem Schaffen zählen u. a. „Monster Island“ alias „Stadt der Untoten“, „Der letzte Vampir“, „Die Metropole der Diebe“ und „Die letzte Astronautin“ – für den zuletzt genannten Roman wurde er für den Arthur C. Clarke Award nominiert. Unter dem Pseudonym D. Nolan Clark (im Shop) brachte der 1971 geborene Wellington außerdem die Science-Fiction-Serie „The Silence“ auf den Weg, zu der u. a. die Romane „Der verratene Planet“ (im Shop) und „Die vergessenen Welten“ (im Shop) gehören.

Jetzt ist bei Heyne David Wellingtons neuer SF-Roman „Paradise One“ (im Shop) erschienen, eine Mischung aus Raumschiff-Katastrophengeschichte, Space Opera und Weltraum-Horror. Die in Ungnade gefallene Ermittlerin Alexandra Petrowa von Jupitermond Ganymed soll auf Paradise-1, der ersten extrasolaren Kolonie der Menschheit, nach dem Rechten sehen. Doch schon auf dem Flug geraten sie, ihr Piloten-Ex, ein von extern manipulierter, traumatisierter Arzt und ein vorlauter, dank 3-D-Drucker gestaltwandelnder Roboter in große Schwierigkeiten, da ihr Schiff und seine KI angegriffen werden …

Im Interview spricht David Wellington über die Entwicklungen in der Buchbranche, Pseudonyme, den Einfluss von Star Wars (im Shop) und Stephen King (im Shop), den Unterschied zwischen Hard-Science-Fiction und Space Opera, sarkastische Roboter und die Gefahren von künstlicher Intelligenz.

 


David Wellington. Foto © Jennifer Dikes

Hallo David. Vor 20 Jahren hast du deine Karriere mit einem auf deiner Website serialisierten Roman gestartet. Wie fühlst du dich heute, wenn du auf das Verlagswesen und die Buchszene schaust, mit all den Selfpublishing-Plattformen, TikTok … ?

Erstaunt! Überwältigt! Denn ihr müsst verstehen, dass ich bereits aufgegeben hatte, als ich angefangen habe. Ich habe seit meinem sechsten Lebensjahr geschrieben, fast dreißig Jahre lang, und ich hatte nie etwas veröffentlichen können. Nicht einmal eine Kurzgeschichte, geschweige denn einen Roman. „Stadt der Untoten“ ins Netz zu stellen, hätte nicht funktionieren dürfen! Es hat mich vollkommen überrascht, dass die Leute etwas online lesen wollten. Es schien, als wäre das erst der Anfang eines gewaltigen Trends. Ich hatte ja keine Ahnung.

Das hat es mir ermöglicht, weiterzumachen und all die nachfolgenden Bücher zu schreiben, so viele unglaubliche Menschen kennenzulernen – darunter auch meine Leserinnen und Leser, die in meinen Worten etwas gefunden haben oder denen meine Geschichten einfach gefallen haben. Ich liebe es, sie kennenzulernen. Was den Zustand des Verlagswesens angeht, so war es noch nie so offen und vielfältig. Es gibt jetzt dermaßen viele Möglichkeiten, zu Veröffentlichen, so viele Möglichkeiten, ein Publikum zu erreichen. Das ist wunderbar.

Du hast in der Vergangenheit auch Pseudonyme verwendet – zum Beispiel für deine Fantasy. Findest du es schade, dass der Markt das Spiel mit den Pseudonymen erfordert manchmal? Oder gefällt dir eine neue schreiberische Identität hier und da?

Ich kenne einige Autorinnen und Autoren, für die ein Pseudonym so etwas wie neue Kleidung ist. Eine Chance, mit einer anderen Stimme zu schreiben. Für mich war das nie so. Es war nie meine Entscheidung, ein Pseudonym zu nutzen, es war immer ein Verlag, der darum gebeten hat. Ich glaube, dass es meiner Karriere wirklich geschadet hat, denn jedes Mal musste ich mein Publikum von Grund auf neu aufbauen.

Dazu hat man heutzutage nicht mehr so viele Gelegenheiten. Entweder ist ein Buch sofort ein großer Erfolg oder es verschwindet spurlos. Ich treffe immer noch Fans – Leute, die meine Arbeit lieben –, die keine Ahnung haben, dass ich auch D. Nolan Clark oder David Chandler war. Niemand bringt diese Bücher mit mir in Verbindung. Ich hätte viel lieber meinen richtigen Namen benutzt.

Es scheint, als ob der Horror dich schon immer verfolgt oder zumindest eingeholt hat, von der Zombie-Apokalypse bis hin zum Weltraum. Kannst du uns ein wenig über deine Beziehung zum Horror, deine immerwährende Faszination erzählen?

Als ich sehr jung war – viel zu jung –, gab mir meine Mutter Stephen-King-Romane zu lesen, und sie haben einen tiefen Eindruck hinterlassen. Ich war fasziniert von Monstern, genauso wie ich von Außerirdischen fasziniert war, nachdem ich „Star Wars“ gesehen hatte. King, aber auch Peter Straub, Ramsey Campbell und natürlich Lovecraft, erfüllten und beflügelten meine Fantasie, als ich jung war. King zeigte mir vor allem die enge Beziehung zwischen Horror und Science-Fiction. Sein Werk ist voller Science-Fiction: übersinnlich begabte Kinder, Invasionen von Außerirdischen, Multiversen.

Gibt es auch den einen großen Impact für dich, wenn es um Space Opera geht?

Star Wars. Ich habe den ersten Film gesehen, als ich sechs Jahre alt war, und seitdem ist nichts mehr so gewesen wie davor. Er hat mich so sehr beeinflusst … Ich wollte einfach mehr. Ich wollte mehr, und 1977 gab es nicht mehr Star Wars. Es gab nur den einen Film, die Begleitromane wie „Die neuen Abenteuer des Luke Skywalker“ waren noch gar nicht erschienen. Wenn ich also mehr Star Wars haben wollte, musste ich meine eigene Geschichte erfinden. Damals begann ich, meine Geschichten aufzuschreiben, obwohl sie in diesem Alter natürlich noch sehr simpel waren.

Lass uns uns über deinen neuen Roman „Paradise One“ sprechen. Hat deine Arthur C. Clarke-Award-Nominierung für „Die letzte Astronautin“ davor geholfen, diesen Roman auf die Startrampe zu bekommen?

Die Nominierung war hilfreich, aber der Prozess war weitaus komplizierter als die Art und Weise, wie ich normalerweise ein Buch schreibe. Die Idee für „Paradise One“ stammte nicht von mir. Sie kam von einigen Redakteuren bei Orbit Books UK, insbesondere von James Long, dem Lektor der Trilogie. Er hatte eine Grundidee für einen Roman und bat mich, die Geschichte zu konkretisieren und mit allen Details zu versehen. Gemeinsam haben er und ich uns überlegt, wie das Buch aussehen sollte, und dann hat er mir die Freiheit gegeben, es so zu schreiben, wie ich es wollte. Es hat sich im Laufe der Zeit ganz schön verändert!

Agent Petrov und die andern Figuren sind Ausgestoßene und Loser, die alle irgendwie aussortiert werden. Sind gebrochene Loser-Charaktere die interessanteren beim Schreiben, und auch beim Lesen?

Gebrochene Charaktere – Loser – sind aus zwei Gründen am interessantesten. Erstens: Sie haben bereits eine Geschichte, eine Vorgeschichte. Hinter ihnen liegt schon ein großes Abenteuer – und sie haben verloren. Das ist auf Anhieb fesselnd, und es bringt einen beim Lesen auf ihre Seite, sodass wir sofort Sympathie für sie empfinden. Zweitens: Verliererfiguren haben etwas zu beweisen. Sie haben bereits bewiesen, dass sie nicht gut genug waren. Aber wenn man ihnen jetzt eine zweite Chance gibt und sie sich der Herausforderung stellen und sie meistern? Dann ist ihr Triumph umso größer. Als James Long mir diese Figuren gab, waren sie kompetente, gut ausgebildete Leute. Ich musste sie niederschlagen, sie zu Lehm machen, den ich formen konnte. Das hat Spaß gemacht, ganz ehrlich!

Und was war beim Schreiben von „Paradise One“ dann am schwierigsten?

Am schwierigsten war es, meine Hard-Science-Fiction-Wurzeln loszulassen! James war sehr deutlich, dass er dieses Mal eine Space Opera wollte, keine Hard-Science-Fiction. Vorher, besonders an „Die letzte Astronautin“, habe ich mich immer bemüht, alles so realistisch und genau wie möglich zu machen. Nun sagte James immer wieder Dinge wie: Nein, sie können schneller als das Licht reisen. Nein, sie haben harte Licht-Hologramme.

Das sind Dinge, die es vielleicht nie geben wird – Dinge, die die Gesetze der Physik brechen. Ich musste meine Zunge in Zaum halten und mich darauf einlassen, diese Konzepte zu erforschen, als ob sie möglich wären, als ob sie einfach Teil des Weltenaufbaus wären. Ich habe versucht, ihnen eine eigene Form und Textur zu geben. Die Art, wie die Überlichtantriebe funktionieren, ist zum Beispiel ein bisschen Horror-Logik, und die Hologramme aus hartem Licht werden selbst zu einem Monster. Aber ihr müsst das Buch lesen, um herauszufinden, was das bedeutet …

„Paradise One“ hat einen wunderbar sarkastischen Roboter. Aber wieso müssen Roboter eigentlich immer sarkastisch sein?

Einen Roboter-Charakter zu schreiben macht unheimlich viel Spaß, weil man seine menschlichen Charaktere durch eine nicht-menschliche Brille betrachten kann. Rapscallion, der Roboter in „Paradise One“, findet die Menschen seltsam, er hält sie für ziemlich dumm und sie erzeugen schreckliche Abfallprodukte, die er beseitigen muss. Er kann das nur verarbeiten, indem er sich über sie lustig macht, denn seine Programmierung lässt es nicht zu, dass er sie aus der Luftschleuse wirft. Was jeder vernünftige Roboter in dieser Situation eigentlich tun würde.

Dein Roman ist auch ein Kommentar zu KI und der aktuellen Diskussion um den Einfluss künstlicher Intelligenz auf unsere Gesellschaft, oder?

Ich habe mit dem Schreiben begonnen, bevor die jüngste Welle der KI-Hysterie eingesetzt hat, doch ich denke, ich wusste, dass sie kommen würde. Die KI in diesem Roman ist etwas sehr Nützliches – eine Technologie, die den Menschen hilft. Sie erledigt sogar so viele Dinge für sie, dass die Menschen von ihr abhängig werden. Doch als die Monster kommen, um sie zu holen, stellt sich heraus, dass die KI auch für die Monster hilfreich ist…

Jede Technologie ist vielversprechend, kann uns helfen. Aber sie kann uns auch verwundbar machen. Gerade KI hat ein großes Potenzial für die Manipulation von Menschen durch Fälschungen und Desinformation. Sie ist sehr mächtig und sehr gefährlich, und ich mache mir Sorgen, dass diese großen neuen Technologien in den Händen von Menschen sind, denen wir nicht wirklich vertrauen können, und ich bringe diese Sorge durch Geschichten wie diese zum Ausdruck.

Gibt es noch etwas, das du deinen deutschsprachigen Fans sagen möchtest?

Ich bin allen, die meine Bücher lesen, wahnsinnig dankbar. An diejenigen, die mich in den letzten zwanzig Jahren auf meinem Weg begleitet haben: Ich kann euch nicht genug danken! Und an jene, die noch nie von mir gehört haben oder erst jetzt von „Paradise One“ erfahren: Herzlich willkommen! Ich hoffe, ihr findet hier etwas, das euch gefällt – und ich hoffe, ihr kommt auch für das nächste Buch wieder. Es wird noch viele weitere Geschichten geben!

Autorenfoto: © Jennifer Dikes

David Wellington: Paradise One • Roman • Aus dem Amerikanischen von Jürgen Langowski • Heyne, München 2024 • 848 Seiten • Erhältlich als Paperback, eBook und Hörbuch Download • Preis des Paperbacks: € 18,00 • im Shop

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Christian Endres berichtet seit 2014 als Teil des Teams von diezukunft.de über Science-Fiction. Er schreibt sie aber auch selbst – im Mai 2024 ist bei Heyne sein SF-Roman „Wolfszone“ erschienen.

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