24. Februar 2021 4 Likes

Im Gespräch mit Kathleen Weise

Die Autorin von „Der vierte Mond“ über Raumfahrt, Recherche und mehr

Lesezeit: 9 min.

Kathleen Weise arbeitet als Autorin und Lektorin. Nach Werken wie „Blutrote Lilien“, „Im Land des Voodoo-Mondes“ oder „Wenn wir nach den Sternen greifen“ ist bei Heyne gerade ihr Science-Fiction-Roman Der vierte Mond“ (im Shop) erschienen. Im Buch, das zu Beginn des 22. Jahrhunderts einsetzt, schicken große Unternehmen schon seit mehreren Generationen Spaceworker ins All, um außerirdische Rohstoffe abzubauen. Als eine wichtige Erkundungsmission auf dem Jupitermond Kallisto zum Desaster zu werden droht und die Crew anscheinend von Fieber und Wahnsinn dezimiert wird, muss Romain Clavier in Luxemburg um sein Unternehmen Space Rocks kämpfen – und zwar gegen Mitglieder seiner eigenen Familie. Doch auch die ehemaligen Weltraumbergleute Almira und Uche, die wie viele der versehrten Veteranen ihrer Zunft im südamerikanischen Kourou im Schatten des Weltraumbahnhofs der ESA leben, werden aus unterschiedlichen Gründen in die Angelegenheiten zwischen den irdischen Machtzentralen und dem fernen Jupitermond verstrickt. Bei denen geht es außerdem nicht nur um viel Geld und das Verschieben der Grenze im All …(Leseprobe) Im Interview spricht die 1978 geborene Kathleen Weise, die mit ihrem Partner und der gemeinsamen Tochter in Leipzig lebt, über ihren stark geschriebenen Science-Fiction-Roman von internationaler Fasson, ihre Recherche, Lockdown im Weltraum, Zusammenleben unter Autoren und vieles mehr.

 


Kathleen Weise. Foto © Anna Kuschnarowa

Hallo Kathleen. Erzählst du uns ein bisschen was darüber, wie die Idee zu „Der vierte Mond“ geboren wurde, was den Roman gespeist hat?

Eigentlich waren es zwei Themen, die mich zu diesem Zeitpunkt beschäftigt haben. Als ich vor ein paar Jahren Mutter geworden bin, hat sich mein Blick auf den Generationenwechsel verändert, und auch auf die Frage, wie sehr wir versuchen, uns in unseren Kindern zu spiegeln; wie sehr wir versuchen, unsere Vorstellung von der Welt auf sie zu übertragen. Daraus speiste sich der Plotstrang um Almira und ihre Tochter Laure, die beide ins Mining gehen, weil bereits Almiras Eltern Spaceworker waren. Außerdem beschäftigte mich das Thema der sogenannten Klassenunterschiede, und wie solche Dinge eben bereits von Anfang an eine Rolle für den Lebenslauf spielen. Daher haben meine Spaceworker im Roman mehr mit Bergleuten gemein als mit Astronauten. Das alles kam dann zu einer Geschichte zusammen.

Was sind denn generell deine Einflüsse, wenn es um Science-Fiction geht?

Womit alles angefangen hat, kann ich heute nicht mehr genau sagen, ich erinnere mich aber vor allem an die „Lichtjahre“-Reihe (DDR-Publikation), natürlich Isaac Asimovs „Foundation-Zyklus und William Gibsons „Neuromancer“, die Klassiker also. Ich habe als Jugendliche wahnsinnig viele Anthologien gelesen (im Schrank habe ich da auch so was wie „War Tours“, einer Sammlung zum SF-Story-Wettbewerb der SUNDAY TIMES aus den 80er Jahren), weil die auf den Krabbeltischen am billigsten zu haben waren. Daher habe ich viele Geschichten manchmal erst zehn Jahre nach ihrem Originalerscheinen gelesen. Später habe ich dann im Argument Verlag in Hamburg ein dreimonatiges Praktikum gemacht, weil die damals noch ihre Social-Fantasie-Reihe hatten, in der sie u. a. auch John Shirley, Theodore Sturgeon und Myra Cakan verlegten. Ich will nicht verschweigen, dass ich auch „Shadowrun“ auf dem Krabbeltisch entdeckt und ein paar Jahre verschlungen habe. Dass es sich dabei um Rollenspielromane handelte, habe ich erst viel später erfahren. Heute mag ich vor allem SF-Autoren wie Robert Charles Wilson mit seiner „Spin“-Reihe. Das ist einfach gute Literatur, das Genre ist zweitrangig.

Glaubst du, dass es Musk, Bezos und Co. noch in dieser Generation gelingen wird, das All auf einem neuen Level zu erschließen? Und ist Kapitalismus dann doch der beste Antrieb dafür, traurigerweise?

Warum denn traurigerweise? Es ist doch verständlich, dass jemand, der investiert, auch verdienen will. Ich weiß natürlich, worauf du hinaus willst, die Mentalität dieser Herren unterscheidet sich doch sehr von der der meisten Menschen und zur Frage, inwiefern Vision und Moral einander bedingen und wie viel wir von beidem brauchen, kann man ganze Bücher schreiben (es ärgert mich immer sehr, wenn behauptet wird, Philosophie wäre etwas Überflüssiges). Da ist die Frage nach der Zeit schon einfacher zu beantworten. Nein, ich glaube nicht, dass unsere Generation jetzt noch in eine wesentliche, neue Phase der Raumfahrt eintritt, so wie uns das Elon Musk verkaufen will. Ende der 2030er soll es ja erst einmal bemannt zum Mars gehen. Warten wir mal ab, ob es bei diesem Zeitplan bleibt. Viel schneller wird sich der Asteroidenbergbau auch nicht entwickeln. Alles, was jetzt geschieht, sind Vorbereitungsarbeiten dafür. Unternehmen, die in diesem Bereich tätig sind, planen langfristig ein paar Jahrzehnte. Das Gute daran ist, dass – ganz gleich was behauptet wird – niemand den nächsten Schritt allein schaffen kann. Wenn es eine relevante bemannte Raumfahrt geben soll, werden das immer Gemeinschaftsprojekte sein, weil es eben um mehr als nur Geld geht. Das hat auch mit dem über Jahrzehnte gewachsenen Know-how zu tun, das die internationalen Raumfahrtbehörden gesammelt haben. Das Motto heißt also „Gemeinsam oder gar nicht“. Das ist doch ein sehr tröstlicher Gedanke trotz allem Kapitalismus.

Willst du mit deiner im Roman geschilderten europäischen Vormachtstellung im All bewusst einen Gegenentwurf dazu präsentieren, dass man meistens an die USA oder China denkt, wenn es um den Vorstoß in den Weltraum geht?

Im Moment wird dermaßen viel an der EU kritisiert, dass darüber oft vergessen wird, was sie auf die Beine stellt. Allerdings hat Europa im Roman keine Vormachtstellung, immerhin wird auch auf Mars und Mond und dazwischen Asteroidenbergbau betrieben. Es ist nur so, dass im Roman die ESA eben die Kallisto-Missionen durchführt, weil ihr Ziel auch in Wirklichkeit Jupiter und Saturn sind, wo man eben hofft, auf den Monden mit möglichem flüssigen Wasser Spuren von Leben zu finden. Im Moment, vereinfacht gesagt, konzentrieren sich die Chinesen ja auf den Mond, die Amerikaner auf den Mars und die Europäer auf die Jupitermonde. Ich gehe nicht davon aus, dass die ESA in den nächsten Jahren einen Kurswechsel vornimmt.

Französisch-Guyana, Kallisto – wie hast du für deine exotischeren Locations recherchiert?

Es ist ein bisschen einfacher, für Kourou zu recherchieren als für Kallisto, das Videomaterial ist für den Jupitermond doch sehr begrenzt … Die Wahrheit ist, dass ich Hilfe hatte. Ein Physiker vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt und eine Virologin der Charité Berlin haben mir hauptsächlich beratend zur Seite gestanden, was den Science-Anteil betrifft, und das Manuskript gegengelesen. Darüber hinaus war die Recherche eigentlich wie immer, wenn ich zu Orten recherchiere: Interviews, Literatur, Dokumentationen, Architektur etc., um ein Gefühl für den Ort, die Kultur und die Menschen zu bekommen, für die Atmosphäre. Damit fängt für mich immer alles an, ich muss ein Gefühl für den Ort bekommen. Das ist natürlich sehr subjektiv, es wird nie zwei Leute geben, die dieselbe Straße auf dieselbe Art empfinden. Trotzdem gibt es da Wiedererkennungseffekte.

Du hast deinen Roman im Präsens geschrieben, er hat einen richtig tollen Sound. Ich mag die Gegenwartsform sehr, vielleicht auch wegen zu vielen Krimis, kürzlich las ich auf Twitter jedoch eine Diskussion unter Autorenkollegen, die das gar nicht abkönnen. Wieso hast du dich für diese Form entschieden?

Danke, das freut mich, dass du das sagst, da der Stil für mich tatsächlich extrem wichtig ist, er prägt ja die Atmosphäre, die ich während des Schreibprozesses für mich selbst zu erhalten versuche. Ich habe schon immer viele meiner Texte im Präsens geschrieben, vielleicht hängt das noch mit meiner Studienzeit, damals vor zwanzig Jahren, am Deutschen Literaturinstitut Leipzig zusammen. Dort prägte das Präsens ja diesen typischen Institutsstil, für den das DLL berühmt-berüchtigt ist. In den letzten Jahren habe ich als Leserin eine Vorliebe für die „knappen“ Kollegen entwickelt (wie z. B. Don Winslow), die häufig im Präsens schreiben, weil man dadurch einfach sehr direkt und schnell an die Figuren herankommt. Da ich ebenfalls immer von den Figuren komme, sagt mir das sehr zu. Am Ende ist das aber ein natürlicher Prozess. Ich kann im Präteritum schreiben, aber das bedeutet für mich eine Umstellung, meine Ausdrucksweise ist das Präsens. Nicht war und konnte, sondern ist und muss.

Haben Corona und die Lockdowns dein Gefühl für die Isolation im All verändert, verschärft?

Auf jeden Fall. Witzigerweise habe ich gerade eine kleine Kolumne für diezukunft.de geschrieben, in der es genau darum geht. In Studien wurde ja schon Anfang der Neunziger Jahre festgestellt, dass Isolation (z. B. auf einer Raum- und in Antarktisforschungsstationen und im Biosphäre-II-Projekt) zu Depressionen, Schlaf- und Konzentrationsstörungen und Stimmungsschwankungen führen kann. Diese Symptome stellen wir auch jetzt bei Menschen im Lockdown fest. Natürlich ist das eine andere Art der Isolation und damit nicht gänzlich zu vergleichen, aber es verschafft einem doch einen anderen Blick auf die Herausforderungen, denen Astronauten während der Langzeitmissionen ausgesetzt sind. Die psychische Belastung, die Astronauten ertragen müssen, ist enorm, und in der Tat kann man einiges aus den darauf bezogenen Studien sicher auch für Situationen hier auf der Erde anwenden. Die Forschung für die Raumfahrt hat viele Erfindungen in den Alltag gebracht, warum sollte das mit psychologischen Erkenntnissen anders sein?

Dein Partner Boris Koch ist ebenfalls Autor. Wie vermeidet man es, einander auf die Nerven zu gehen, wenn man im Kopf ständig die eigenen Geschichten, aber auch jeder mit eigenen Deadlines, kreativen Hochs und Tiefs. etc. zu tun hat?

Es hat seine Vor- und Nachteile mit einem anderen Autoren zusammen zu wohnen. Auf der einen Seite versteht er genau diese Hochs und Tiefs, den Stress einer Deadline und die Versunkenheit in einen Stoff. Auf der anderen Seite, und das liegt wohl an der Art der Tätigkeit, besteht die Gefahr, dass sich die Arbeit unbemerkt in die Freizeit schleicht, weil man eben ständig über den kreativen Prozess und die Texte redet. Da muss man ab und zu schon sehr deutlich sagen: So jetzt reden wir aber über etwas anderes als über Bücher. Zum Glück schreibt er ganz anders als ich (eher ungeplant, während ich strukturieren muss) und mag auch andere Autoren, sodass ich die Gespräche mit ihm als bereichernd empfinde. Außerdem arbeitet Boris in einem Büro (ich habe das Arbeitszimmer) und kann dort seine manchmal sehr laute Musik hören, während ich zum ersten Schreiben häufig Stille brauche. Das hilft.

Im Roman schreibst du, dass die Menschen im All eine Uhr mit Erdenzeit haben, eine sinnlose Tradition. Hattest du auch so ein Ritual zur Heimatverbundenheit, wenn du vor Corona unterwegs warst?

Wenn ich länger fort war, dann ja. Ich verstehe schon den Impuls, warum Menschen fern von der Heimat plötzlich Musik hören, die sie früher nie gehört haben, die sie aber an die Heimat erinnert. Das hat ja auch viel mit Nostalgie zu tun, und das ist nicht per se etwas Schlechtes, weil es uns ein Gefühl für unsere eigene Biografie gibt. Ich glaube, dass es für die Astronauten auf Langzeitmissionen enorm wichtig ist, nicht nur zu wissen, wie ihr Ziel aussieht, sondern auch zu wissen, wohin sie zurückkehren können. Nicht umsonst nimmt das Thema der Identität so viel Raum in Diskussionen und auch der Literatur ein.

Immer mehr SF-Stoffe werden von Netflix, Amazon und Co. adaptiert, inzwischen gibt es auch vorgegebene Quoten für deutsche Produktionen. Erlaubt man es sich da zu träumen, nach den Sternen zu greifen?

Natürlich würde ich manchen Stoff gern verfilmt sehen. Bei „Wenn wir nach den Sternen greifen“ (Ueberreuter Verlag) wollte ich sogar mit einer Drehbuchautorin zusammen eine Drehbuchfassung erarbeiten. Gerade als wir beginnen wollten, kam die Ankündigung für Eva Greens Film „Proxima“, der eine sehr ähnliche Grundidee hat. Da konnten wir uns die Arbeit natürlich sparen. Grundsätzlich würde mich die Arbeit an einem Film oder einer Serie aber sehr interessieren, weil das Drehbuch meine heimliche Leidenschaft ist (passend zum Präsens).

Kathleen Weise: Der vierte Mond • Roman • Wilhelm Heyne Verlag, München 2021 • 448 Seiten • Preis des E-Books € 11,99 (im Shop)

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