8. Januar 2020 3 Likes

„Für mich wird es da spannend, wo ein Film sichere Spuren verlässt.“

Im Gespräch mit Jessica Hausner, der Regisseurin von „Little Joe“

Lesezeit: 8 min.

Die Filme von Jessica Hausner sind intellektuelle Forschungsreisen. Mit klarem Blick für ihr jeweiliges Sujet und großer Lust auf die filmische Form hat sich die Österreicherin seit ihrem Debüt Lovely Rita (2001) als internationale Arthouse-Regisseurin erstens Ranges etabliert. In Werken wie Hotel, Lourdes oder Amour Fou entwickelte sie meisterhaft und mit kühlem Understatement ihre ganz eigene künstlerische Handschrift. Ihr neuer Film Little Joe (Start 9. Januar) wurde 2019 in den offiziellen Wettbewerb von Cannes eingeladen; Hausner widmet sich darin erstmals expliziten Science-Fiction-Elementen. Im Interview mit diezukunft.de spricht sie über böse Pflanzen, gute Mütter und Konventionen in Kino und Gesellschaft.

 


Jessica Hausner. Foto: Evelyn Rois

Frau Hausner, im Mittelpunkt von Little Joe steht eine genetisch manipulierte Pflanze, deren Pollen Menschen große Glücksgefühle verschafft, ihnen aber auch den freien Willen nimmt. Eine klassische Horrorvorstellung - gleichzeitig gewinnen Sie dem Sujet durchaus positive Aspekte ab. Wie wichtig ist Ihnen diese Ambivalenz?

Es geht in all meinen Filmen darum, die Welt in ihrer Widersprüchlichkeit und Ambivalenz zu zeigen. Wir versuchen immer, Überschriften zu finden, zu kategorisieren, zu subsummieren, Sinn zu finden in an sich sinnlosen Ereignissen. Wir Menschen interpretieren die Welt, die an sich ohne Beipackzettel geliefert wird. Wir schreiben uns ständig diesen Beipackzettel selbst, indem wir Regeln aufstellen und Geschichten schreiben, die der Welt Sinn einhauchen. Damit eins und eins am Ende doch noch zwei ist. Daran glaube ich nicht. Das Meiste ist nicht so, wie wir glauben, und am Ende haben sich alle geirrt.

Mit Ihrem fünften Langfilm stehen Sie gewissermaßen in einer langen Tradition des Pflanzenhorrors. The Day of the Triffids, Little Shop of Horrors, Invasion of the Body Snatchers – was macht Pflanzen zu besonders interessanten Monstern?

Eben das. Dass man sie schon oft als Symbole für eine bestimmte Bedrohung verwendet hat. Little Joe spielt mit den Symbolen der Angst. Um gleichzeitig zu fragen: Müssen wir uns wirklich vor dieser Blume fürchten? In Schneewittchen ist es ein roter Apfel, den die Hexe bringt. Die Logik eines Märchens – und von Genrefilmen – ist klar: Beiß nicht in den Apfel, denn er bringt Unheil! In Little Joe ist das gar nicht klar, denn hier wird ein modernes Märchen erzählt: Die Blume ist vielleicht harmlos, und wenn sie doch gefährlich ist, so entpuppt sich die vermeintliche Gefahr am Ende als Vorteil für alle.

Die Pflanze wehrt sich scheinbar gegen eine künstlich erzeugte Unfruchtbarkeit, wenn auch mit sehr perfiden Methoden. Hegen Sie eine gewisse Sympathie für Ihren Bösewicht?

Es geht in Little Joe darum, dass verschiedene Figuren die Situation verschieden interpretieren. Es ist Bella, die behauptet, die Pflanze wehrt sich gegen ihre Unfruchtbarkeit und beeinflusst daher Menschen. Aber stimmt das überhaupt? Chris sagt, die Pflanze ist harmlos. Alice weiß lange nicht, wem sie glauben soll. Sie will einen Test machen, der ihr verwehrt wird, weil Bellas Idee im wissenschaftlichen Sinn eigentlich unsinnig ist. Bellas Idee klingt eher wie aus einem Horrorfilm (!). Darum geht es in Little Joe: um das Spiel mit verschiedenen Interpretationen der Ereignisse. Meine Erfahrung zeigt, dass Zuseher den Film immer wieder unterschiedlich gedeutet haben. Manche lesen ihn als Horrorfilm, für andere ist die Pflanze harmlos und es ist Alice selbst, die sich am Ende von ihren Ängsten befreit und das tut, wonach sie sich insgeheim gesehnt hat …


Bei den Dreharbeiten von „Little Joe“. Jessica Hausner (links) mit den Darstellern Ben Wishaw und Emily Beecham. Foto: Christa Amadea

Little Joe ist auch ein Film über moderne Mutterschaft mit all ihren Schwierigkeiten. Ihre Protagonistin versucht mehr schlecht als recht, Beruf und Privatleben harmonisch zu gestalten. Inwiefern hat die Tatsache, dass Sie selbst Mutter sind, diesen Aspekt der Story beeinflusst?

Das gesellschaftliche Bild einer Mutter heutzutage ist noch sehr veraltet. Immer noch soll eine Mutter ihr Kind MEHR lieben als alles andere. Ich denke hingegen, eine Mutter ist ähnlich wie ein Vater: Ja, sie liebt ihr Kind, doch sie interessiert sich auch für andere Dinge, zum Beispiel für ihren Beruf. Aber immer noch umgibt die in Vollzeit arbeitende Mutter der Hauch einer Rabenmutter. Daher entsteht das schlechte Gewissen bei Müttern, die sich ihrem Beruf widmen. Das muss man als Frau endlich durchschauen und sich dann dagegen verhalten. Das tut die Hauptfigur Alice in Little Joe am Ende. Sie tut das, wofür sie sich interessiert, und der Sohn ist bei seinem Vater sehr gut aufgehoben.

Gerade im Spannungsfeld zwischen Autoren- und Genrefilm entsteht oft besonders interessantes Kino. Sie spielen ganz bewusst mit den Konventionen des Genres. Was reizt Sie daran?

Genre ist an sich veraltet, denn Genrefilme präsentieren eine Welt, in der Gut von Böse klar zu unterscheiden ist. Das stimmt so heute nicht mehr. Deshalb bedienen sich Regisseure mittlerweile aus dem Arsenal von Genre-Eementen und bauen sie um und ein. Um neue, modernere Filme zu machen. Gerade das Crossover aus Genre und Arthouse ist sehr spannend, weil Action auf Intellekt trifft und eine interessante neue Kreatur entsteht.

Ähnlich wie Stanley Kubrik, David Cronenberg oder Thomas Arslan bewegen Sie sich oft zwischen diesen beiden Polen. Und wie bei diesen Kollegen sind auch Ihre Filme oft eher artifiziell als realistisch gestaltet. Ihre Figuren scheinen oft in einem Puppenheim zu leben. Warum ist das so?

Weil meine Filme Parabeln sind. So ist Little Joe nicht nur ein Gentechnik-Thriller, sondern ein Film über Bindung und Nähe, über den Zweifel an der Liebe des geliebten Menschen und über eine existentielle Distanz zueinander, die unüberwindbar scheint


Jessica Hausner am Set von „Little Joe“. Foto: Petro Domenigg

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Diese Künstlichkeit offenbart sich bei Ihnen oft auch in den Kostümen. Für diesen Bereich ist Ihre Schwester Tanja verantwortlich. Christines roter Hut in Lourdes, Henriettes gelbes Kleid in Amour Fou, die regelrechte Farbexplosion in Little Joe – reine Lust am Aufbrechen des Realismus, oder wählen Sie diese Kolorierungen gemeinsam ganz bewusst aus?

Wir haben bei der Zusammenarbeit im Lauf der Zeit einen Stil entwickelt, den wir von Film zu Film weiter ausbauen. Das entsteht gemeinsam mit Martin Gschlacht, dem Kameramann meiner Filme, der Kostümbildnerin Tanja Hausner und Katharina Wöppermann, der Ausstatterin. Das Farbkonzept wird meistens von Tanja vorgegeben, beziehungsweise macht sie Vorschläge, aus denen wir gemeinsam eine Farbigkeit für den jeweiligen Film entwickeln. Es geht dabei um eine gewisse künstliche Überhöhung, um die Charaktere und deren Funktion in der Gesellschaft auf den Punkt zu bringen. Deshalb gibt es in meinen Filmen auch immer wieder Uniformen, da diese das visuelle Zeichen für die gesellschaftliche Position einer Person sind.

Auch das Sounddesign ist bei Ihnen stets genau durchdacht. Oft erhalten gerade dadurch leblose Objekte quasi eine eigene Sprache, wie etwa die Waldherberge in Hotel oder eben die Pflanze in Little Joe. Sehen Sie darin eine fast schon dialogische Funktion?

Die Musik und das Sounddesign haben einen eigenen Charakter in meinen Filmen. So wie die Kamera neben den Darstellern eine weitere handelnde Figur ist, so gilt das auch für die Musik, den Sound. Manchmal unterstützt die Musik die Spannung, manchmal macht sie sich selbständig und irritiert den Zuseher. Insgesamt geht es darum, eine brüchige Welt zu entwerfen, die Fragen aufwirft und den Zuseher in ein Labyrinth aus Widersprüchen und Irritationen lockt.


Alice (Emily Beecham) und ihre Geschöpfe. „Little Joe“, X-Verleih

Gerade das österreichische Kino hat oft einen Hang zum Naturalismus. Ihren Filmen haftet dagegen häufig eine fast schon märchenhafte Ausstrahlung an. Sind Märchen vielleicht am Ende wahrhaftiger als Sozialromantik oder Elendspornographie?

Klassische Märchen sind auch nicht mehr ausreichend als Spiegel unserer Welt. Dafür ist sie zu kompliziert geworden und bedarf eines neuen, unverstellten Blickes. Der Versuch, den ich unternehme, spielt sich zwischen den genannten Überschriften ab. Weder Märchen noch Naturalismus, weder Genre noch Sozialromantik … für mich wird es da spannend, wo ein Film diese sicheren Spuren verlässt und Neuland betritt. Ohne Überschrift.

Im Gegensatz zu einigen Ihrer österreichischen Kollegen scheinen Sie kein besonders misanthropisches Menschenbild zu haben. Ihre Filme sind vielmehr von einem wohlwollenden Humanismus geprägt. Empfinden Sie schon beim Schreiben Mitgefühl mit Ihren Figuren?

Na ja, ich beschäftige mich in meinen Filmen mit unseren Schwächen als Menschen, mit unserer hoffnungslosen Sehnsucht, alles möge gut werden, obwohl wir doch wissen, dass wir am Ende alle ausnahmslos sterben müssen! Das rührt mich, diese kindliche Sturheit, zu hoffen, zu wünschen, zu sehnen, alles im Angesicht einer gleichgültigen Welt, die nichts Spezielles mit uns im Sinn hat. Diese Hybris, zu denken, wir seien etwas Besonderes in der Natur, unsere angeborene blinde Eitelkeit, die uns selbst in den Mittelpunkt der Welt stellt. Das erstaunt mich und bewegt mich. Denn es ist umsonst.

Sie entscheiden sich bei der Schauspielerführung oft für einen minimalistischen, fast schon sterilen Ansatz. In Little Joe ändert sich das in einem interessanten Twist, sobald die Menschen vom Pollen der Pflanze infiziert werden. Plötzlich zeigen Sie Emotionen, lächeln sogar gelegentlich. Sind sie nun lediglich besessen und fremdgesteuert – oder haben sie tatsächlich zu ihrer eigenen Menschlichkeit zurückgefunden?

Tja, das sind Fragen, die ich nicht beantworten kann. Zeigt ein Mensch, der lächelt, seine Emotionen? Oder macht er uns etwas vor, um höflich zu sein? Ist ein Mensch, der menschlich ist, nicht sowieso fremdgesteuert? Weil er die Regeln erfüllt, die wir als „Menschlichkeit“ bezeichnen? Darum geht es genau in Little Joe. Wir haben viele Worte erfunden, aber wissen doch nicht, was ein anderer Mensch denkt und empfindet.


Mutter und Sohn. Emily Beecham und Kit Connor in „Little Joe“. X-Verleih

Auslösender Gedanke für die genetische Manipulation der Pflanze ist es, eine Art pflanzliches Antidepressivum herzustellen. Die Figur, die als Erste Little Joes wahre Absichten erkennt, wird explizit als psychisch krank eingeführt. Ein Spiel mit Genrekonventionen, oder sehen Sie darin auch einen Kommentar zum Selbstoptimierungswahn?

Wir wissen in Little Joe nicht, welcher Figur wir glauben sollen. Das bricht einerseits Genrekonventionen, andererseits entspricht es meiner Wahrnehmung der Wirklichkeit. Keiner von uns kennt die ultimative Antwort, ist im Besitz der Wahrheit. So ist es schwierig, in Little Joe zu beurteilen, welche Geschichte hier erzählt wird. Stimmt Bellas Geschichte, die von der Gefahr in Little Joes Pollen erzählt? Oder stimmt Alices Geschichte, die Angst hat, ihr Kind zu verlieren und sich selbst die Schuld zuschiebt an der Entfremdung von ihrem Sohn?

So fragt der Film die Grundsatzfrage: Wer ist tatsächlich authentisch? Natürlich geht diese Frage Hand in Hand mit der sehr aktuellen Debatte um „Alltagsdoping“- also um den Konsum von aufputschenden oder entspannenden Drogen oderMedikamenten, die uns optimieren, um in einer Welt des Erfolgs mithalten zu können.

Die Einladung zum Filmfestival in Cannes mit Little Joe ist sicherlich ein Höhepunkt in Bezug auf die Anerkennung Ihrer Arbeit. Wie wichtig ist Ihnen Feedback – sowohl von Kritik wie auch vom Publikum?

Feedback ist mir insofern wichtig, als mich interessiert, wie das Publikum meinen Film am Ende interpretiert. Ich starte jeden Film mit einer gewissen Absicht und durchlaufe einen Prozess, in dem der Film sich verändert, Gestalt annimmt. Am Ende möchte ich wissen, welche Aspekte daran dem Publikum wichtig sind, was besonders viel Echo erzeugt und welche Aspekte vielleicht weniger rüberkommen. Manchmal kommen auch völlig neue Aspekte hinzu, die mich überraschen. Das ist spannend und wichtig, um einschätzen zu können, ob das, was ich erzählen wollte, verstanden worden ist.

Was können wir als Nächstes von der Regisseurin Jessica Hausner erwarten?

Ich arbeite an einem neuen Drehbuch, wieder gemeinsam mit Geraldine Bajard, die mit mir bereits an den Drehbüchern zu Lourdes und Amour Fou zusammengearbeitet hat. Der Arbeitstitel des neuen Films ist Club Zero, und er spielt in einem Internat. Eine Welt von Uniformen und Verhaltensregeln, die darauf warten, unterwandert zu werden …

„Little Joe“ startet am 9. Januar im Kino.

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