Mit Wumms ins All?
Warum Antimaterie als Raketentreibstoff eher nichts taugt
Es heißt ja, dass man mit einem großen Knall einsteigen muss, wenn man den Leser von Anfang an bei der Stange halten will. Das nehme ich sehr wörtlich: Wenn spätestens auf Seite 5 nichts explodiert ist, dann habe ich das Buch nicht geschrieben. Starten wir diese Kolumne also mit dem größten Knall von allen – dem, der entsteht, wenn Materie auf Antimaterie trifft.
Ich liebe Antimaterie. Wer nicht? Kaum zu glauben, dass es sie wirklich gibt und kein schlechter Scherz ist, den sich ein paar Teilphysiker nach einem Glas Pfirsichschnaps zu viel ausgedacht haben. Antimaterie ist real. Sie besitzt alle Eigenschaften der normalen Materie, nur dass die Ladung ihrer Teilchen genau entgegengesetzt ist. Die uns wohlbekannten Elektronen sind positiv geladen – Positronen, ihre antimateriellen Zwillinge, dagegen negativ. Wenn man ein Positron und ein Elektron zusammenbringt, gibt es einen großen Knall. Die beiden Teilchen löschen sich gegenseitig aus, und dabei wird (dank Einstein) eine unglaubliche Menge Energie frei.
Während des Urknalls – keine Sorge, die Knallerei ist gleich vorbei – entstanden Materie und Antimaterie gleichzeitig und fingen sofort an, sich auf explosive Weise auszulöschen. Der Grund, weshalb wir und alles andere im sichtbaren Universum überhaupt existieren, liegt darin, dass es damals ein winziges Bisschen mehr Materie als Antimaterie gab. Aber auch heute können wir noch Antimateriepartikel beobachten, hauptsächlich als Resultat der auf der Sonne stattfindenden Kernreaktionen. Außerdem können wir sie hier auf der Erde herstellen und aufbewahren, wenn auch nur für sehr, sehr kurze Zeit.
Wahrscheinlich ahnen Sie schon, wo das hinführt – immerhin geht es in dieser Kolumne um den bekanntermaßen sehr großen Weltraum. Wenn wir ihn erforschen wollen, brauchen wir zunächst mal ein Raumschiff, das schnell genug für diese Aufgabe ist. Nun, werden Sie sich jetzt vielleicht fragen, warum nehmen wir nicht einfach Antimaterie als Treibstoff? Wo liegt das Problem? Eine gigantische Freisetzung von Energie aus winzigen Teilchen, die das Raumschiff auf vierzig Prozent der Lichtgeschwindigkeit beschleunigen könnte? Verflucht, worauf warten wir noch?
Die Antimaterieforschung ist – man verzeihe das Wortspiel – in den vergangenen Jahren förmlich explodiert. Etliche Investoren sind darauf eingestiegen, ja, es wird sogar die unvermeidliche Crowdfunding-Kampagne geben: Eine Firma aus Chicago will dadurch die nächste Stufe ihrer Antriebstechnologie erforschen. Ziel ist ein Raumschiffantrieb, mit dem wir unsere unmittelbare galaktische Nachbarschaft verlassen können (die Kampagne hat meines Wissens allerdings noch nicht angefangen). Der wissenschaftliche Leiter des Projekts, ein ehemaliger Fermilab-Mitarbeiter namens Gerald Jackson, behauptet, mit ausreichender Finanzierung bis zum Ende des Jahrzehnts einen Antimaterieantrieb bauen zu können.
In einen Punkt haben Jackson und seine Kollegen recht: Antimaterie wäre wirklich ein fantastischer Treibstoff. Leider ist es physikalisch unmöglich, ausreichende Mengen herzustellen. Das ist keine Frage des Geldes – man müsste schon die Naturgesetze außer Kraft setzen.
Erinnern Sie sich noch an Dan Brown? „Sakrileg“? Das Buch war Schrott. „Illuminati“ ist viel besser und immer noch einer der unterhaltsamsten Thriller, die ich je gelesen habe. Darin geht es um eine Bombe, in der sich eine mit dem bloßen Auge sichtbare Menge Antimaterie in einer Magnetfalle befindet. Sobald das Magnetfeld abgeschaltet wird, trifft Antimaterie auf Materie - und alles geht auf spektakuläre Weise vor die Hunde. Das Ganze hat nur einen Haken: Selbst ein Millionstel dieser Antimateriemenge herzustellen, würde ein Vielfaches der Energie verschlingen, die wir durch die Explosion gewinnen. Dank unserer Teilchenbeschleuniger sind wir in der Lage, Positronen und dergleichen zu erschaffen – aber kaum in Serienproduktion. Wie Frank Close in seinem treffend betitelten Buch „Antimaterie“ darlegt, haben wir mit all unseren Experimenten zusammengenommen lediglich so viel Antimaterie erzeugt, um eine Glühbirne ein paar Minuten leuchten zu lassen. Mit der Energie, die dafür nötig war, könnte man den ganzen Times Square erstrahlen lassen.
Das ist dummerweise ein unumstößliches Gesetz der Teilchenphysik. Sofern wir nicht zufällig auf einen bereits existierenden Haufen Antimaterie stoßen (was nicht geschehen wird), werden wir nie genug davon haben. Und das ist nicht das einzige Problem. Sobald man das Zeug hat, muss man es irgendwo lagern, man kann es nicht einfach in einem handlichen Magnetvakuum von aller Materie abschotten. Negativ geladene Teilchen stoßen sich nämlich ab, und je mehr Teilchen, desto größer die Abstoßungskraft. Um genug Antimaterie zu lagern, damit man beispielsweise ein Raumschiff von der Größe der Internationalen Raumstation auf die Reise schicken könnte, müsste dieses Magnetvakuum halb so groß wie unser Planet sein. Nun ja, vielleicht nicht ganz so groß, aber trotzdem gigantisch.
Langer Rede kurzer Sinn: Antimaterie klingt cool – und sie ist auch cool –, aber als Raketentreibstoff ziemlich ungeeignet. Da müsst ihr euch leider was Neues ausdenken, liebe Weltraumfreunde.
Rob Boffard wurde in Johannesburg geboren und pendelt als Autor und Journalist zwischen England, Kanada und Südafrika. Er schreibt unter anderem für „The Guardian“ und „Wired“. Sein Debütroman „Tracer“ (im Shop) ist im Heyne Verlag erschienen.
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