13. Juli 2015 4 Likes

Das Wohl von Vielen

Peter Watts: Eine ethische Gesellschaft billigt die Tötung unschuldiger Menschen

Lesezeit: 2 min.

„Das Wohl von Vielen, es wiegt schwerer als das Wohl von Wenigen“, sagte Spock in „Star Trek 2: Der Zorn des Khan“. Peter Watts, der kanadische Autor, der für seine Meinungsfreudigkeit bekannt ist und gerne mal aneckt, ist ganz beim Lieblings-Alien der SF-Gemeinde, formuliert die Sache in seinem aktuellen Blog allerdings etwas weniger Poesiealbum tauglich: „Eine ethische Gesellschaft billigt den Tod unschuldiger Menschen.“

So formuliert klingt das natürlich schon weit weniger attraktiv und Watts gibt sich große Mühe, den so einfachen Gedanken des „Vulkaniers“ genau unter die Lupe zu nehmen. Denn in der Realität sieht die Sache schließlich ganz anders aus. Rein faktisch ist es umgekehrt: Das Wohl der Wenigen siegt fast immer über das Wohl von Vielen.

Doch das hehre vulkanische Prinzip, dem man so schnell beipflichtet, stößt rasch an Grenzen.

„Tabakkonsum hat im Laufe des 20. Jahrhunderts geschätzt 100 Millionen Menschen umgebracht, aber keiner der verantwortlichen Produzenten wurde wegen Mordes angeklagt oder gar verurteilt. Aber wenn ein Forscher beim Versuch, Lungenkrebs zu heilen, Experimente macht, bei denen ein paar Menschen sterben, ist er ein Serienkiller“, schreibt Watts. Wieso „dämonisieren wir diejenigen, die Wenige töten, um Viele zu retten, während wir die Wenigen freisprechen, die manchmal nur aus reinem Profitstreben die Vielen umbringen? Verlangt Spocks Aphorismus nicht geradezu, dass man mit Mord davonkommen muss, wenn er im Namen des Allgemeinwohls geschieht?“

Die Kröte will nicht wirklich rutschen.

Warum, das erläutert Watts am Beispiel einer Variation des „Trolley-Problems“: Eine Bahn rast auf eine kaputte Brücke zu. Man kann die Passagiere retten, wenn man A) die Bahn auf ein anderes Gleis steuert, wo sie leider einen Bahnwärter überfährt. Oder B) wenn man einen fetten Mann aufs Gleis stößt, der die Bahn aufhält.

Trotz aller Bauchschmerzen entscheiden sich die meisten Menschen für A), obwohl die Szenarien ethisch identisch sind. Einer stirbt, viele werden gerettet. Der Verdacht liegt nahe, dass die vermeintlich „moralische“ Entscheidung viel damit zu tun hat, dass man sich in dem Dilemma nicht auch noch die Hände schmutzig machen möchte.

„Moral ist nicht Ethik, nicht Logik. Moral ist Feigheit“, schließt Watts, „und diese Feigheit reduziert Spocks ‚unumstößliche‘ Weisheit in der Realität auf eine bedeutungslose Platitüde.“

Peter Watts neuer Roman „Echopraxia“ ist eben bei Heyne erschienen und auch im Shop erhältlich. Ein Besuch seines Blogs lohnt sich immer.

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