Hungerkunst, Splattergunst, Feuerbrunst
Phantastik-Comic-Neuheiten im Februar
Guido Crepax erotisiert die Hochkultur, Kazuo Umezu lässt Kinder morden, Tarantino erklärt unterschlagene Filmgeschichte, und Minetaro Mochizuki zerlegt noch einmal die ganze Welt.
Minetaro Mochizuki: Dragon Head Band 5
Minetaro Mochizukis Endzeit-Epos „Dragon Head“ aus den späten 90ern zählt auch heute noch zu den erfolgreichsten Serien des Mangaka – ein Bestseller in Japan, ein preisverwöhnter Kritiker*innenliebling noch dazu, 2003 schließlich Filmvorlage (die es leider nie nach Deutschland geschafft hat). Darin schickt Mochizuki im harten, realistischen Zeichenstil ein jugendliches Paar durch das Ende der Welt, das in einem eingestürzten U-Bahn-Tunnel seinen Anfang nimmt und sich später auf der Oberfläche als ein Hölleninferno erweist, dessen Ursachen nebulös bleiben, auch weil sich die wenigen Überlebenden in der Apokalypse lieber selbst massakrieren. Die düsteren Bilder erhalten nach Fukushima eine nochmals intensivere Dringlichkeit, ohnehin ist eine Re-Lektüre kaum mehr möglich, ohne dabei an den Klimawandel zu denken. Carlsen hat die seinerzeit zehn Bände umfassende Serie erneut als Perfect Edition herausgebracht, deren abschließender fünfter Band soeben erschienen ist.
Minetaro Mochizuki: Dragon Head Band 5 • Carlsen Manga, Hamburg 2024 • 404 Seiten • Taschenbuch • € 20,00
Danijel Zezelj: Wie ein Hund
Der nächste Beitrag zum Kafka-Jahr. Der kroatische (nicht nur Comic-)Künstler Danijel Zezelj collagiert mehrere Kafka-Texte zu einem kontraststarken Bilderreigen, angeleitet vom „Hungerkünstler“, zusammengehalten von der schwarzweißen, zwischen Expressionismus und Realismus schwankenden Grafik, die Kafkas Oszillieren ins Stilistische überträgt. Und so wie Kafkas Figuren rückblickend an der Grausamkeit der Moderne zerbrechen, ist es hier die Gegenwart, die dem Protagonist die Luft zum Atmen nimmt. Ein Fest für die Augen, angesichts der Vorlage(n) vielleicht zu erwartbar entschlüsselungswillig.
Danijel Zezelj: Wie ein Hund • Avant-Verlag, Berlin 2024 • 104 Seiten • Softcover • € 22,00
Guido Crepax: Dr. Jekyll und Mr. Hyde
Nach „Dracula“ im Dezember folgt nun mit „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ beim Splitter Verlag der nächste Band der Werkausgabe mit Guido Crepax‘ Literaturadaptionen, in diesem Fall noch ergänzt um Kafkas „Prozess“, James‘ „Die Drehung der Schraube“ und Shelleys „Frankenstein“, also Werken, die dem Gebiet der Phantastik zugehörig sind. Der 2002 veröffentlichten Bearbeitung des Frankenstein-Stoffs kurz vor seinem Tod im Jahr 2003 ist Crepax‘ Multiple-Sklerose-Erkrankung deutlich am Strich anzusehen. Sie ist auch die einzige der vier, deren Erotisierung wenig aus den subtextuellen Überschüssen des Originals schöpfen kann. Jede Adaption wird mit einem Vorwort eingeleitet und erscheint in neuer Übersetzung.
Guido Crepax: Dr. Jekyll und Mr. Hyde • Splitter Verlag, Bielefeld 2024 • 280 Seiten • Hardcover • € 55,00
Kazuo Umezu: Die linke Hand Gottes und die rechte Hand des Teufels Band 1 & 2
Der Manga-Veteran Kazuo Umezu muss dem deutschen Markt noch näher gebracht werden, und mit der zweibändigen Gesamtausgabe „Die linke Hand Gottes und die rechte Hand des Teufels“ hat Egmont Manga ein recht rüdes, gelegentlich auch zynisches Horror-Epos ausgewählt. Die fünf Storys erschienen ursprünglich zwischen 1987 und 1988 im „Big Comic Spirits“-Magazin und drehen sich allesamt um den sechsjährigen Sou, der die Gabe besitzt, in seinen Träumen die nahe Zukunft vorherzusehen und darin auch einzugreifen. Das verbindet Umezu mit einer ausschweifenden Ästhetik des Drastischen, die vor rüdem Splatter nicht zurückschreckt. Und ebenso mit einer Romantisierung der Kindheit nichts am Hut hat. Da planen die Schulkinder durchaus (und sehr kreativ) einen Mord an ihrer Lehrerin, um herauszufinden, ob sterbende Menschen ihr wahres Gesicht zeigen, wie es eine urbane Legende behauptet.
Kazuo Umezu: Die linke Hand Gottes und die rechte Hand des Teufels Band 1 & 2 • Egmont Manga, Berlin 2024 • 656/640 Seiten • Hardcover • je € 30,00
Amy Chu, Soo Lee: Carmilla. Die erste Vampirin
Es ist sehr erfreulich, dass der US-Horror-Comic immer politischer wird und selbstverständlich Minoritäten das Handlungszepter überreicht, man denke nur an „Infidel“, „Bitter Root“ oder Marjorie Lius und Sana Takedas auch hierzulande gestartete „Monstress“-Nachfolgeserie „The Night Eaters“. Dazu gehört auch Amy Chus und Soo Lees Mini-Serie „Carmilla. Die erste Vampirin“, in der die New Yorker Sozialarbeiterin Athena eine Mordserie an jungen Frauen aufzuklären versucht, deren Systematik von den Behörden ignoriert wird, weil es sich bei den Opfern um obdachlose queere Frauen handelt. Weil sie selbst asiatisch aussieht, führt dies immer wieder zu alltagsrassistischen Begegnungen, und auch der empathische Blick auf die Deklassierten, die vom Staat wie Menschenmüll behandelt werden, zeugt vom Gespür für die soziale Ungleichheit, die den urban horror wie ein Hintergrundrauschen begleitet. Nur die Verbindung zu Le Fanu wirkt ein wenig bemüht.
Amy Chu, Soo Lee: Carmilla. Die erste Vampirin • Splitter Verlag, Bielefeld 2024 • 112 Seiten • Hardcover • € 22,00
Amazing Ameziane: Quentin Tarantino
Behutsam wird die lose Filmbibliothek des Splitter Verlags weiter ausgebaut. Zeichner und Autor Amazing Ameziane wählt für seine Comicbiografie eine Methode mit geringster Distanz: Quentin Tarantino selbst quatscht über sein Leben und Werk und hält dabei mit Eigenlob nicht hinterm Berg. Dieser Plauderton, der Tarantinos in Interviews und Büchern eloquent vorgetragene Filmbegeisterung nachzuahmen versucht, kann gelegentlich ermüdend sein, zumal nie ersichtlich ist, ob dem Schnack überhaupt Quellen zugrunde liegen. Beim visuellen Spiel mit den Formen des Erzählens greift der Rückgriff auf Tarantinos Pastiche-Lehre allerdings hervorragend, zumal auch hier die Freiheit zur Abschweifung Programm ist und sich viele Exkursionen in die Filmgeschichte von unten erlaubt werden, das reicht vom Blaxploitation-Film bis zur Roger-Corman-Schmiede, von den kreativen Anfängen des Pornofilms bis zur Grindhouse-Kinokultur.
Amazing Ameziane: Quentin Tarantino • Splitter Verlag, Bielefeld 2024 • 240 Seiten • Hardcover • € 35,00
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