Metallforscher, Welterklärer und Comichistoriker
Phantastik-Comic-Neuheiten im April
Zwei Roboter spüren den Resten menschlicher Zivilisation nach, ein Physiker und ein Comickünstler diskutieren im Dschungel, und eine Gruppe Tierkinder lässt sich tief im Wald von Spukgeschichten verzaubern. Außerdem hat Alexander Braun eine Geschichte der „Black Comics“ verfasst.
Tat’ána Rubášová, Jindřich Janíček: William & Merriwether auf wundersamer Expedition
Was uns langsam dämmert, ist in der tschechischen Graphic Novel „William & Merriwether auf wundersamer Expedition“ vor unbestimmter Zeit eingetreten: Die Postapokalypse währt schon lange, und alle Indizien, die die einstige Anwesenheit des Menschen bezeugen, sind verborgene Relikte einer untergegangenen Zivilisationen tief unter der Erde – obendrauf wächst längst neuer Wald. So oder zumindest so ähnlich stellt sich die Gegenwart den beiden Forschungsrobotern des Titels dar, die ausgezogen sind, die Welt außerhalb ihrer Stadtmauern zu erkunden, von der niemand annimmt, dass sie überhaupt existiert. Die Spuren dieser Zeit sind sie selbst, ebenso ihre von den amerikanischen Entdeckern William Clark und Meriwether Lewis abgeleiteten Namen, aber die beiden wissen weder etwas über ihre Erfinder noch von der menschlichen Kultur, der sie ihre Existenz verdanken. Und so trotten sie unbedarft durch Steppen und Wälder, überqueren Flüsse und durchschreiten Höhlen und liegen mit der Deutung der Artefakte, auf die sie dabei stoßen, immer eine Spur neben der Wahrheit. Das ist von überragender Komik, weil hinter den unaufdringlichen Gags stets auch die Melancholie einer verlorenen, unenträtselbaren Menschheitsgeschichte aufflammt. Auch die Ästhetik wirkt kontrolliert wie die Maschinen: Zeichner Jindřich Janíček operiert einzig mit grünen, blauen, gelben, weißen und schwarzen Farbtönen, es gibt keine Dialoge, und die Logbuch-Einträge befinden sich immer in Textkästen unterhalb der Bilder. Endlich mal ein Weltuntergang, in dem es sich gut aushalten lässt!
Tat’ána Rubášová, Jindřich Janíček: William & Merriwether auf wundersamer Expedition • Avant Verlag, Berlin 2025 • Softcover • 192 Seiten • 30 Euro
Luca Pozzi, Elisa Macellari: Loops
„Treffen sich ein Wissenschaftler und ein Künstler im Dschungel…“ Das ist nicht der Anfang eines Witzes, sondern die Ausgangslage des Sachcomics „Loop“ des italienischen Künstler*innenpaars Elisa Macellari und Lucas Pozzi. Darin flanieren letzterer und der italienische Physiker Carlo Rovelli im tropischen Regenwald in Laos und führen Gespräche über das Wesen und die Entwicklung der Wissenschaft. Anaximander, Kopernikus, Galilei sind ihre Stichwortgeber, die Neugier und der Wille, „die Komfortzone (zu) verlassen, in der wir uns eingerichtet haben“, ihr Antrieb. Die Themen sind gewaltig, reichen vom Urknall und der Frage nach der Existenz Gottes bis zur Bedeutung des ersten aufgezeichneten Signals einer Gravitationswelle. Sehr komplexer und trockener Stoff also, aber Zeichnerin Elisa Macellari hat beeindruckende Bildideen und -metaphern entwickelt, um die komplizierten Aussagen verständlich(er) ins Visuelle zu übertragen, sodass auch thematisch unbeleckte Laien wie ich zumindest eine Ahnung davon erhalten, worüber eigentlich gesprochen wird. Keine sprechenden Köpfe, stattdessen demonstrative Zeichenpoesie, für die allein sich dieser Spaziergang womöglich lohnen könnte.
Luca Pozzi, Elisa Macellari: Loops • Jaja Verlag, Berlin 2025 • 168 Seiten • Hardcover • 26 Euro
Jean Dufaux, Jaime Calderon: Das Haus Usher
Cover und Titel mögen eine klassische Gothic-Novel-Stimmung versprechen, aber Szenarist Jean Dufaux und Zeichner Jaime Calderon verwenden Edgar Allan Poes Story nur als Gerüst und erlauben sich allerlei Abweichungen, die auch vor selbstreferentiellen Elementen nicht zurückschrecken. Das geht so weit, dass neben der Hauptfigur Damon Price, der wegen Spielschulden aus London ins Haus Usher mithilfe einer rätselhaften Kutsche vor seinen Gläubigern flieht, eine weitere installiert wird, nämlich Poe selbst, der auf der Suche nach Inspiration durch die Straßen und Pubs zieht und immer wieder mit der Entscheidung ringt, welches Schicksal er Price nun aufbürden soll. Zwar wird der Plot für dieses Meta-Spiel an manchen Stellen arg übers Knie gebrochen, aber das weiß die visuelle Ebene, die Lust am altmodischen Dekors wieder auszugleichen. Für den unmittelbaren Vergleich ist im Anhang außerdem noch Poes Kurzgeschichte abgedruckt.
Jean Dufaux, Jaime Calderon: Das Haus Usher • Splitter Verlag, Bielefeld 2025 • 72 Seiten • Hardcover • 19,80 Euro
Éric Corbeyran, Roy Allan Martinez: Tarzan bei den Affen
Mit „Das vergessene Land“ wurde im November der Startschuss einer frankobelgischen Konzeptreihe gegeben, die mittels wechselnder Kreativ-Teams und stets im Doppelalbenformat die berühmtesten Pulp-Werke von Edgar Rice Burroughs als Comics darbietet. „Tarzan bei den Affen“ präsentiert Lord Greystokes origin story und bleibt im Ton dicht am Original. Roy Allan Martinez‘ Stil weist Züge des amerikanischen Pragmatismus auf und erlangt in Schattenszenen hie und da einen expressionistischen Reiz, vor allem aber passt diese harte Ästhetik sowohl zu Tarzans brutalem Überlebenskampf im Dschungel als auch zu den Auswüchsen der Klassen- und Kolonialgesellschaft, denen er auf seinem Weg nach London begegnet. Der popkulturellen Geschichte und Bedeutung der Tarzan-Figur wird abermals im vom Pulp-Experten Patrice Louinet verfassten siebenseitigen Anhang nachgespürt.
Éric Corbeyran, Roy Allan Martinez: Tarzan bei den Affen • Splitter Verlag, Bielefeld 2025 • 120 Seiten • Hardcover • 25 Euro
XuDong Kai: 3 Body Problem Band 1
Wie bereits vor einigen Wochen auf dieser Seite angekündigt startet der Splitter Verlag im April mit dem Asien-Imprint Splitter Manga+. Unter den vier monatlichen Novitäten sei, weil für SF-Fans sicher am interessantesten, exemplarisch der Auftakt zu „3 Body Problem“ (dt. Ausgabe als „Trisolaris-Trilogie“ bei Heyne; im Shop) hervorgehoben.
Cixins Lius moderner Klassiker wird als zehnbändige Manhua-Serie adaptiert, in diesem Fall ein chinesischer Comic und deswegen im Gegensatz zu Manga komplett farbig und in westlicher Leserichtung angeordnet. Der erste Band bietet auf 180 Seiten kaum mehr als eine Exposition des Grundkonflikts in einem kühl aseptischen Stil, was sich im weiteren Verlauf womöglich noch zum Sujet fügen mag.
XuDong Kai: 3 Body Problem Band 1 • Splitter Manga+, Bielefeld 2025 • 184 Seiten • Softcover • 16 Euro
Barbara Canepa, Anaïs Halard, Florent Sacré: Greenwood Band 1
„Greenwood“ ist ein Kindercomic der süßesten Sorte. Autorin Barbara Canepa erzählt von einer Gruppe junger sprechender Waldtiere aus dem titelgebenden Dörfchen – ein Fuchs, zwei Kaninchengeschwister, eine Fledermaus, sogar eine Spinne ist darunter –, die sich liebend gerne von den unheimlichen Geschichten der Einsiedler-Häsin Urania das Fürchten lehren lassen und ansonsten auf der Suche nach Zutaten für einen großen Backwettbewerb durchs Unterholz stromern. Die Zeichnungen erfolgen mit jedem Band von unterschiedlichen Zeichner*innen, und betrachtet man die märchenhafte Opulenz, mit der Florent Sacré in der Auftakt-Story auftrumpft, sollte verständlich sein, dass andernfalls die geplante halbjährliche Erscheinungsweise unmöglich zu stemmen wäre. „Greenwood“ will beiläufig für das Faszinosum Natur sensibilisieren und vertieft die Erzählung mit amüsanten Info-Seiten, die bspw. Knoblauch als Heilmittel oder den Aufbau einer Spinne erläutern.
Barbara Canepa, Anaïs Halard, Florent Sacré: Greenwood Band 1 • Toonfish, Bielefeld 2025 • 48 Seiten • Hardcover • 15,95 Euro
Alexander Braun: Black Comics. Vom Kolonialismus zum Black Panther
Ein gar nicht genug zu preisender Nebeneffekt des 2019 eröffneten kleinen Comicmuseums schauraum: comic + cartoon in Dortmund ist, dass die halbjährlich wechselnden Ausstellungen immer von einem voluminösen Katalog des Kurators Alexander Braun begleitet werden, der weit mehr zu bieten hat als einen kommentierten Abdruck der Exponate. Braun folgt in allen Publikationen einem soziohistorischen Ansatz, sieht genau hin, kontextualisiert die Werke in der gesellschaftlichen Kultur, der sie entstammen, und geht erst dann zur Analyse über, die mit kritikloser Schwelgerei nichts gemein hat. Über ein Dutzend Bücher, viele davon Standardwerke, sind so entstanden, und sowohl Output als auch Niveau sind in der hiesigen Comic-Publizistik einzigartig.
Auch der neueste Katalog der bis zum 11. Mai zu sehenden Ausstellung „Black Comics. Vom Kolonialismus zum Black Panther“ bildet da keine Ausnahme, nein, der Impetus wirkt aufklärerischer denn je. Braun spannt große Bögen von der Geschichte des Kolonialismus und der Sklaverei zu deren Niederschlag in den kulturellen Artefakten – sei es als unbewusstes kulturelles Erbe, Propaganda oder kritische Verarbeitung. Man erfährt viel über den Comic im Kongo, dem „Comic-Zentrum des afrikanischen Kontinents“, oder die schwarzen Protagonisten der Superhelden-Universen, gleichermaßen ist Braun aber auch redlich bemüht, identitätspolitische Diskurse und Verbotsforderungen der Gegenwart dialektisch am Material zu überprüfen, immer verbunden mit der Frage, inwiefern die heutige Meinungshegemonie und die daran gekoppelten gewandelten Rezeptionsmechanismen ahistorisch die Vergangenheit instrumentalisieren und dadurch auch schwarze Identitätsgeschichten zerstören. In puncto Sekundärliteratur wieder mal ein Jahrestipp, aber im Sommer wird ja noch die nächste Ausstellung folgen.
Alexander Braun: Black Comics. Vom Kolonialismus zum Black Panther • Panini, Stuttgart 2025 • 416 Seiten • Hardcover • 49 Euro
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