1. September 2020 2 Likes

„Iron Harvest“: 1920er mit Dieselmechs

Angespielt: Mit dem heute erschienenen Strategie-Titel setzt King Art Games eine echte Duftmarke im Genre

Lesezeit: 3 min.

Gefühlt drehen sich die meisten alternativen Zeitstromgeschichten eher um den Zweiten Weltkrieg und dessen Ausgang als um dessen Vorgänger. Nicht so bei Iron Harvest, dem frisch für PC erschienenen Echtzeit-Strategie-Spiel des Bremer Studios King Art Games. Hier erlebt man eine epische Kampagne in den 1920ern, welche die Folgen des Ersten Weltkrieges umdeutet, obwohl beispielsweise Deutschland und Österreich immer noch zu den Verlierern des Konflikts zählen. Im Zentrum stehen drei Fraktionen, nämlich das Kaiserreich Saxony, die Großmacht Rusviet und das zwischen ihnen liegende Polonia, wobei man kein Historiker sein muss, um eine klare Ost-West-Frontstellung zwischen den Ländern Deutschland, Polen und Russland herauszulesen.

In einer möglichen Vorgeschichte zu weiteren sich anbahnenden Katastrophen, erleben wir in Iron Harvest u.a. den verzweifelten Kampf Polonias, nicht zwischen den beiden anderen Reichen aufgerieben zu werden und zum politischen Spielball zu verkommen. Da Polonia von Rusviet besetzt ist, stehen die Zeichen deutlich auf Krieg, wobei wir spannenderweise im Verlauf der Story alle drei Fraktionen nacheinander übernehmen und so verschiedene Blickwinkel auf das Geschehen erhalten.

Als wäre das nicht bereits ungewöhnlich und interessant genug für ein kontemporäres Strategiespiel, würzen die Macher ihr Kriegsgemisch mit einer gehörigen Portion Mech-Technologie, die Iron Harvest sowohl in Sachen Gameplay wie Präsentation einen sehr ansprechenden Dieselpunk-Touch verleiht. Das hat zur Folge, dass sich etwa mit klassischen Gewehren bewaffnete Infanterie mit riesigen Dampfmaschinen, Geschützen und Panzern um den Sieg balgen – und das solo in 20 Kampagnenmissionen oder auch via Multiplayer oder bei Extraherausforderungen.

Jede Fraktion wird dabei repräsentiert von einzelnen Charakteren, die das Storygerüst gerade in den Zwischensequenzen emotional mitreißend vorantreiben und Iron Harvest zu einem der am besten erzählten Vertreter seiner Genrezunft avancieren lassen. Wie nicht anders zu erwarten, türmen sich nämlich einige Interessenkonflikte und moralische Dilemmata vor den Protagonisten auf, die ein natürlich beklemmendes Bild auf Krieg und dessen Opfer werfen. Wer hier also pathetischen Wohlfühltrash wie bei Call of Duty erwartet, ist definitiv fehl am Platz.

Im Zentrum steht aber letztlich das Strategie-Gameplay, das sich in Aufgaben wie den Ausbau eigener Verteidigungslinien, einer Basis oder der Armee sowie natürlich den Kampf gegen feindliche Truppen oder die Verteidigung wichtiger Ziele unterteilt. Auf dem Schlachtfeld kommt es darauf an, seine Truppen mit ihren je eigenen (Klassen-)Stärken sinnvoll einzusetzen und dabei mögliche Vorteile wie verschiedene Deckungen, Distanzen und Schwachstellen des Gegners nicht außer Acht zu lassen. Dank der verschiedenen Mechs mischt sich Abwechslung ins Geschehen, denn die großen, sehr unterschiedlichen Kolosse können zwar menschliche Truppen meist leicht zu Brei schießen, sind aber beispielsweise bei der Geschwindigkeit im Nachteil und schon dadurch bei entsprechend geplantem Vorgehen verwundbar.

Besonders klasse dabei: Auch während der Kämpfe verliert Iron Harvest nicht an inszenatorischer Intensität, sondern lässt uns verwundete Kammeraden abtransportieren oder unsere ramponierten Mechs mittels wichtiger Ressourcen wie Öl oder Eisen wieder in Schuss bringen. Damit ist auch eine weitere Komponente des Gameplays angerissen, denn nur wer sich um die Eroberung von Minen und anderen Ressourcenbringern bemüht, zieht nicht den Kürzeren gegen die gut aufgestellte Konkurrenz.

Eines sei aber hinzugefügt: Wer wirklich bis zum letzten Detail am eigenen Hauptquartier basteln will oder trotz ein Grafikwunder erwartet, könnte leicht enttäuscht sein. Zwar macht die Technik einen guten Job (etwa bei der stimmungsvoll dreckigen Inszenierung der Mechs oder der Areale) und keine Spielmechanik verkommt zum Anhängsel. Allerdings scheint Iron Harvest sich primär auf seine Story und die bis auf einige merkwürdige KI-Aussetzer (Stichwort Deckungs- und Sichtverhalten der Mechs) anspruchsvoll wie taktisch tiefgründigen RTS-Kämpfe zu fokussieren.

Über den Multiplayer und die zusätzlichen Herausforderungen können wir an dieser Stelle mangels entsprechender Sessions leider nichts sagen, aber die ersten Stunden der Kampagne haben wirklich Lust auf mehr gemacht im ohnehin jüngst ausgedarbten Strategiegenre. Das Schicksal der Figuren zieht sofort an, die Atmosphäre wird klasse präsentiert (auch bei Synchro und Sound) und dank gut durchdachter Steuerung und mehreren Schwierigkeitsgraden kommt man auch super in diese alternative Timeline rein. Das ist die aktuell rund 50 Euro (digital oder Retail) absolut wert und Besitzer von PS4 und Xbox One können sich ebenfalls auf die bereits sicheren Konsolenports freuen.

Iron Harvest • King Art Games • Echtzeit-Strategie • PC (auch bald für PS4/Xbox One)

Abb. © Deep Silver

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