Die Ängste einer Ära
Einblicke in das wissenschaftliche Erbe des Viktorianischen Zeitalters
Das sogenannte Viktorianische Zeitalter innerhalb des 19. Jahrhunderts markiert historisch nicht nur in England mit vielen technischen und wissenschaftlichen Innovationen eine der wohl spannendsten Phasen der Menschheitsgeschichte. Allein der Blick auf massenmediale Entwicklungen wie die Erfindung des Telefons oder die Auswirkungen der industriellen Revolution in verschiedenen Ländern genügt, um sich aus heutiger Sicht vor Augen zu führen, welche Veränderungen auf die damaligen Gesellschaften Europas eindrangen. Die Auswirkungen dieser Veränderungen fanden ihren entsprechenden Widerhall natürlich auch in zeitgenössischen Romanen wie Die Zeitmaschine von H.G. Wells, der die Spirale des technischen Fortschritts bereits um 1900 sehr prominient mit dem Motiv der Zeitreise und einem damit einhergehenden Blick in eine mögliche Zukunft verknüpft. Der Roman von Wells ist gerade mentalitätsgeschichtlich eine wahre Fundgrube dafür, wie Fortschritt neben Euphorie auch Ängst vor den nicht absehbaren Konsequenzen wissenschaftlicher Erkenntnis schüren kann.
Ein umfangreiches Forschungsprojekt der Universität von Oxford, das unter anderem auch vom European Research Council finanziert wird, nimmt sich in Form des Blogs Deseases Of Modern Life den verschiedenen mentalitätsgeschichtlichen Auswirkungen und Diskussionskulturen des Viktorianischen Zeitalters an, wie sie die damalige Gesellschaft vor allem in England geprägt haben. Doch es geht nicht nur um eine Bestandsaufnahme damaliger Ergebnisse, sondern vor allem um die Frage, inwiefern auch heute noch vergleichbare Sichtweisen in der Wissenschaft überlebt oder sich unter bestimmten Vorzeichen verändert haben.
Die beteiligten Historiker zeigen an vielen Beispielen etwa aus der Literatur oder der Medizin auf, welche Ängste und Vorurteile im 19. Jahrhundert sowohl bei Akademikern, Adeligen, Bürgerlichen oder anderen Schichten im Kontext neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse und Erfindungen diskutiert wurden. Doch dahinter stehen letztlich gesellschaftliche Probleme einer sich verändernden Arbeitswelt, die sich als Vorboten unserer Gegenwart verstehen lassen. Was gerade Stress als Massenphänomen und Konsequenz einer ansteigenden Technisierung mit einer Gesellschaft anstellt und wie sich Stress in unterschiedlichster Weise manifestiert, hat in über 100 Jahren nichts an Aktualität verloren und wird sicherlich noch weitere Generationen beschäftigen, die dann unsere „Gegenwart“ zum Objekt mentalitätsgeschichtlicher Forschung erheben.
Abb. aus „The Time Machine“ © Warner Bros.
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