19. Juni 2017 2 Likes

Kosmischer Spuk

Lovecrafts Vorläufer: „Carnacki, der Geisterdetektiv“ von William Hope Hodgson

Lesezeit: 3 min.

Bereits 1912 verfasste der englische Seemann, Bodybuilder, Fotograf und Schriftsteller William Hope Hodgson (1877–1918) seinen Science-Fiction-Roman „Das Nachtland“, der in träumerischen Visionen mehrere Millionen Jahre in eine bizarre Zukunft blickt, in der die Sonne lange erloschen ist. Und während seine unheimlichen Seefahrer-Geschichten bis heute Genre-Autoren wie Mike ‚Hellboy’ Mignola und Tim ‚Dead Sea’ Curran beflügeln, beeinflusste Hodgson mit seinem fantastischen Schaffen vor allem den großen H. P. Lovecraft, da Hodgson als einer der Ersten außerirdische kosmische Schrecken und sogar Tentakel heraufbeschwor, die sich nach der Welt der Menschen recken – z. B. in den Erzählungen über den spätviktorianischen okkulten Detektiv Thomas Carnacki, die ursprünglich zwischen 1910 und 1912 in den Zeitschriften „The Idler“ und „The New Magazine“ abgedruckt wurden. Nach Hodgsons Tod kamen noch drei weitere Carnacki-Storys posthum heraus, eine davon 1947 sogar im legendären amerikanischen Pulp Magazine „Weird Tales“. Im 43. Band der Reihe „H. P. Lovecraft Bibliothek des Schreckens“ des Festa Verlags ist nun ein Buch mit allen Carnacki-Geschichten erschienen, nachdem es vor zehn Jahren andernorts lediglich einmal zu einem Books-on-Demand-Sammelband gereicht hat.

Carnacki, der u. a. durch die Erfolge von Algernon Blackwoods Physician Extraordinary John Silence, Edgar Allan Poes C. Auguste Dupin und Sir Arthur Conan Doyles Sherlock Holmes inspiriert wurde, ist kein makelloser Überheld. Trotz seiner Erfahrung mit dem Okkulten fürchtet er sich und wankt er im Angesicht der übernatürlichen, geisterhaften und dämonischen Phänomene, die er in England, Irland und auf hoher See untersucht. Ausgerüstet mit dem mystischen Sigsand-Manuskript, einem Revolver, seiner Fotokamera, einem Blitzlicht, Pentagrammen aus Kreide, Knoblauch, einem Schweißbrenner, Kerzen, einem Mikrofon, Siegeln, einem Fonografen, Schnüren aus Menschenhaar, einem fortschrittlichen batteriebetriebenen Schutzkreis aus bunten Vakuumleuchtröhren, Maßband und Kompass geht Carnacki den Dingen – dem anfänglichen Spuk – auf den Grund. Manchmal bekommt er es mit nichtirdischen, eben sogar kosmischen Schrecken aus anderen Welten und Ätherschichten zu tun, manchmal deckt er lediglich die düsteren Machenschaften von Menschen auf, die sich Aberglaube und Angst zu nutze machen. Hinterher erzählt er seinen vier besten Freunden so oder so Pfeife rauchend vor dem Kamin von seinen aufregenden Abenteuern und gefährlichen Ermittlungen.


William Hope Hodgson

Das ist besonders bei einem profanen Ergebnis am Ende nicht immer ganz befriedigend von der oftmals überkonstruierten Auflösung her, unterwegs aber immer ungemein atmosphärisch und spannend, insofern man eine Vorliebe für leicht angestaubte okkulte Detektivgeschichten hat und sich für die Frühzeit und die Wurzeln des unsterblichen kosmischen Schreckens interessiert. Fünf der neun betagten Erzählungen im Buch, die von Jürgen Martin ins Deutsche übertragen wurden, sind definitiv lesenswert. Wo die längste Geschichte „Der Schweinefürst“ kaum packen kann, weiß die Stimmung in kürzeren Storys wie „Das Haus im Lorbeerdickicht“ oder „Das Geisterpferd“ ungemein zu gefallen. Im Anhang warten zur sinnigem Abrundung des wie immer schnörkellos schön aufgemachten Festa-Hardcovers außerdem zwei Sachtexte zu Hodgson und Carnacki, die in der kritischen Auseinandersetzung und Gegenüberstellung besonders gut funktionieren: Denn obwohl H. P. Lovecraft in seinem Artikel von 1937 Hodgsons Schaffen um „Das Haus an der Grenze“ lobt und preist, geht er mit den älteren Carnacki-Storys eher hart ins Gericht; Genre-Experte Mark Valentine erläutert in seinem ausführlichen, sachkundigen Artikel zu Hodgsons Leben und Werk von 2014 hingegen, weshalb die Carnacki-Geisterkrimis es nicht verdient haben, so sehr herabgesetzt zu werden, und sich hinter ihnen mehr verbirgt.

Die vier, fünf besten okkulten Fälle in „Carnacki, der Geisterdetektiv“ sind definitiv dafür geeignet, Valentines Verteidigung des ‚Ghost-Finders’ zu stützen, zumal der Sammelband eine gute Gelegenheit darstellt, sich selbst ein Bild von diesem Weird-Fiction-Frühwerk zu machen, dessen Verankerung in einer anderen genre-literarischen Epoche viel von seinem heutigen Reiz ausmacht.  

William Hope Hodgson: Carnacki, der Geisterdetektiv • Festa, Leipzig 2017 • 336 Seiten • Hardcover: 28,00 Euro

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