24. Mai 2018 2 Likes

„Die Menschheit kann mit allem fertigwerden!“

Ein Gespräch mit Kim Stanley Robinson über Politik, Klimawandel und seinen neuen Roman New York 2140 (Re-Post)

Lesezeit: 13 min.

Der Klimawandel hat dazu geführt, dass New York weitgehend unter Wasser steht. Jedes Hochhaus ist eine Insel, das sich bis zu einem gewissen Grad selbst verwaltet. Auf Dachterrassen werden Nahrungsmittel und Energie erzeugt, die unter den Bewohnern aufgeteilt werden. Ansonsten hat sich gar nicht so viel verändert: nach wie vor regiert Geld die Welt, nach wie vor gibt es Verbrechen, nach wie vor wird an Börsen spekuliert. Das ist die Welt von New York 2140 (im ShopLeseprobe), dem neusten Roman von Kim Stanley Robinson. Doch New York 2140 ist keine Dystopie. Im Gegenteil: die Figuren tun das Richtige zur richtigen Zeit und stoßen so eine gewaltige Veränderung an. Darauf hofft auch Kim Stanley Robinson selbst.

F: Hallo Stan! Einen Tag vor Ihrem Besuch hier hat Präsident Trump ein Dekret unterzeichnet, mit dem er Teile von Obamas Klimapolitik zurücknimmt, darunter auch Memoranden, die die US-Regierung dazu anhalten, sich auf die Folgen des Klimawandels wie steigende Meeresspiegel, vorzubereiten. Also quasi auf die Welt, die Sie in New York 2140 schildern. Werden vier Jahre Trump tatsächlich das Aus einer starken Klimapolitik bedeuten, weil die Menschen den Klimawandel nicht mehr als Problem wahrnehmen?

A: Ich kann Ihnen nicht sagen, wieviel Schaden Trump anrichten wird. Es ist offensichtlich, dass er es darauf anlegt, größtmöglichen Schaden zu verursachen. Aber ich hoffe, dass das System sich als stärker erweist, und dass sich am Ende zeigt, dass selbst der amerikanische Präsident den Kurs einer Zivilisation nicht ändern kann. […] Abgesehen davon ist Trump ein Idiot, ein Verrückter. Aber er wurde gewählt, weil fünfundvierzig Prozent der amerikanischen Bevölkerung wütend genug, dumm genug, entrechtet genug und verängstigt genug war, um ihn zu wählen. Das ist ein furchtbares Zeichen. Ich hoffe, dass das lediglich das letzte Aufbäumen einer aussterbenden reaktionären Front ist, und dass danach die jungen Menschen, die Frauen und so weiter die nötige Energie aufbringen, um gegen das zu kämpfen, wofür Donald Trump steht. Vielleicht wird es schon bald eine radikale Kehrtwende zum Positiven geben. […]

F: Würden Sie sagen, dass diese Sorte positiver Science-Fiction wie New York 2140 heutzutage wichtiger denn je ist? Weil Menschen durch sie an Themen herangeführt werden und Informationen, die Leute wie Trump unterdrücken wollen, in unterhaltsamer Form präsentiert bekommen?

A: Ja, das denke ich schon. Die Menschen suchen nach Hoffnung, sie suchen nach einem Plan. Sie fragen sich, ob die Zukunft wirklich so schlimm sein wird wie die ganzen Panikmacher behaupten. Sie wollen wissen, wie unsere Chancen stehen, wenn wir alles richtig machen. Deswegen ist utopische Science-Fiction schon immer so wichtig gewesen, zumindest die letzten 150 Jahre. In Amerika gibt es die sogenannte „progressive era“, die von dem Buch Ein Rückblick aus dem Jahre 2000 auf das Jahr 1887 von Edward Bellamy inspiriert wurde. Die Leute diskutierten in Buchclubs darüber, und daraus wurde dann eine politische Bewegung. Es ist 1888 erschienen und handelt im Grunde von Sozialismus in Amerika. Als politischer Roman war es ein Riesenerfolg. Es inspirierte die Fortschrittsbewegungen und Menschen wie Teddy Roosevelt dazu, Gutes zu tun. […] Ich weiß nicht, ob eine Einflussnahme der utopischen Literatur in dieser Größenordnung heute noch möglich ist. Ich kann es mit meinen Romanen nur versuchen. Und ich bin fest dazu entschlossen. Ich halte viele Vorträge an Universitäten. Ich rede mit den Studenten, aber auch mit ihren Professoren, weil sie in der Regel diejenigen sind, die mich einladen. Ich spreche also mit Wissenschaftlern, meistens Umweltwissenschaftlern, darüber, was wir als nächstes machen und wie wir mit dem Klimawandel umgehen sollten.

F: Und was sagen Sie den Studenten? Was sollten wir als nächstes machen?

A: Die Menschheit kann mit allem fertigwerden. Am meisten beeindrucken mich die Organisationen, die versuchen, das Aussterben von Arten zu verhindern. Wir Menschen können eine Menge Schaden anrichten, aber wenn wir verhindern, dass Arten aussterben, kann sich der Planet von diesem Schaden auch wieder erholen, weil die Ökologie sehr widerstandsfähig ist. Artensterben zu verhindern ist also ein lohnendes erstes Ziel. Danach sollten wir alles tun, was wir können. Der Klimawandel findet statt. Es gibt unterschiedliche Pläne, ihn zu verhindern, über die weltweit diskutiert wird. Einige davon stammen aus Deutschland, vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung beispielsweise. […] Wir werden auch nie aufgeben. Die Menschheit wird niemals den Punkt erreichen, wo alle einfach die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und sagen: „Oh, wir haben’s vermasselt. Jetzt können wir uns nur noch hinsetzen und weinen!“ Vor allem die jungen Leute werden sagen: „Okay, das ist jetzt also unsere Welt. Was können wir tun, um die Dinge etwas besser zu machen? Wie können wir besser damit zurechtkommen?“ „Zurechtkommen“ ist eines der Wörter, die ich derzeit häufig benutze. Darin liegt eine gewisse Komik, die Sie auch sehen werden, wenn Sie New York 2140 gelesen haben. Der Roman ist im Grunde eine verspielte Komödie, „a romp“, wie wir das nennen. Die Figuren kümmern sich nicht darum, dass der Meeresspiegel um fünfzehn Meter gestiegen ist - das ist schließlich schon ein halbes Jahrhundert her. Das wäre ja so, wie wenn sich junge Leute heutzutage exzessiv Sorgen über den Zweiten Weltkrieg machen würden. Und es war nicht einmal ein Krieg, sondern eine Naturkatastrophe, die die Menschen aus Versehen verursacht haben. Es gibt in New York 2140 nicht wirklich viele Bösewichte. Wenn Menschen heutzutage gegen den Klimawandel kämpfen, werden sie oft zu Verbrechern. Aber die Leute, die ihn verursacht haben, haben einfach nur ihren Job gemacht, sonst nichts. New York 2140 ist also eine schräge Geschichte.

F: Soweit ich das dem Roman bisher entnehmen kann, ist das kapitalistische System, das zumindest zum Teil für das, was passiert ist, verantwortlich ist, immer noch da. Das hat sich also nicht verändert.


Kim Stanley Robinson
(Foto © Sean Curtin)

A: Das ändert sich im Laufe des Romans, wenn auch erst am Ende. New York 2140 ist die Geschichte einer Revolution – und ich hoffe, dass sie Sie zum Lachen bringt. Denn selbst diese Revolution ist eine Komödie. Sie hat mit der Weigerung, Steuern zu zahlen, und der Macht des Volkes zu tun. Der weltweite Finanzmarkt braucht uns ganz normale Menschen, um zu funktionieren. Er ist wie ein Parasit, der unser Blut braucht, um zu überleben. Es ist wie bei einem Pferd, das eine Fliege am Hintern hat: es kann sie verscheuchen, aber dann kommt die Fliege einfach wieder. Oder es kann sie töten. Ich habe viel mit radikalen Ökonomen, Politologen und Soziologen gesprochen, die alle versuchen, eine neue, post-kapitalistische Wirtschaftsform zu entwickeln. Einen ihrer Pläne schildere ich in meinem Roman. Und der ist ziemlich lustig. Denn obwohl der Finanzmarkt angeblich die ganze Welt regiert und man sich ihm nicht entziehen kann – das ist Kapitalismus -, ist er überschuldet und deswegen schwach und fragil. Man könnte ihn mit einfachen Mitteln zu Fall bringen. Zum Beispiel, wenn man einen Crash wie den von 2008 absichtlich herbeiführt, was sehr einfach möglich ist. Deswegen sind die Banker und Börsenmakler ja auch so verzweifelt. Ich kann Ihnen diesen Teil der Geschichte kurz erzählen, das ist kein Spoiler: in New York 2140 geschieht genau das, der Börsencrash von 2008 wiederholt sich. Damals hat die US-Regierung General Motors verstaatlicht, um die Firma zu retten. In meinem Roman werden die Banken und Investmentfirmen von der Regierung gekauft und dadurch gerettet. Damit werden sie im wahrsten Sinne des Wortes die Banken des Volkes – eine staatliche Genossenschaftsbank. Die Gewinne, die sie nach der Verstaatlichung machen, sind „obszön“, aber sie fließen in die Staatskasse. Plötzlich hat die Regierung das Geld für Dinge wie Gesundheitsfürsorge, kostenlose schulische und universitäre Ausbildung, soziale Absicherung und wahrscheinlich sogar für ein Vollbeschäftigungsprogramm. Wenn so etwas wirklich passieren würde, hätte das eine Revolution unserer Denkweise zur Folge: wenn jeder einen garantierten Arbeitsplatz hätte, würde es keine Konkurrenz mehr um die Arbeitskraft geben, und keiner würde mehr schlecht bezahlte Jobs annehmen, weil das besser ist, als gar keinen Job zu haben. Die grundlegendsten Lebenshaltungskosten würden von der Regierung übernommen, solange man sich sozial einbringt - und es gibt eine Menge Stellen, an denen Arbeitskräfte nützlich eingesetzt werden könnten! […] Das Arbeitslosenproblem ist eine dieser schrägen Verzerrungen des kapitalistischen Systems: eigentlich dürfte es nicht existieren, denn die Arbeit ist ja da! Wenn die Regierung für diese Arbeit gut bezahlen könnte – und die Regierung wäre reich, weil sie sich den Finanzmarkt gekrallt hat -, dann sähe die Sache anders aus. Ich habe also einen recht plausiblen Plan für die Revolution in New York 2140. Es ist nicht nur „alles muss besser werden, und um das zu erreichen, wedeln wir einmal mit dem Zauberstab“. Es ist eher ein politisches Programm. Und ich habe mir das nicht ausgedacht. Ich habe den Sozialismus ebenso wenig erfunden wie den Postkapitalismus. […]

F: Andere mögliche Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme werden massiv dämonisiert. Man kann gar nicht mehr über Sozialismus oder, noch schlimmer, Marxismus diskutieren, ohne dass alle Anwesenden völlig schockiert sind.

A: Ganz genau! Sie werden mit den Totalitären Systemen und den Katastrophen des zwanzigsten Jahrhunderts in Verbindung gebracht, und deswegen darf man nicht darüber reden. Aber Marx kommt immer wieder zurück. Er ist ein sehr guter Analytiker der Geschichte. Als jemand, der versucht, die Zukunft vorherzusagen hingegen … Jeder ist schlecht darin, die Zukunft vorherzusagen. Es spielt also keine Rolle, ob es Karl Marx ist, der es versucht. Immer, wenn er das macht, wird er zum Science-Fiction-Autor. Ich weiß so gut wie jeder andere auch, dass man als Science-Fiction-Autor einfach nur rät und in der Regel danebenliegt, weil die Realität bizarrer ist, als wir uns das vorstellen können.

F: Es ist ja auch nicht Ihr Job, die Zukunft vorherzusagen.

A: (Lacht.) Stimmt. Mein Job ist es, Zukunftsszenarien zu entwerfen, die plausibel sind. Ich würde nie sagen, dass dieses oder jenes wirklich geschehen wird. Einige der Sachen, die in New York 2140 passieren, sind schon im Jahr 2008 passiert, andere Ereignisse sollten meiner Meinung nach besser morgen passieren, andere können nicht vor dem Jahr 2500 passieren. Trotzdem sind all diese Ereignisse in diesem fiktionalen Jahr 2140 zusammengemischt. Das ist das, was Science-Fiction tun sollte, und ganz sicher keine Vorhersage.

F: Was mir an Ihren Romanen am besten gefällt sind die langen Zeiträume, die Sie abdecken, diese Multi-Generationen-Projekte wie in der Mars-Trilogie (im Shop) oder Aurora (im Shop), und die Figuren, die langfristig denken. Ich habe das Gefühl, dass die meisten meiner Zeitgenossen ziemlich kurzsichtig sind, besonders in Wirtschaft und Politik. […] Keiner weiß, was in fünf Jahren passieren wird. Keiner will sich vorstellen, wie es in hundert Jahren aussehen wird. Ich habe den Eindruck, dass das eines der Dinge ist, die sich ändern müssen, wenn wir die Welt wirklich verändern wollen, auch im Hinblick auf den Klimawandel. Wir müssen anfangen, langfristig zu denken.

A: Oh mein gütiger Gott, ja, da stimme ich Ihnen voll und ganz zu! Das ist ja auch der Grundgedanke der Science-Fiction: sie ist das Anti-Kapitalismus-Projekt schlechthin. Wenn Vierteljährlicher Profit und Aktionärsvermögen die einzig wahren Gesetze sind, erhält man die Zerstörung der Umwelt und der Leben der Menschen. Und das ist schlecht! Es könnte schlimmer nicht sein! Die grundsätzlichen Regeln, nach denen das System weltweit betrieben wird, sind schlicht und ergreifend zerstörerisch für alle bis auf dieses berühmte eine Prozent Superreiche. Warum die denken, dass sie das System weiterhin betreiben und am Laufen halten können, und wie sie ihre Handlungen vor sich selbst rechtfertigen, weiß ich nicht. Es ist vielleicht ein Fall von „falschem Bewusstsein“ (Anm. E.B.: im Sinne von Friedrich Engels). Vielleicht denken sie auch einfach nur an sich selbst und ihre Nachkommen, und nicht global. Vielleicht glauben sie, dass es irgendwann allen gut geht, wenn es ihnen gut geht, weil eine Flut eben alle Schiffchen zum Schwimmen bringt. Das stimmt so nicht. So oder so haben sie unrecht, und wir brauchen langfristiges Denken mehr als dringend. […] Dieses Denken kommt eher aus den Regierungen denn aus der Wirtschaft, denn die ist nicht darauf ausgelegt. Ich mag diese CEOs nicht. Die kommen von Wirtschaftsschulen, auf denen sie eine bestimmte Logik gelernt haben, nämlich die Logik des Systems, eine Ideologie. Sie gehen dann raus in die Welt und denken, wenn sie Millionäre werden können, indem sie das System legal manipulieren, ist alles in Ordnung. Das ist so kurzsichtig! Aber genau das passiert tagtäglich da draußen in der realen Welt, weil es eben keine Fakultät für politische Ökonomie gibt, die ihnen etwas anderes beibringen könnte! Und dann sind da noch die Analysen. Wenn die CEOs die richtigen Analysen lesen würden, würden sie verstehen, dass ihr Profit aus dem Verlust anderer entsteht, dass sie ihn sich angeeignet haben, indem sie andere dafür ausgebeutet haben – die ganzen alten Marxistischen Begriffe stimmen! Aber Marx und Engels haben sich nicht genug darauf konzentriert, wie der Kapitalismus sich die gesellschaftliche Reproduktion – also die ganze unbezahlte Arbeit, die wir verrichten, um neue Menschen zu machen -, und die natürlichen Ressourcen aneignet. Es gibt eine ganze Reihe wirklich guter rot-grüner Synthesen, einen Öko-Marxismus. Und es gibt ein paar wirklich gute Analysen, die das Gesamtbild zusammensetzen und uns zeigen, dass uns langsam, aber sicher der Planet ausgeht. Der Kapitalismus kann nicht weiter wachsen, was er aber im Rahmen seiner klassischen Modelle tun muss. Deswegen ist er dem Untergang geweiht. […] Ihre Generation ist die, die den Karren an die Wand fahren, die das Limit erreichen wird. Manche Leute werden dann sagen, das sei die Apokalypse, Armageddon, Zombies auf der Straße, hol besser dein Maschinengewehr! Aber so weit wird es nicht kommen. Es wird eher ein „Tod durch tausend Schnitte“. […] Wir nähern uns in kleinen Schritten dem Desaster, ohne jemals die Erlösung durch eine Apokalypse zu erfahren. […] Ich bin der Meinung, dass wir Schriftsteller anfangen sollten, neue, ideologisch aufgeladene Geschichten zu erzählen, die den Leuten eine neue Art des Denkens beibringen. Ich glaube, dass das Publikum das wollen würde. Ich bin nur ein Science-Fiction-Autor, und ich habe eine lange Karriere hinter mir, und dennoch ist es für mich überraschend, dass die Menschen Geschichten, wie ich sie schreibe, heute mehr denn je lesen wollen. Ich bin jetzt beliebter als jemals zuvor, ich verkaufe mehr Bücher und werde auf mehr Konferenzen eingeladen. […]

F: Ja, ich glaube auch, dass viele Menschen sich nach solchen Büchern sehnen und eine andere Art des Denkens lernen wollen, einfach weil Leute wie Donald Trump und die Rechtspopulisten überall an der Macht sind oder scheinbar kurz davor stehen, die Macht zu ergreifen.

A: Ja, das sehe ich genauso! Ich hoffe, wie gesagt, dass es das letzte Aufbäumen dieser Menschen ist, die geistig am falschen Ende der Geschichte angesiedelt sind, und dass sie einfach aussterben werden. […] Die alten Rechten, die Trump-Unterstützer, sehen eine Welt, in der sich die jungen Leute keinen Deut mehr um Gender scheren. Es interessiert sie einfach nicht. Ist doch alles nur Haut. Warum sollte man sich über Gender oder die sexuelle Orientierung anderer Menschen Gedanken machen? Erstens ist das unsinnig, und zweitens geht das niemanden etwas an! Die Diskriminierung läuft der Ideologie der jungen Generation von persönlicher Freiheit zuwider. Sie wird eines Tages aufhören, weil die alten Leute, die behaupten, das hätte mit dem Christentum zu tun, oder man habe das eben schon immer so gemacht, irgendwann nicht mehr da sein werden, und ihr politisches System wird auseinanderfallen. Die Kapitalisten werden verschwinden, weil die ökonomischen Probleme nur noch ein Prozent Profit erlauben. Das wird immer offensichtlicher. Irgendwann stellen selbst die Republikaner fest, dass sie gerne eine Krankenversicherung hätten und keine Angst davor haben wollen, alt und bitterarm zu werden. Viele Leute wählen gegen ihre eigenen Interessen bis zu dem Tag, an dem sie sterben, weil sie ihren Ideen gegenüber loyal sind. Aber sie werden sterben. Außerdem wird die jüngere Generation feststellen, dass sie ihre Stimmen abgeben sollte. Das würde in Amerika schon viel helfen. Trump wäre nicht Präsident geworden, wenn ausreichend viele junge Leute zur Wahl gegangen wären. […]

F: Ist das der Grund, warum Sie weiterhin Utopien schreiben? Sie könnten schließlich auch einfach die Angst der Leute anzapfen und sehr viel düstere Geschichten schreiben, die ja seit einiger Zeit im Trend liegen.

A: Ich habe eine Dystopie in den Achtzigern geschrieben, Goldküste (im Shop). Das hat mir gereicht. Sie sind vielleicht einfacher zu schreiben, aber sie sind nicht nützlich. Als Schriftsteller finde sie außerdem wenig interessant. Mich überrascht es, dass so viele Dystopien geschrieben und gelesen werden. Obwohl ich glaube, dass die Tribute von Panem wirklich wichtig waren und uns einen Schlag ins Gesicht verpasst haben, ein bisschen wie seinerzeit 1984. Sie sind ein Ausdruck dafür, was die jungen Leute gerade fühlen.

F: So langsam wird es Zeit, dieses Interview zu beenden, auch wenn ich diese Unterhaltung noch ewig fortsetzen könnte. Haben Sie noch „letzte Worte“ an Ihre Fans in Deutschland?

A: Ich freue mich, dass New York 2140 bei Heyne erscheint! Ich arbeite auch gerne mit meinem Übersetzer Jakob Schmidt zusammen. Und weil wir jetzt so ernst über so viele ernste Dinge gesprochen haben, will ich noch sagen, dass ich versuche, humorvolle Bücher zu schreiben, die beim Lesen Spaß machen. Früher habe ich mir sehr viel mehr Sorgen gemacht als heute. Als ich die Mars-Trilogie geschrieben habe, wollte ich ernst sein, weil ich das Gewicht der ganzen Welt auf meinen Schultern glaubte. Ich dachte, ich könne vielleicht den Lauf der Welt ändern, wenn ich nur die richtige Utopie schriebe! Heutzutage mache ich mir darüber keine Sorgen mehr, weil ich erkannt habe, dass es so nicht läuft. Ich habe meine großen Romane geschrieben, also werfe ich jetzt einfach die Würfel, sehe, wie sie fallen, und habe Spaß dabei. Das Ergebnis ist New York 2140. Der Roman davor, Aurora war nicht ganz so einfach – in Aurora war ich regelrecht gefangen, der Roman war schwer zu schreiben, und es ist erstaunlich, dass das überhaupt einige Figuren überlebt haben. Ohne die KI, die diese Geschichte erzählt, wüsste ich nicht, was ich mit diesem Roman getan hätte. Und das machte mich irgendwie traurig, und deswegen wollte ich mit meinem nächsten Buch auf jeden Fall Spaß haben – und hatte ihn auch!

F: Das merke ich gerade beim Lesen. New York 2140 macht wirklich großen Spaß.

A: Das glaube ich Ihnen, und ich bin mir sicher, dass Sie ein paar Mal wirklich lachen werden!

F: Vielen Dank für das Gespräch!

 

Dieses Interview erschien zuerst im Juni 2017 in zwei Teilen: Teil 1Teil 2. Eine erste Leseprobe aus dem neuen Roman New York 2140 finden Sie hier. Kim Stanley Robinsons Gastbeitrag über die „Half Earth“-Theorie und die Zukunft von Stadt und Land finden Sie hier. Sein gerade erschienener Roman „New York 2140“, in dem er sich mit dem Klimawandel auseinandersetzt, ist im Shop erhältlich.

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