28. Mai 2019

Farbenprächtig und bildgewaltig

Zwei preisgekrönte Romane von Jack Vance: „Die letzte Festung“ und „Die Drachenreiter“

Lesezeit: 3 min.

Dass Jack Vance großartige Prosa – wie etwa den „Dämonenprinzen-Zyklus“ (im Shop) oder die Saga um die „Sterbende Erde“ (im Shop) – geschrieben hat, ist bekannt. Wie sehr er jedoch auch die längere Erzählung mit seiner Kunst der „Esmerik“ zu bereichern verstand, kann nun anhand zweier preisgekrönter Texte neu entdeckt werden: „Die letzte Festung“ und „Die Drachenreiter“ sind gemeinsam als E-Book (im Shop) veröffentlicht worden.

The Last Castle“ erschien 1966 in Galaxy und erhielt sowohl den Hugo- als auch den Nebula-Award. Die Geschichte spielt in ferner Zukunft: Auf einer weitgehend entvölkerten Erde haben sich Menschen aus dem Sternsystem Altair angesiedelt und neun gewaltige Festungen errichtet, in denen sie ihren Vergnügungen nachgehen und sich in erster Linie mit sich selbst beschäftigen. Die täglichen Arbeiten bleibt den Meks überlassen, einer einfältig und genügsam wirkenden Rasse, die auch für die Wartung der Raumschiffe und technischen Anlagen zuständig ist. Eines Tages beginnen die Meks, gewaltsam gegen ihrer Herrscher zu revoltieren; Burg um Burg geht dabei verloren. Auf Hagedorn, der mächtigsten Festung von allen, versucht man gegen die Bedrohung anzukämpfen und schickt den teils souveränen, teils arroganten Xanten in die Wildnis, um Verbündete zu gewinnen. Doch weder die „Nomaden“, die sich als eigentliche Ureinwohner der Erde verstehen, noch die „Büßer“ sind für diese Aufgabe zu gewinnen. Auf Hagedorn macht sich unterdessen bemerkbar, dass niemand mehr mit den technischen Apparaturen vertraut ist: Auch die Waffen können nur begrenzt eingesetzt werden …

Ebenfalls in Galaxy wurde bereits 1962 die lange Erzählung „Dragon Masters“ veröffentlicht, die im Folgejahr den Hugo gewann. Der Planet Aerlith wird seit Generationen von Menschen bewohnt, deren vorindustriell anmutende Siedlungen nicht nur untereinander in Konkurrenz stehen, sondern zudem regelmäßig von den Grephen heimgesucht werden – reptilienartige Fremdwesen, deren Raubzügen aufgrund ihrer technischen Überlegenheit kaum etwas entgegenzusetzen ist. Allerdings gelang es vor einigen Jahrzehnten, einige der Invasoren festzusetzen und aus ihnen die titelgebenden Drachen zu züchten, von denen es ganz unterschiedliche Arten gibt und die bei den zahlreichen Konflikten als Waffen dienen. Die Grephen wiederum verwandeln Menschen in Monstren. Als Joaz Banbeck von Banbeck-Grund erkennt, dass die Attacken der Echsenwesen nach einem Muster erfolgen, versucht er, Ervis Carcolo vom Glückstal für eine Allianz zu gewinnen, scheitert aber an dessen Engstirnigkeit. Doch welche Ressourcen haben die rätselhaften „Geweihten“ zu bieten, die sich betont passiv verhalten und zwar niemals lügen, es aber dennoch vermeiden, die Wahrheit zu sagen?

Jack Vance (1916–2013) ist einer der einfallsreichsten Geschichtenerzähler in der Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts. Dabei bedient er sich zweier Kniffe, die auch in den beiden vorliegenden Prosastücken geschickt eingesetzt werden. Zum einen sind seine Figuren niemals eindimensional, sondern weisen auch negative Charaktereigenschaften auf. So ist bei „Die letzte Festung“ offenkundig, dass die dargestellte dekadente Gesellschaft ein Unrechtsregime darstellt, was Vance an seiner Hauptfigur vorführt, aber nicht bewertet. Zweitens sind die von Vance erfundenen Welten immer größer als der Blick, den der jeweilige Text auf sie gewährt. Zahlreiche Details – etwa zur Kleidung, zu den täglichen Gebräuchen oder zur Geschichte – deuten ein „Mehr“ an, das die Erzählung jedoch verschweigt. So bleibt in „Die Drachenreiter“ die Gesellschaft der „Geweihten“ größtenteils unerläutert, was jedoch die Faszination beim Lesen nur erhöht. Jack Rawlins beschreibt diesen Effekt so: „Ein Hauptakzent von Vances Kunst ist, dass mehr verworfen als erhalten wird. Stets erhaschen wir Bilder auf grenzenlose Reiche, die gerade außerhalb unserer Sichtweite lauern.“ Vance selbst hat diesen Kunstgriff als „Esmerik“ bezeichnet.

„The Last Castle“ und „The Dragon Masters“ – die zwar beide zur Science-Fiction gehören, sich aber hervorragend als Fantasy lesen lassen – sind nicht die einzigen längeren Erzählungen, mit denen sich Vance hervorgetan hat. Zu nennen wären – neben der legendären Kurzgeschichte „The Moon Moth“ (1961, „Die Mondmotte“) – „The Houses of Iszm“ (1954, „Die Häuser von Iszm“), „The Miracle Workers“ (1958, „Die Wunderwerker“) sowie „Son of a Tree“. Wer weiterlesen will: Die zuletzt erwähnte Novelle ist soeben als „Baum des Lebens“ zusammen mit weiteren Geschichten aus den Jahren 1951/52 neu übersetzt in der Edition Andreas Irle erschienen.

Jack Vance: Die letzte Festung / Die Drachenreiter • Zwei Erzählungen • Aus dem Amerikanischen von Andrea Kamphuis und Leo P. Kreysfeld • Heyne, München 2017 • E-Book: € 4,99 • im Shop

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