20. Juni 2019 1 Likes 1

Auf Federn zum Mond

Daniel Defoes satirischer Klassiker „Der Consolidator“ als frühes Beispiel für Science-Fiction

Lesezeit: 3 min.

Sein 1719 erstmals erschienener Abenteuerroman „Robinson Crusoe“ ist bis heute ein vielgelesener Klassiker. Doch der Aufklärer, Satiriker und Freigeist Daniel Defoe (1660–1731) hatte schon vierzehn Jahre zuvor eine unwahrscheinliche Reise beschrieben, die seinen Erzähler zum Mond, zu dessen kundigen Bewohnern und ihren überraschenden Erfindungen führt. Grundsätzlich als politischer Beitrag verfasst, lässt sich „Der Consolidator“ jedoch auch als frühes Beispiel auf dem Weg zur heutigen Science-Fiction lesen.

„Unter all den Erfindungen für die Reise fand ich keine angenehmer als einen gewissen Apparat in Form einer Karosse, auf zwei riesige Hohlkörper mit ausgebreiteten Flügeln montiert, jeder Flügel etwa 50 Meter breit und so kunstvoll mit Federn zusammengesetzt, dass er keine Luft durchlässt.“ Betrieben mit feurigem Erz, bringt der Consolidator den praktischerweise betäubten Reisenden zum Mond, wobei selbiger versichert, dass die Konstruktion des Apparates „äußerst bemerkenswert“ sei. Das ist sie in der Tat, da sie genau 513 Federn verwendet – die Anzahl der Sitze im britischen Unterhaus: „Nun handelt es sich keineswegs um gewöhnliche Federn, denn sie werden in allen Teilen des Landes auf Anweisung des Königs aufgelesen und ausgewählt.“ Was wie ein kurioses Raumschiff aussieht, entpuppt sich als überraschend konkrete Anspielung auf die englischen Staatsverhältnisse jener Jahre.

Ähnlich doppeldeutig sind die gesamten Aufzeichnungen des Erzählers mitsamt den verblüffenden Gerätschaften, die auf dem Mond im Einsatz sind. Da gibt es den Cogiator, eine Maschine, „die einen Menschen in sich selbst einschraubt“, damit er sich zu konzentrieren und die „richtigen“ Schlüsse zu ziehen vermag. Dies soll helfen, absurde Entscheidungen zu vermeiden, da es klüger sei, erst zu denken und dann zu handeln: „Ich kann nicht unerwähnt lassen, welche millionenfachen Unannehmlichkeiten unsere sublunare Welt aus Mangel an der Denkmaschine erleidet.“ Der Elevator hingegen „erhebt“ die Sinne, ermöglicht den intensiven Austausch mit Geistern und vermittelt Vorahnungen von künftigen Ereignissen; es könnte sich aber auch um eine simple Tabakspfeife handeln. Schließlich gibt es noch den Sermonizer, der „röhrt“, wenn ihn ein Geistlicher betritt. Da die Maschinen im ganzen Königreich ausreichend platziert sind, ist der „Alarmruf“ am selben Trag überall zu hören. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Mondfahrten in satirischer Absicht hat es über die Jahrhunderte immer wieder gegeben. Lukian von Samosata („Wahre Geschichten“, 2. Jh. n.Chr.), einer der Gründerväter der Science-Fiction, ist an dieser Stelle genauso zu nennen wie Cyrano de Bergerac („Die Reise zu den Mondstaaten und Sonnenreichen“, 1657) oder Arno Schmidt („Kaff auch Mare Crisium“, 1960). Defoe lässt sich hier gleichberechtigt einreihen, da es ihm – anders als beispielsweise Jules Verne – nicht um eine technische Spekulation auf Basis des zeitgenössischen Wissensstandes geht, sondern um einen Zerrspiegel, der höchst irdische Missstände aufzeigen will. An diesen ist natürlich zu allen Zeiten kein Mangel, was die überraschende Aktualität des Buchs erklärt. Selbstverständlich liest sich Defoe nicht wie ein Unterhaltungsroman. Manches bleibt unklar, anderes – wie die Ausführungen zum Pfälzischen Erbfolgekrieg (1688–1697) – wirkt länglich. Doch die Bemerkungen zu Schoppelzüngurken (Börsenmakler) oder „bedeutsame“ Dissertationen über Gehirnwinde haben bis heute nicht an Witz eingebüßt.

Rolf Schönlau hat den Text nicht nur in frisches und exzellent lesbares Deutsch übersetzt, sondern mit klug bemessenen Anmerkungen und einem kundigen Nachwort viel dazu beigetragen, um dem „Consolidator“ auch im einundzwanzigsten Jahrhundert zu einem erstklassigen Start zu verhelfen. Da der Band in der bibliophilen „Anderen Bibliothek“ erschienen ist (in der bereits Samuel Butlers Utopie „Erewhon“ aus dem Jahr 1872 verlegt wurde), kommen noch eine exzellente typographische Einrichtung und ein mondgrauer Veloureinband hinzu. Wer sich für Vorläufer der Science-Fiction interessiert, sollte einen Blick riskieren.

 

Daniel Defoe: Der Consolidator oder Erinnerungen an allerlei Vorgänge aus der Welt des Mondes • Übersetzt und eingerichtet von Rolf Schönlau • Die Andere Bibliothek, Berlin 2018 • Limitiert auf 4.444 Exemplare • € 42,00

Titelbild © National Maritime Museum, Greenwich, London, Caird Collection

Kommentare

Bild des Benutzers Joachim Seitz

Man sollte aber die deutsche Erstveröffentlichung aus der Edition Phantasia erwähnen, zumal diese vor gerade mal 3 Jahren erschienen ist: http://www.edition-phantasia.de/defoe/konsolidator.html

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