4. Juni 2019 2 Likes

Schöne neue Spielewelt

Marie Lus Dilogie „Warcross“

Lesezeit: 4 min.

Counter-Strike? League of Legends? Fortnite? Alles alter Kaffee! Zumindest in der Fiktion. In Marie Lus „Warcross“ hat das gleichnamige Spiel die Gamesbranche ordentlich durcheinander gewirbelt. Hier wird nicht mehr auf die Tastaturen eingehackt und auf die Controller eingedroschen. Stattdessen begeben sich die Spieler in eine virtuelle Spielewelt. Und die hält für Heldin Emika Chen so manche Überraschung bereit.

Die Darstellung von Computer- und Konsolenspielen ist in der Science-Fiction nichts Ungewöhnliches. In den letzten Jahren eroberten u. a. Ursula Poznanski („Erebos“, Loewe Verlag), Ernest Cline („Ready Player One“, „Armada“, Fischer TOR) und Holly Jennings („Arena“, Knaur) mit ihren Geschichten aus der Welt der bunten Pixel die Bestsellerlisten. Wie Cline und Jennings widmet sich Marie Lu in „Warcross“ dem eSport, jener gar nicht so neuen Disziplin, die längst die reale Welt erobert hat. Weltweit schauen junge Menschen anderen begeistert dabei zu, wie sie einzeln oder in Teams gegeneinander antreten. Längst werden nicht nur in Asien ganze Fußballstadien mit eSport-Anhängern gefüllt. Apropos Fußball: Wer sich jemals gefragt hat, warum Griezmann, Messi und Co. seit neustem so ulkige Torschusstänzchen aufführen, sollte mal auf YouTube nach den Tänzen aus „Fortnite“ suchen.

Doch zurück zu „Warcross“! Die Dilogie ist Marie Lus zweiter Ausflug in die Science-Fiction. Wie auch die dystopische „Legend“-Trilogie beginnt „Warcross“ in Amerika. Hier verdingt sich die Halbwaise Emika Chen als Hackerin und Kopfgeldjägerin. Statt in dunklen Gassen und noch dunkleren Spelunken nach ihren Zielpersonen zu suchen, begibt sie sich in die virtuelle „Darkworld“. Die ist die Schattenseite von „Warcross“, das über den NeuroLink gesteuert wird. Mit der etwas anderen Datenbrille wird das Hirn selbst quasi zum Server und die Spielewelt dadurch umso realistischer.

Hinter NeuroLink und „Warcross“ steckt der charismatische Twen Hideo Tanaka. Als Chef seiner eigenen Firma richtet er die jährliche „Warcross“-Weltmeisterschaft aus. Zu dieser schaltet sich auch Emika als Zuschauer zu – und probiert einen Hack aus, der das Eröffnungsspiel ins Chaos stürzt. Doch statt bestraft zu werden, winkt Emika eine Beförderung. Hideo bietet ihr an, als „Wildcard“ am Turnier in Japan teilzunehmen. Im Gegenzug soll sie heraus finden, wer das Spiel zu manipulieren versucht. Emikas Suche nach dem Täter entwickelt sich zu einem Katz- und Maus-Spiel, bei dem sie nicht nur in die „Darkworld“ eintauchen muss, sondern auch in Hideos Vergangenheit. Am Ende, so viel sei verraten, geht es nicht mehr um das Spiel, sondern um essentielle Fragen des Lebens.

Marie Lus „Warcross“ ist – natürlich – auch eine coming-of-age Geschichte, in der es heftig zwischen Emika und Hideo knistert. Von diesen amourösen Verwicklungen abgesehen punktet das Roman-Duo durch eine positive Darstellung des eSports und der Möglichkeiten von virtuellen und erweiterten Realitäten. In „Warcross“ kann ein Querschnittsgelähmter im Spiel wieder gehen und ein Mädchen aus armen Haus ihrer Schwester durch die Teilnahme an Turnieren die Schulbildung ermöglichen. Und wer in den durch Lichtverschmutzung geprägten Städten die Milchstraße sehen möchte, holt sie sich einfach über den NeuroLink ins Zimmer. Hideos Faszination für die Neurowissenschaft macht es möglich! Doch in Lus Spielewelt ist nicht alles Gold was glänzt. Hier und da lässt sie die negativen Entwicklungen durchblitzen: von dem Anstieg der Kriminalität und die Verlagerung dieser in die „Darkworld“ bis hin zu einem Scoringsystem, das Spieler mit einem hohen Level im realen Leben begünstigt, reicht die Bandbreite an dystopischen Elementen. Es sind diese vermeintlichen Kleinigkeiten, die den „Warcross“-Weltenbau so stimmig machen.

Mit „Warcross“ wirft Marie Lu einen Blick auf die kunterbunte Pixelwelt und die Möglichkeiten, die VR und AR für die Games von Morgen bieten. Die rasant erzählte Dilogie punktet durch ihre sympathischen, diversen Haupt- und Nebenfiguren, den durchdachten Weltenbau und dem Plot, der erst im zweiten Buch sein ganzes Potential ausschöpft. „Warcross“ ist zudem eine Hommage an die Gamer, die für ihr Hobby leben. Klischees sucht man hier zum Glück vergeblich. Während der Stern von „Fortnite“ gerade sinkt, weil das Spiel zur bloßen Werbeplattform mutiert, könnte der von „Warcross“ noch weiter steigen. Zumindest stünde ihm eine Verfilmung gut zu Gesicht – oder eine Spieleadaption, je nachdem, was realistischer erscheint für die bis dato beste eSport-Geschichte auf dem Markt.

Marie Lu: Warcross. Das Spiel ist eröffnet • Aus dem Amerikanischen von Sandra Knuffinke und Jessika Komina • Loewe, Bindlach 2018 • 416 Seiten • 18,95 € • empfohlen ab 14 Jahren

Marie Lu: Warcross. Neue Regeln, neues Spiel • Aus dem Amerikanischen von Sandra Knuffinke und Jessika Komina • Loewe, Bindlach 2019 • 400 Seiten • 18,95 € • empfohlen ab 14 Jahren

Kommentare

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.
Sie benötigen einen Webbrowser mit aktiviertem JavaScript um alle Features dieser Seite nutzen zu können.