Die Menschheit als Geisel der eigenen Ambitionen
„Black Mirror“ Staffel 5: Technologie als Heilmittel und Fluch der Einsamkeit
Die aus Großbritannien stammende Sci-Fi-Anthologie-Serie „Black Mirror“ feiert ihren fünften Einstand mit drei überlangen Episoden, nach einer Abstinenz von 18 Monaten, wenn man denn das kleine, interaktive Special „Bandersnatch“ vom Dezember letzten Jahres außen vor lässt. Die aus drei Folgen bestehende fünfte Staffel ist exklusiv beim Streamingdienst Netflix zu sehen, und fängt qualitativ da an, wo die vierte, herausragende Staffel aufhörte – mit kleinen Einbußen zum Schluss.
Die erste Episode, „Striking Vipers“, zeigt den glücklich verheirateten Familienvater Danny (Anthony Mackie), der nach einer Geburtstagsfeier den verlorenen Kontakt zu seinem alten College-Freund Karl (Yahya Abdul-Mateen II) wiederaufbaut, während beide gemeinsam ihre Zeit in der virtuellen Welt des Fightinggames „Striking Vipers X“ vertrödeln und verlorene Bande knüpfen. Die Kämpfe der beiden driften aber schnell in eine gänzlich andere Richtung ab und „Black Mirror“ wäre nicht „Black Mirror“, wenn uns allen nicht die außergewöhnlichen und äußerst realen Kehrseiten nahender Technologie vorgehalten werden würden. „Striking Vipers“ zeigt sofort die großen Stärken der fünften Staffel und verdeutlicht, was man mit einer kürzeren Staffel, aber mehr Laufzeit pro Episode alles sprichwörtlich rausholen kann. Der Plot um Danny beginnt ruhig und lässt vieles erahnen, ohne jedoch sofort in eine Richtung vorzupreschen und lässt den Zuschauer zunächst ahnungslos das Gezeigte aufnehmen. Dabei werden aber bereits etliche kleine Fallen unserer aktuellen Gesellschaft verdeutlicht und gar Generationskonflikte veräußert, während eine junge Frau beim eigentlich romantischen Dinner gleich forsch, und ohne auf ihren interessierten Gegenüber zu achten, zum Smartphone greift, um „Dennis Rodman“ zu googlen, da ihr eine humoristische Anspielung entgangen ist. Auch wenn viele dieser kleinen Intermezzi (die in der fünften Staffel deutlich zahlreicher sind als zuvor) nichts oder kaum zum eigentlichen, folgenden Plot beitragen, so bleiben sie dennoch als stiller Kommentar seitens der Autoren an unserem Drang zur Technologie stehen. Und zeichnen zeitgleich ein Bild der darin interagierenden Protagonisten. Das ist Writing der Spitzenklasse.
Noch weiter am Boden der Tatsachen bleibend stellt sich die zweite Episode, „Smithereens“ als die stärkste der Staffel heraus. Sie zeigt den zurückhaltenden, aber verzweifelten Chris (Andrew Scott), der den beim Socialmedia-Unternehmen Smithereeens arbeitenden Jaden (Damson Idris) entführt, um mit Smithereens-Gründer Billy Bauer (Topher Grace) ins Gespräch zu kommen. Das große Mysterium der Episode ist natürlich, warum genau Chris mit Billy Bauers reden will. Die Enthüllung ist so tiefgehend menschlich, wie sie zerrüttend ist. Hierbei zeigt sich erneut, wie, wann und weshalb „Black Mirror“ so gut funktioniert. Die besten der voneinander unabgängigen Episoden sind fast immer jene, die nicht zu fern von der Realität sind und quasi jeden von uns passieren könnten.
Als etwas unrunden Abschluss des neuen Drillings zeigt sich „Rachel, Jack und Ashley Too“, das das auf ihrem Höhepunkt angekommenen Popsternchen Ashley O (Miley Cyrus) zeigt, die eigentlich nur versucht, aus ihrem glitzernden Käfig, genannt Popkarriere, auszubrechen. Auf der anderen Seite zeigen sich die Schwestern Rachel (Angourie Rice) und Jack (Madison Davenport). Rachel träumt ihrem Vorbild Ashley nach und wünscht sich zum Geburtstag die neu vermarktete Androiden-Puppe „Ashley Too“ – ein technisches Gizmo, das die Eigenschaften von Amazons „Alexa“ und einem alten, lernenden „Furbee“ vereint. Alles unter der Haube von Ashley Os eigener, darin einprogrammierter Persönlichkeit. Jack hingegen versucht nur ihre kleine Schwester Rachel aus der illusorischen Traumwelt der plappernden Ashley Too zu befreien.
Während eine der größten Stärken der fünften Staffel ihre Unberechenbarkeit ist, so sehr driftet gerade die letzte Folge in ungeahnte Ecken ab und steht gar im krassen Gegensatz zu den uns „zeitnahen“ Fallen fortschrittlicher Technologie. Aber nicht nur das lässt die zwar insgesamt immer noch gute Folge leicht aus den Schienen entgleisen. So ist auch der später in der Folge gar aufgezwungene Humor etwas Fehl am Platz, wenn man sich die zuvor ernsten Szenen um eine verzweifelnde Ashley O ansieht – die äußerst glaubhaft von Miley Cyrus gemimt wird, so als ob vieles eventuell aus ihrem eigenen, privaten Erfahrungsschatz entsprungen sein könnte. Und alles endet in einem fast Fremdscham versprühendem Trotz-Finale.
„Black Mirror“-Erfinder Charlie Booker und sein Team von Regisseurinnen und Regisseuren trumpfen nach einer grandiosen vierten Staffel nun erneut auf – mit einer äußerst inspirierten Schauspielerwahl im Schlepptau. Die sich im Zwiespalt befindlichen Mimen Anthony Mackie und Yahya Abdul-Mateen II spielen sich gegenseitig aus, während sogar die kurzen, stillen Sequenzen vor unterdrückten Gefühlen sprießen. Die an das Kammerspiel „Die zwölf Geschworenen“ erinnernde zweite Episode zeigt erneut, warum Andrew Scott bereits als Sherlock Holmes Gegenspieler Moriarty ein immenses Kultgefolge eingefangen hat, während er eine herzzerreißende Darbietung des gebeutelten Chris zur Schau stellt – der auch „Twilight Zone“-Neuling Damon Idris als der um sein Leben bangende Jaden in Nichts nachsteht. Und selbst der einstige „Hannah Montana“-Star Miley Cyrus offenbart ungeahnt tiefe Seiten und bringt womöglich eigene Bestürzung ans Tageslicht. Selbst wenn „Black Mirrors“ fünfte Staffel nur drei Episoden abliefert, so sind es doch wertig deutlich höher anzusetzende 210 Minuten als die allermeisten 10-Stunden-Staffeln.
„Black Mirror“ Staffel 5 läuft seit dem 5. Juni 2019 exklusiv beim Streamingdienst Netflix.
Black Mirror • Großbritannien/USA 2019 • Regie: Owen Harris, James Hawes, Anne Sewitsky • Darsteller: Anthony Mackie, Miley Cyrus, Andrew Scott, Angourie Rice, u.v.m.
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