Intertextuelle Odyssee
Valeria Luisellis Roman „Das Archiv der verlorenen Kinder“
Roadtrip oder Odyssee? In ihrem Roman „Das Archiv der verlorenen Kinder“ widmet sich die in Mexiko geborene, inzwischen in New York lebende Autorin Valeria Luiselli nicht nur der Patchwork-Familie zweiter Tondokumentaristen, die einen Roadtrip quer durch die gegenwärtige USA unternimmt, um den Echos der letzten Apachen nachzuspüren – wohl wissend, dass ihre Familie nach dieser Reise vermutlich endgültig zerbricht. Gleichzeitig beschäftigen sich Luiselli und ihre Protagonisten mit dem Schicksal vieler Kinder, die unter großen Risiken aus Lateinamerika flüchten und als illegale Einwanderer die südliche Grenze der USA erreichen, wodurch sich ihre Lage in vielen Fällen jedoch kein bisschen verbessert, während Politik und Presse in den Staaten sie sogar bewusst entmenschlichen.
Intertextualität ist ein wichtiges Element von Luisellis äußerst kunstvoll und sprachgewandt geschriebenem Roman, dem in der zweiten Hälfte allerdings merklich der Elan und der Schneid verlorengehen. Da helfen auch kein Perspektivenwechsel zur Halbzeit oder passende Polaroids am Ende. Nichtsdestotrotz drückt sich die eben erwähnte Verbindung zu anderen Werken u. a. dadurch aus, dass bei mehr als einer Gelegenheit der erste Satz von Cormac McCarthys preisgekröntem Werk „Die Straße“ zitiert wird, außerdem spielt William Goldings postapokalyptisches Jugendbuch „Herr der Fliegen“ eine ebensolche Rolle wie David Bowies Song „Space Oddity“, welche die rege Fantasie der beiden Kinder in diesem eindringlichen Roman über aktuelle Probleme beflügeln.
Valeria Luiselli: Das Archiv der verlorenen Kinder • Kunstmann, München 2019 • 430 Seiten • Hardcover: € 25
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