10. Oktober 2019 3 Likes

Das Ende der westlichen Zivilisation

Todd Phillips „Joker“ ist der Comicfilm für alle, die keine Comicfilme mehr sehen wollen

Lesezeit: 3 min.

Wie viele Filme über den berühmtesten Batman-Gegenspieler Joker braucht es eigentlich noch, mag der an Comics und ihren Verfilmungen nur peripher Interessierte denken. Doch gerade für all die, denen es herzlich egal ist, ob die von Joaquin Phoenix gespielte Figur in Todd Phillips kurz und schmerzlos betiteltem „Joker“ im selben Kosmos existiert wie der nächste „Batman“-Film oder wie dieser Joker sich zu Jared Letos Interpretation in „Suicide Squad“ und möglichen Fortsetzungen verhält, wer also eigentlich keine Lust (mehr) auf Comicfilme hat, genau der sollte sich dieses finstere, nihilistische, gewagte und teilweise auch brillante Drama ansehen.

Schauplatz ist natürlich Gotham City, das selbsstverständlich an New York erinnert und zwar das besonders heruntergekommene New York Ende der 70er Jahre. Diese Verbindung betont Phillips durch etliche Bezüge zu Martin Scorseses legendärem New York-Exzess „Taxi Driver“, auch der Anfang der 80er Jahre entstandene „King of Comedy“ stand Pate, vor allem für die Rolle des Talk-Masters Murray Franklin, der zudem von Robert De Niro gespielt wird. Einerseits könnte man also getrost sagen, dass „Joker“ 1978 oder 1981 spielt, doch wirklich eindeutig ist das nicht, denn genauso gut könnte man sagen, dass „Joker“ in der Gegenwart spielt oder in einer Zukunft, die bedrohlich nahe scheint.


Ein kleines bisschen Horrorshow. „Joker“, Warner Bros.

So wie De Niros Travis Bickle genug von all dem Abschaum hatte, der in seinen Augen die Straßen New Yorks beschmutzte, so hat auch Arthur Fleck genug von der zunehmenden Verrohung der Gesellschaft. Als Clown verdient er ein mageres Einkommen, doch er träumt von einer Karriere als Stand Up-Comedian, eine Hoffnung, die selbst seine Mutter lachhaft findet. Zu allem Überfluss ist Arthur auch noch psychisch gestört und kann in den unpassendsten Situation Lachanfälle nicht unterdrücken, die immer dann auftreten, wenn man eigentlich nur weinen kann.

Konsequent nimmt Philipps 120 Minuten die Weltsicht Arthurs ein, bricht kein einziges Mal die Perspektive und riskiert es durch diesen dezidiert subjektiven Blick, missverstanden zu werden. Die Sorgen in den USA, dass es bei Vorführungen des Films zu Ausschreitungen oder gar Schlimmerem kommt sind groß, in manchen Kreisen wurde der Film gar als Fanal der so genannten Incels gesehen: Der involuntary celibate, also unfreiwillig Enthaltsam, die sich von der Welt an sich und den Frauen im besonderen schlecht behandelt fühlen, sich in Chatforen wie dem inzwischen geschlossenem 8chan zusammenfinden und ihr Leid klagen. Aus diesen Reihen kamen auch die Attentäter von El Paso oder Dayton, die in den Chaträumen ihre Manifeste des Hasses veröffentlichten.


Rupert schaute den neuen Kollegen skeptisch an. „Joker“, Warner Bros.

Natürlich, es ist in gewisser Weise ein Spiel mit dem Feuer, das Phillips mit seinen suggestiven Bildern und Phoenix mit seiner einmal mehr immersiven, intensiven Performance spielen. Angesichts der Ungerechtigkeiten, denen sich Arthur ausgesetzt sieht, der langsamen Erkenntnis, das ihn seine Mutter belogen und missbraucht hat, dass er für alle Welt kaum mehr als eine lächerliche Witzfigur ist, kann man sich einer gewissen Sympathie für diese Figur nicht entziehen.

Und wenn nach den ersten Morden Arthurs eine Revolution gegen das kapitalistische System ihren Anfang zu nehmen scheint, wenn immer mehr Menschen mit Clowns-Masken durch die Straßen ziehen, ihrer Wut freien Lauf lassen und endlich etwas ändern wollen, mag man diesem Aufruf zur Revolution nur allzu gerne folgen. Man mag hier an die ersten Minuten von Kubricks „Uhrwerk Orange“ denken, in denen Raub, Mord und Vergewaltigung so verführerisch geschildert wurden wie in der Filmgeschichte vielleicht nie wieder. Aber dennoch nicht in affirmativer Fahrlässigkeit, sondern stets – wenn auch für manche Zuschauer auf zu subtile Weise – im Wissen um die Konsequenzen und das grundsätzlich Falsche dieses Verhalten.

In diesem Sinne mag man Todd Phillips „Joker“ als Warnung verstehen, wie nah die USA, aber auch andere westliche Gesellschaften, angesichts der zunehmenden wirtschaftlichen und sozialen Ungleichheit am Abgrund stehen. Auch wenn es sicher mehr Bedarf als eines Funken, um die Revolution zu beginnen, den Aufstand der sich unterdrückt fühlenden Massen: Wenn ein Mann wie der Joker nicht mehr will, als die Welt brennen zu sehen, kann alles passieren.

„Joker“ startet am 10. Oktober im Kino. Abb.: Warner Bros.

Joker • USA 2019 • Regie: Todd Phillips • Darsteller: Joaquin Phoenix, Robert De Niro, Zazie Beetz, Frances Conroy, Brett Cullen, Marc Maron

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