4. August 2020

„Jonathan“: Zwei wie Tag und Nacht

Kühles, tief entspanntes Zwillingsdrama ohne so rechten Biss

Lesezeit: 2 min.

Zwei wie Tag und Nacht: Jonathan und Jon (beide von Ansel Elgort gespielt) sind Brüder, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten: Jonathan ist ein disziplinierter, ordnungsliebender, fleißiger junger Mann, der tägliche Routinen liebt, Jon wiederum ist impulsiv, emotional und lässt gerne die Sau raus. Gut, kommt vor. Das Ungewöhnliche: Sie wurden in einem Körper geboren und können nur dank der Hilfe von Ärztin Mina Nariman (Patricia Clarkson) nebeneinander existieren. Zu diesem Zweck wurde der Tag aufgeteilt: Jonathan hat den Tag bekommen, Jon die Nacht. Kommuniziert wird via Videoaufnahmen, zudem wurden gewisse Regeln aufgestellt, beispielsweise haben sich beide verpflichtet, um die Damenwelt einen Bogen zu machen. Doch dann tritt Barfrau Elena (Suki Waterhouse) in ihr Leben und die bisher gut geregelte Beziehung wird empfindlich gestört …


Jonathan (Ansel Elgort) fragt sich, ob er es wagen soll, das große Frühstück zu bestellen.

Die Idee von zwei Seelen in einem Körper ist nicht neu, seit Robert Stevensons unsterblichen Literaturklassiker „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ gab‘s in verschiedener Form unzählige Varianten der Grundidee, 2016 tobten im Körper von James McAvoy sogar ganze 23 Persönlichkeiten („Split“). Das ungewöhnliche an Bill Olivers Film ist, dass die Grundidee hier nicht in Thriller- oder Horrorgefilde führt, sondern in ein Offbeat-Drama, dass den Verleihern wohl ziemliches Kopfzerbrechen bereitet haben muss, denn Hauptdarsteller Ansel Elgort hatte zwar erst ein Jahr zuvor mit „Baby Driver“ einen Riesenhit, „Jonathan“ wurde allerdings trotzdem praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit auf ein paar Festivals und Kinos rumgereicht und dann bei Streaming-Diensten versenkt (erst Netflix USA, aktuell Amazon Prime).


Ärztin Mina Nariman (Patricia Clarkson) fragt sich, wie sie diesen Patienten abrechnen kann? Einmal? Zweimal?

Na nu? Haben wir’s etwa mit einem unverstandenen Meisterwerk zu tun? Nein, kann man so nicht sagen. Der Film besticht durch erlesene Bilder, einen starken Soundtrack und Elgorts wunderbar zurückgenommenes Spiel, leider aber weiß Oliver nicht so recht, was ihn an der Grundidee eigentlich fasziniert. So wird im stellenweise vielleicht etwas zu entspannten Tempo eine ganze Weile der gut durchorchestrierte Alltag Jonathans (Jon sehen wir nur in Videos) geschildert, statt aber aus dem Ganzen dann zum Beispiel eine Satire auf den Selbstoptimierungswahn der modernen Zeit oder Ähnliches zu machen (das Bruderherz verkörpert schließlich genau den „Fun“-Faktor, denn Jonathan aus seinem Leben komplett verbannt hat), wird keiner der sich förmlich aufdrängende Ansätze verfolgt, dafür purzelt irgendwann eine enttäuschend konventionelle Liebesgeschichte in die herrlich unterkühlten Bilder.

Sehenswert ist das dank der genannten Pluspunkte alle Male und im letzten Drittel holt einen der Film schlussendlich sogar noch auf emotionaler Ebene ein wenig ab, dennoch: irgendwie stand hier jemand ganz gewaltig auf dem Schlauch.

„Jonathan“ ist auf Amazon Prime abrufbar.

Jonathan (USA 2018) • Regie: Bill Oliver • Darsteller: Ansel Elgort, Patricia Clarkson, Suki Waterhouse, Matt Bomer, Douglas Hodge, Joe Egender, Jeff Kim, Alaska L. McFadden, Julie Mickel

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