5. Mai 2021 1 Likes

„Behemoth“ - die große Space Opera von T.S. Orgel

Eine Leseprobe aus dem neuen Roman des Spiegel-Bestseller-Autorenduos

Lesezeit: 12 min.

Am 10. Mai 2021 erscheint „Behemoth“, der neue Roman von T.S. Orgel (im Shop). Das Autoren-Brüderpaar Tom und Stephan Orgel ist eigentlich mit wuchtigen Fantasy-Epen wie „Orks vs. Zwerge“ oder „Die Blausteinkriege“ bekannt geworden. Seit ihrem Roman „Terra“ (im Shop) haben sie sich ins All und in die Zukunft vorgewagt – und in ihrer neuen Space Opera so weit wie nie.

T.S. Orgel: BehemothDie Erde ist in ferner Zukunft unbewohnbar geworden. Die einzige Hoffnung der Menschheit sind drei riesige Weltschiffe – Generationenraumschiffe, die sich ein kosmisches Rennen zum nächsten bewohnbaren Planeten liefern. Im Laufe der langen Reise haben sich die Besatzungen immer weiter auseinanderentwickelt. Als sie plötzlich auf ein Raumschiffwrack treffen, entbrennt ein Konflikt zwischen den drei Schiffen, denn wer die Ressourcen des Wracks kontrolliert, kann das Rennen zur neuen Erde gewinnen. Aber niemand ahnt, was es mit dem toten Schiff wirklich auf sich hat …

Für alle, die jetzt gern schon mal ins Buch hineinschnuppern wollen, haben wir hier eine exklusive Leseprobe.

 

LESEPROBE

Mars, 2148

Die Pilotin des Orbitalshuttles lehnte sich vor und sah durch die Panzerglasscheibe ihres Cockpits hinab auf die narbige Oberfläche des Mars, die sich gleichförmig unter ihr drehte. Der rote Planet war nicht rot. Aus einer Ent­fernung von wenigen Tausend Kilometern war er eher schmutzig-braun, ocker und kaum bemerkenswert, wenn man nicht genau hinsah.

Doch der Mars veränderte sich. Das gewaltige Tiefland der Nordhalbkugel war jetzt von flachen Seen schlammigen Wassers überzogen, die es noch vor wenigen Jahrzehnten nicht gegeben hatte. Hier und dort spiegelte sich die Sonne darin. Auf den Ebenen erstreckten sich über Hunderte Kilometer regelmäßig aufgereihte, braungrüne Kreise, wo automatische Algenfarmen Sauerstoff und Nahrungsmittel zugleich produzierten, während in anderen Regionen unregelmäßige Krater von früheren Terraformingversuchen zeugten. Darüber hinweg zogen Schleier von weißen und sandig-braunen Wolken, die sich immer wieder in heftigen Staubstürmen oder Platzregen über die unfertig wirkende Landschaft ergossen.

Passierte das Shuttle dagegen die Nachtseite, glitzerten dort Dutzende Lichtfunken in der Dunkelheit, Spuren von Städten und verstreuten Siedlungen, von Landungspads und vereinzelten Straßen, die sich wie Spinnfäden über die nächtliche Landschaft zogen. Und dann, kurz bevor das Shuttle erneut auf die Tagseite des Planeten zurückkehrte, war für einen kurzen Moment das wohl Wundervollste und zugleich Wertvollste an dieser neuen Aussicht auf den ehemals toten Planeten zu sehen: ein hauchzarter, bläulicher Schimmer, der der Krümmung der nachtschwarzen Kugel folgte. Wesentlich feiner noch als die ohnehin zerbrechlich wirkende Hülle der Erde, doch unverkennbar eine Atmosphäre, die der Mars seit Jahrmillionen nicht mehr besessen hatte. Dann verblasste der Schimmer wieder, und das Shuttle glitt erneut über die Dämmerungsgrenze hinaus.

Inzwischen hatte es sich auf wenige Hundert Kilometer genähert, und jetzt waren einzelne Merkmale seiner Oberfläche deutlicher zu erkennen. Die Minen in der Äquatorialzone waren als weitläufige, narbige Schuttfelder und Industriekomplexe zu sehen. Es gab keine Vegetation auf dem Mars, die die Bodenschätze verborgen hielt – die riesigen Förderfahrzeuge der Konzerne fraßen die Oberfläche wie gewaltige Herden langsam ziehender Urtiere und hinterließen wenig mehr als zermahlenes Gestein und tiefe Fahrrinnen, die die Staubstürme schnell wieder verbargen.

Die stählernen Herden ließen nur die tiefsten der Krater aus, und hier, wo im Schatten der Wände Eis gefunden werden konnte, entstanden Oasen aus sich zögerlich ausbreitendem Grün, das sich immer und immer wieder durch die Staubschichten kämpfte, wuchs und mehr und mehr Gestein für sich eroberte. Viele der Flecken waren Überbleibsel aus Terraformingversuchen der frühen Besiedlungsphase, die der lebensfeindlichen Umwelt trotzten und langsam, aber hartnäckig eigene Ökosysteme bildeten.

Olympus Mons kam am Horizont in Sicht, der höchste Vulkan des Sonnensystems, eine gewaltige, höckrige Narbe, die sich bis über die junge Atmosphäre erhob. Selbst aus dieser Höhe waren die Tagebau- und Minenkomplexe der Tarsis-Bergbaugesellschaften gut zu erkennen, die sich in das wertvolle Vulkangestein fraßen. Das nördliche Tiefland mochte sich darauf vorbereiten, zu einem Meer zu werden, das den erwachenden Planeten mit Nahrung versorgen würde. Hier jedoch wurde das gefördert, weshalb die Menschen den Mars wirklich in Besitz genommen hatte: Mineralien und Edelmetalle, die auf der Erde nach mehr als zweitausend Jahren Raubbau nur noch schwierig zu finden waren. Auf dem Mars lag der Reichtum noch buchstäblich auf der Straße. Es brauchte nur Leute, die ihn aufhoben. Und die dafür in Kauf nahmen, ihr Leben in Druckanzügen und unter Helmen zu verbringen. Menschen, die bereit waren, dafür zu sterben.

Das Shuttle trat jetzt in die Atmosphäre ein. Es war deutlich langsamer geworden, und jetzt registrierten die Stabilisatoren erste ernsthafte Reibung der Atmosphäre. Das Shuttle ließ die Tharsisregion hinter sich und schoss weiter nach Osten, in Richtung der Valles Marineris, der gigantischen Grabenbrüche des Mars. Dort unten befanden sich die größten Städte des Mars, tief in die Felswände gegraben, um ihre Bewohner vor der Strahlung zu schützen. Sie waren einer der ersten Orte des Planeten, an denen Vegetation gewachsen war, tief genug, um es heute schon Menschen zu ermöglichen, sich ohne Druckanzüge unter freiem Himmel aufzuhalten. Zivilisation – und neben der Erde vermutlich der einzige Ort des Sonnensystems, an dem Menschen je würden leben können. Falls sie nicht auch diese zweite Chance versauten.

Die Pilotin überprüfte die Instrumente, bevor sie sich erneut der Landschaft zuwandte, die unter ihnen vorüberzog. Hunderte und Aberhunderte Kilometer kahler, rötlich brauner Wüste rasten unter ihnen vorbei, jetzt zerklüftet von gewaltigen Rissen und bodenlos erscheinenden Schluchten. Tatsächlich waren die schroffen Canyons bis zu 5000 Meter tief: Das Labyrinth der Nacht wurde diese Region seit ihrer Entdeckung durch Erdteleskope poetisch genannt.

Niemand war hier oben unterwegs. Die Luft war zu dünn zum Atmen, und keine Pflanze gedieh in diesen eisigen Höhen, schutzlos der kosmischen Strahlung ausgesetzt. Und das Gelände selbst war zu zerrissen für die Minenfahrzeuge und zu unwegsam für Siedlungen in den Canyons. Niemand … In diesem Augenblick entdeckte sie eine Staubfahne, die aus einem der breiteren Canyons aufstieg, und das Licht der späten Sonne blitzte kurz auf einer Glasfläche.

So gut wie niemand, korrigierte sie sich im Stillen. Es gab immer Verzweifelte, Abenteurer, Glücksritter und vermutlich auch Gesetzlose, die sich ins Labyrinth der Nacht vorwagten, einige auf der Suche nach Bodenschätzen, an die die großen Minenkonzerne nicht herankamen, andere wegen der Hoffnung auf große Entdeckungen oder auf der Jagd nach Hirngespinsten, und manche der unwegsamen Einsamkeit wegen, in der sie selbst den elektronischen Augen der Satelliten verborgen blieben. Menschen waren schon seltsam. Mit ein wenig Disziplin und Einsatz konnte sich jeder seinen Platz in der Welt verdienen, und doch zog es einige immer weiter hinaus in die unbequeme, unwirtliche und vor allem einsame Wildnis jenseits der Zivilisation.

Die Pilotin warf einen letzten Blick hinab auf die Staubwolke, bevor jene hinter den Steilwänden verschwand. Dann leitete sie den letzten Teil des Sinkflugs ein, der sie Tausende Meter tiefer hinab auf den Grund der größten Täler brachte, ins Herz der erblühenden Mars-Zivilisation.
 

PROSPEKTOREN
Valles Marineris, Westliches Canyonsystem, Mars 2148

Oren sah durch die staubige, zerkratzte Scheibe des Rovers hinauf zum graublauen Marshimmel, bis das winzige Shuttle hinter dem Kamm der nächsten Canyonwand verschwunden war. Es war das einzige Zeichen von Zivilisation gewesen, das sie seit Stunden gesehen hatten, und bereits jetzt ging ihm die stumme Einsamkeit hier draußen auf die Nerven. Und dabei war er nicht einmal allein, und es war alles andere als still.

Migual, sein Fahrer, nickte im Takt der Musik, die seit Stunden aus dem Soundsystem des Rovers dröhnte. Oren hatte zwar die Geräusche filternden Kopfhörer eingeschaltet, aber das Wummern der Bässe drang als Vibration immer noch zu ihm durch. »Bitte, Migual. Kannst du das endlich mal leiser machen? Ich krieg langsam Magenschmerzen davon.« Er klopfte sich auf den Atmosphärenanzug, dessen Front sich leicht, aber doch sichtbar über seinem Bauch spannte. Das sollte in einem inaktiven Anzug eigentlich nicht so sein.

Der Fahrer sah über die Schulter und grinste. »Ach komm, Oren. Das ist bester Mariner-Synthry. Klassiker! Was willst du denn stattdessen hören? Eine Rede der Präsidentin?«

Er lachte, und Oren verzog das Gesicht. Miguals Vorliebe für Mariner-Oldies hing ihm nach vierzehn Stunden Fahrt zwar gehörig zum Hals raus, doch das war kein Vergleich zu den berüchtigten Reden, die die Präsidentin der Tharsis-Föderation gern und überaus häufig hielt.

»Gibt’s nicht irgendwas dazwischen?«

»Jede Menge! Aber fürs Erste ist das dran. Ich hab das neue Album von denen noch nie ganz gehört. Das genieße ich jetzt!« Migual grinste breit und konzentrierte sich wieder auf die steinige, markierungslose Strecke vor ihnen, die nur auf dem HUD so etwas wie eine Wegführung aufwies.

Hyunki, der dürre Mariner, der auf dem Beifahrersitz neben Migual lag, gestikulierte in Richtung Wegfinder und erklärte etwas im eigentümlichen Kauderwelsch der Mariner, das Oren so gut verstand wie Kanto. Er konnte kein Kanto. Es war schon erstaunlich, in welcher Geschwindigkeit sich hier draußen alles änderte. Die Mariner, wie sich die auf der Oberfläche geborenen Einwohner der Valles Marineri selbst nannten, waren langgliedrig und hager und wirkten mit ihren großen Köpfen mehr wie Aliens als Menschen. Ihre Sprache hatte sich in weniger als hundert Jahren zu einem komplett eigenständigen Gemisch aus Dutzenden Erdensprachen entwickelt, das außerhalb des Mars bereits eigene Übersetzer brauchte. Und sie zelebrierten ihre Eigenständigkeit mit einem grimmigen Stolz.

Er verdrehte die Augen, atmete tief durch und sah seine Frau an, die ihm gegenüber im geräumigen Heck des Rovers saß. Venta Chitru lag mit geschlossenen Augen in ihrem Gyrositz und schien zu schlafen, doch das kaum merkliche Lächeln um ihre Mundwinkel verriet Oren, dass sie sehr wohl zugehört hatte. Und vermutlich wusste sie auch, dass er sie in diesem Augenblick ansah. Diese Frau war schon immer schlauer gewesen als er, und sie schien immer zu wissen, was er gerade tat und dachte. »Mig macht das nur, um dich zu ärgern. Das weißt du doch«, sagte Venta, ohne die Augen zu öffnen.

Oren schnaubte. »Und ich rege mich nur auf, weil er das erwartet. Das hält ihn bei Laune.«

»Na sicher.« Ventas Lächeln wurde breiter, und sie schlug die Augen auf. Wie alle Marsianer war sie blass, doch sie war für eine Mariner zu klein, und ihre dunklen Augen und die gestutzten Locken verrieten ihre Wurzeln irgendwo im weiteren Äquatorbereich der Erde. Sie hatte einmal geäußert, dass sie auf die Arabische Halbinsel tippte, aber sicher war sie sich nicht, und einem Gentest hatte sie sich immer verweigert. Ihre Eltern stammten vom Mond. Also vom Erdmond, und sie selbst war wie er auf der Orbitalstation über dem Mars geboren. Eine von inzwischen Tausenden Spacern, und Venta beließ es mit Stolz dabei. Oren war es egal, woher sie kam, solange diese Augen ihn ansahen, wenn sie sich öffneten.

Venta ließ einen Monitor von der Decke herabfahren und musterte die Bilder der Außenkameras, die darauf erschienen. »Da draußen sieht es aus wie vor 150 Jahren. Nichts als Dreck, Staub und Felsen.«

Oren nickte. Schotter und Geröll türmten sich in endlosen Halden vor ihnen, aufgefüllt mit festgebackenem Sand und feinem, ockerfarbenem Staub, der in der dünnen Luft immer wieder aufstob und in langen Schleiern davongetrieben wurde oder in Staubteufeln vor ihnen über die Piste tanzte. Eine dichtere Fahne hing hinter ihrem Rover und versperrte den Außenkameras die Sicht. Hier oben, weitab der Siedlungen, war der Mars tot wie eh und je. »Ich glaube nicht, dass wir jemals eine Atmosphäre aufbauen, die hier oben etwas ändert.« Er deutete auf die Statistiken am Rand des Monitors. »7218 Meter über null. Da wächst auch auf der Erde nichts.«

»Oi«, schaltete sich der Mariner ein. »Daangra. Sicher wächst was hier oben. Nur nicht hier auf dem Fels, sondern«, er schob in einer seltsamen Geste die Hände untereinander und grinste, wobei er bemerkenswert künstliche Zähne zeigte, »unten. Im Boden. Wir sind hier nicht auf der Erde. Mars hat eigene Gesetze, shi de? Ich werde zeigen.«

Oren warf seiner Frau einen fragenden Blick zu. »Das sollte nicht möglich sein, oder?«

Sie wandte den Blick nicht vom Monitor. »Das Einzige, was wir über den Mars wissen, ist, dass wir immer noch überhaupt nichts wissen.«

»Das sagst du immer.«

»Weil es wahr ist. Wir haben eine vage Ahnung, was unten in den Valles liegt, und an den Seen, wo sich die Luft und die Siedler sammeln, aber abseits davon …?« Sie hob die Schultern. »Die Wissenschaftler haben komplexe Bakterien gefunden, die wir sicher nicht eingeschleppt haben. Wir wissen einfach zu wenig.« Sie stutzte, runzelte die Stirn und positionierte eine Kamera neu. »Ist es das da, Hyunki? Dieser Einschnitt?«

Der dürre Mariner sah nach oben auf seinen eigenen Monitor und nickte. »Shi de. Dort oben ist unser Camp. Es ist nicht mehr weit.«

Oren ließ den Monitor nicht aus den Augen. Der steinige Hang endete rechts von ihnen wie schon seit Stunden am Fuß einer Felswand, die sich schroff über ihnen erhob. Der Wind von Jahrmillionen und der Regen einiger Jahrzehnte hatten ein scharfes Linienmuster in sie gegraben, doch der Ursprung dieser Wand, dieses Labyrinths aus Hunderten großer und kleinerer Canyons, lag nicht im Wetter. Das Labyrinth der Nacht verdankte seine tiefen Schluchten denselben Urgewalten, die auch die Grabenbrüche der Valles Marineris erschaffen hatten. Satelliten im Marsorbit hatten in den letzten fünfzig Jahren fast jedes dieser Täler kartiert und auf der Suche nach Rohstoffen bis tief in den Untergrund durchleuchtet, doch noch immer hatte die meisten der trostlosen Einschnitte nie ein Mensch betreten.

»Einladend.«

Hyunki ging nicht darauf ein. Er deutete auf eine Unterbrechung in der Schluchtenwand, die auf einen weiteren Nebencanyon hinwies. »Vielversprechende Stelle, dort oben. Wir haben im letzten Jahr neue Karten von SentinatCorp gekauft. Dort oben liegt Platin und einiges andere. Nicht genug für die Großen, aber mehr als genug für uns. Außerdem Lavaröhren. Ideal zum Abbau, seht ihr?« Er tippte auf den Monitor, und jetzt konnte auch Oren erkennen, dass das, was er vorher für einen Schatten gehalten hatte, eine dunkle Öffnung in der Canyonwand war. »Es ist eine ziemlich dichte Röhre. Einfach zu versiegeln, gut für Basis. Arbeiten ohne Druckanzug ist leichter, shi de

Oren musste zugeben, dass das stimmte. Er kannte die harten Arbeitsbedingungen der Prospektoren in den Schürfercamps. Das Beste, was einem passieren konnte, war die Arbeit in einem unter Druck gesetzten Abschnitt der Hunderte Kilometer langen Lavaröhren. Glücklicherweise war genau dort auch eine Menge zu holen, wenn man wusste, wonach man suchte. Er konnte verstehen, warum die Mariner sich diesen Abschnitt ausgesucht hatten.

»Und dort drinnen habt ihr das Schiff gefunden?« Venta sah skeptisch aus.

»Wie ich gesagt habe, Taitai. Zumindest halb. Es hat die Wand durchschlagen und ragt in die Röhre.« Der Mariner zuckte mit den Schultern.

Oren verzog das Gesicht. Er konnte die Skepsis seiner Frau nachvollziehen. Das meiste Gestein hier war Vulkangestein. Ein Schiff, das mit Absturzgeschwindigkeit auf der Marsoberfläche auftraf, wäre mit ziemlicher Sicherheit in einem hässlichen Feuerball in tausend Fetzen gerissen worden. Irgendwas an dieser Geschichte stimmte nicht. Doch sie hatten keine Wahl. Wracks waren Bergungsgut und gehörten dem Finder, solange niemand sonst Anspruch darauf erhob. Was im Regelfall einer der großen Konzerne war, deren Schiffe den Mars anflogen, doch dazu musste erst einmal zweifelsfrei festgestellt werden, welchem Konzern der Schrotthaufen gehörte. In den vergangenen hundert Jahren hatten Hunderte Schiffe den Mars angeflogen – und ein Haufen davon hatte den Anflug nicht überlebt. Dass eines der großen, kommerziellen Schiffe verschollen ging, war so gut wie nie der Fall. Soweit Oren wusste, gab es noch genau drei Frachter, deren Verbleib ungeklärt war, und keiner davon war in dieser Region heruntergekommen. Anders sah es mit den kleinen, privaten Schiffen aus. Um die vergangene Jahrhundertwende hatte ein regelrechter Run auf den Mars eingesetzt, als klar wurde, dass das Terraforming funktionierte. Und es war erstaunlich, wie viele Orbitalshuttle und Kurzstreckentransporter sich umrüsten ließen, um zumindest einen Flug bis ins gelobte Land zu überstehen.

Noch erstaunlicher war, wie viele Menschen bereit gewesen waren, dieses Risiko auf sich zu nehmen, um in fliegenden Blechdosen selbst zum Mars zu schippern oder sich für Wucherpreise von Schleuserunternehmen hinbringen und über dem noch immer unwirtlichen Planeten abwerfen zu lassen. Diese Auswandererwelle hatte Tausende Menschen das Leben gekostet. Und sie hatte niemanden davon abgehalten. Niemand wusste genau, wie viele der Siedlerexpeditionen auf dem Anflug verloren gegangen waren und wie viele die Landung nicht überlebt hatten, oder die darauffolgenden Tage, wenn es nicht gelungen war, Kontakt zu den Marsbehörden aufzunehmen. Immer wieder stolperten Prospektoren über undichte Landungscontainer, in denen entkräftete Familien erstickt oder verhungert waren, und bis heute spürten Satelliten immer wieder die Reste von abgestürzten Schiffen oder verlassenen Camps auf.

Ein unentdecktes Wrack eines Landungsschiffs war, egal, in welchem Zustand, eine Goldgrube für jeden Prospektor, der einen Finderanspruch geltend machen konnte. Und deshalb hatten die Prospektoren sie geholt. Als vereidigte Prüfer der Tharsis-Föderation war es ihre Aufgabe, Funde zu sichern, Claims zu prüfen und Ansprüche rechtskräftig zu bestätigen. Und wenn die Mariner tatsächlich gefunden hatten, was sie behaupteten, dann gönnte Oren ihnen den Fund. Außerdem war die Provision aus dem Anteil, der der Föderation zustand, auch nicht zu verachten.

»Na gut.« Oren zuckte mit den Schultern. »Sehen wir uns das Ding an, und dann ladet ihr uns zum Essen ein.«

*

Lesen Sie weiter in:

T.S. Orgel: Behemoth · Wilhelm Heyne Verlag · 576 Seiten · E-Book: € 11,99 (im Shop) · Erscheint am 10.05.2021

Kommentare

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.
Sie benötigen einen Webbrowser mit aktiviertem JavaScript um alle Features dieser Seite nutzen zu können.