18. Mai 2021 3 Likes

„NieR Replicant ver.1.22474487139“: Eine Liebe, schwer gemacht

Das Remaster des dystopischen Action-Adventures überzeugt trotz alter Macken

Lesezeit: 5 min.

Es ist schon ein wenig verrückt: Während ich beim bloßen Gedanken an den Nachfolger NieR: Automata ins Schwärmen gerate und dem von mir sogar seinerzeit zum Game des Jahres ausgerufenen Endzeit-Meilenstein emotional zutiefst verbunden bin, blieb mir der Vorgänger Replicant bis zum Erscheinen des Remasters am 23. April für PS4, Xbox One und PC ein zwar bekanntes, dennoch unentdecktes Rätsel. Das ursprünglich 2010 als Spin-off des Hack´n´Slays Drakengaard für PS3 veröffentlichte Debüt der Action-Adventure-Reihe mit seiner dystopisch endzeitlichen Fantasystory um Schattenkreaturen, Roboter und das Überbleibsel einer untergegangenen Zivilisation, heimste zwar schon damals einen recht ordentlichen, wenn auch aufgrund einiger Kritikpunkte nicht euphorischen Applaus ein und schlüpfte so nicht nur mir durch die Finger.

Als dann 2017 Automata für die nächste Generation als vielfach verbesserte Fortsetzung mit noch mehr Sci-Fi-Dystopie und grandiosen Meta-Volten innerhalb der höchst doppelbödigen Storyschichten in die Läden kam, war es aber schon nach der ersten Anspielsession um mich geschehen. So störrisch und betont „urjapanisch“ Charaktere, Soundtrack, Design und Themenbehandlung ausfielen (Stichwort „Bekleidung“ der Protagonistinnen), so faszinierend tiefgründig, emotional und atemberaubend überraschend fiel das Ergebnis aus, um jeden Zweifel am Weiterzocken sofort wegzublasen – aber nur dann, wenn man über so manchen Makel hinwegsah und sich auf die verworrene, nicht geradlinig entblätterte Welt und seine teils bizarr verschrobenen Charaktere einließ (hier nochmal unser damaliger Lobgesang).

Ob es nun im Rückblick besser gewesen wäre, das Original des Erstlings umgehend nach Automata nachzuholen, bleibt zwar autobiografische Spekulation. Nachdem ich nun das Remaster erlebt und letztlich mit einer ähnlichen Begeisterung wie die Fortsetzungen durchgezogen habe, verstehe ich jedoch in mehrfacher Hinsicht, warum Automata gerade als Weiterentwicklung der Reihe Replicant gebraucht hat, um so eine famose Blackbox werden zu können. Dennoch wäre es unfair, den Erstling nur als Sprungbrett zu Automata zu definieren, denn hier finden sich bereits viele der liebgewonnenen Eigenheiten, die Replicant zu einem unbedingten (Geheim-)Tipp für Fans von JRPGs, Action-Adventures und endzeitlichen Fantasydramen avancieren lassen.

Doch worum geht es konkret und was macht Replicant in der Remaster-Version nun eigentlich aus? In Sachen Handlung hat sich naturgemäß nichts getan. Nach einem kurzen Tutorial-Prolog schlüpfen wir in die Haut eines jungen Kriegers, dessen Schwester Yonah von einer seltenen Krankheit, der sogenannten Runenpest, befallen ist. Auf der Suche nach einem Heilmittel verschlug es das Geschwisterpaar in ein postapokalyptisches Dörfchen mitsamt mittelalterlichem Marktplatz, einer Stadtwache und einer schlossartigen Bibliothek, das von der Bibliothekarin Popola geführt wird. Angriffslustige Schattenwesen markieren außerhalb der Dorfmauern eine unerbittliche Gefahr, doch das hält unseren androgyn naiven Helden nicht davon ab, sich mit dynamischen Schwertattacken, Konter- und Ausweichmoves in die Schlacht zu stürzen.

Das insgesamt über mehrere Schwierigkeitsgrade sehr faire Gameplay ist geprägt von einer schnell erlernbaren Kampfmechanik, mit der wir meist Horden an kleineren Gegnern aus der Third-Person-Perspektive mit verschiedenen Attacken auseinandernehmen, hinterlassene Extras und Erfahrungspunkte einsammeln und dabei (auch in Geschäften) erworbene Items wie Heil- und Stärkungstranks zu uns nehmen, um nicht nach dem Ableben am letzten Speicherpunkt aufzuwachen. Speziell eine Lock-on-Funktion einzelner Gegner erleichtert das Kampfgeschehen ebenso wie wechselnde, übersichtlich gehaltene Waffentypen und eine wachsende Begleittruppe automatisch agierender Gefährten im Verlauf der rund 20-25 Stunden Spielzeit.

Besonders nützlich erweist sich dabei das sprechende Zauberbuch Grimoire Weiss, das uns mit direkt per Knopfdruck ausführbaren Magieattacken zur Seite steht und mit seinen Schussangriffen eine für die NieR-Reihe typische Shooter-Komponente in die Kämpfe miteinbringt. Immer wieder wechseln sich, gerade bei den meist riesigen Bossgegnern, flotte Schwert- mit Bullet-Hell-artigen Schussangriffen ab und in vielen weiteren Passagen überrascht Replicant mit spannenden Perspektiv- oder Kamerawechseln, die uns etwa das Gefühl vermitteln, als würden wir einen klassischen Twin-Stick-Shooter spielen. Und das ist nur eine von mehreren Genrereferenzen wie beispielsweise ein Ausflug in die Welt der Textadventures, die wirklich stechen und Spielenerds begeistern können.

Doch nicht nur spielmechanisch stellt eine Figur wie Grimoire Weiss eine echte Bereicherung dar; auch seine herrlich arrogante, in vielen Dialogen bewusst sarkastisch vorgetragene Art, sorgt für einige Highlights innerhalb der gut vertonten englischen Sprachausgabe. Die weiteren Hauptcharaktere wie die absurd gekleidete, aber mit ihrer „Harten Schale, weicher Kern“-Art sehr charismatische Kainé oder der einsam verletzliche Junge Emil, erobern schnell die Herzen all derjenigen Spielerinnen und Spieler, die bei japanisch geprägtem Charakterskripting nicht sofort die Augen verdrehen. Als KI-Komparsen erfüllen sie ihren Zweck allerdings nur leidlich befriedigend und machen nie den Unterschied bei kleineren oder größeren Metzeleien.

Der vielleicht größte Kritikpunkt an Replicant umfasst allerdings das schlicht dröge Missionsdesign nicht nur bei fast allen Sidequests, das uns auf unglaublich dreiste Art zu viel Hin- und Hergelaufe zwischen den immer gleichen Orten zwingt. Die Welt von Replicant ist aufgeteilt in spieltypische Gebiete wie eine Wüste, einen Zauberwald, einen Schrottplatz oder eine Hafenstadt, die wir fast ausschließlich ohne Schnellreisefunktion bereisen. Konkret hat das zur Folge, dass wir – Ladezeiten inklusive – ständig Aufträge erhalten nach dem Muster „Frag Person A in B nach C, bringe C zu D und dann komm nochmal zu Person A, um dann zurückzukommen“.

Auch wenn diese völlig uninspirierte Dauerrennerei vom Spiel ironisch kommentiert wird, bleibt es frustrierend, so viel Zeitverschwendung durchleiden zu müssen. Ganz im Ernst: Was soll diese peinliche Streckung? Gerade mit Blick auf die zweite Spielhälfte, in der man ohnehin alle zuvor bereits besuchten Gebiete erneut bereisen muss, ist das selbst für „damals“ eine grenzwertige Gameplay-Ökonomie. Wenn wir schon bei den Schwachpunkten sind: Auch die Technik kann trotz aufpoliertem Remaster weiterhin nicht überzeugen und serviert uns nach wie vor starre Charaktermodelle, detailarme Texturteppiche und selbst für Endzeit-Verhältnisse bemerkenswert leblose Umgebungen in verwaschenen Farben.

Doch im Vergleich zum Original macht das Remaster dennoch vieles besser. Der ohnehin prachtvolle (Orchester-)Soundtrack wurde neu arrangiert, die Dialoge komplett (und sehr gut) vertont, die Kampfmechanik wesentlich flotter und handlicher eingestellt und dazu neben einem weiteren Ending auch ein zusätzliches Szenario hinzugefügt. In Summe also ein deutlicher Mehrwert, der sich speziell beim zusätzlichen Szenario um eine Meerjungfrau auf einem gestrandeten Schiffswrack dank besonders eigentümlicher Gruselstimmung lohnt.

Was macht dieses NieR nun aber letztlich so besonders, wenn auch nicht ganz auf dem Niveau seines Nachfolgers Automata? Es sind zum einen die einzigartig melancholische, im besten Sinne schwarzromantische Atmosphäre der Story und ihrer teils undurchsichtigen, aber stets emotional aufgeladenen Figuren, die Replicant speziell über die zweite Hälfte des Spiels tragen. Zum anderen ziehen die Kämpfe gegen die abwechslungsreichen Bosse, das schnittige Kampfsystem, die vielen cleveren Ideen (Stichwort abrupte Genre- und Perspektivwechsel) in den Bann, sodass man auch aufgrund der nicht überbordenden Spielzeit und der insgesamt fünf freispielbaren (und vor allem sehr unterschiedlichen) Endings bei der Stange gehalten wird. Wer also mit den genannten Kritikpunkten leben kann, sollte zum aktuellen Vollpreis von rund 60 Euro unbedingt zuschlagen – selbst dann, wenn man nicht bereits den Nachfolger kennt.

Fazit

Dröges Backtracking, wenig Erkundung und laue Grafik einerseits, famose Atmosphäre, fesselnde Story und abwechslungsreiches Action-Gameplay andererseits: Auch das Remaster von Nier Replicant bleibt eine Liebe, die erkämpft werden will.

NieR Replicant ver.1.22474487139 • Square Enix • JRPG • PS4/Xbox One/PC

Abb. © Square Enix

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