26. Juni 2018 3 Likes

Auf einem guten Weg

Mit seinem Mix aus Fahrsimulation, Jump´n´Run und Adventure zählt „FAR: Lone Sails“ zu den besten Indie-Titeln (nicht nur) in diesem Jahr

Lesezeit: 6 min.

Gibt es eigentlich entspannte Postapokalypsen? Diese erfrischend unkonventionelle Frage stellt zumindest implizit das kürzlich für PC (und bald auch für Konsole) erschienene FAR: Lone Sails der noch jungen Schweizer Entwicklerschmiede Okomotive. Ursprünglich als Abschlussarbeit von deren Gründer und Lead Designer Don Schmocker konzipiert, durfte sich FAR: Lone Sails schon bald auf mehreren Messen als hoffnungsvolles Indie-Kleinod bejubeln und so letztlich auch nun vom Münchner Publisher Mixtvision als vollwertiger Titel herausbringen lassen. Das wunderbar eingängige wie simple Gameplay-Ergebnis sieht dabei folgendermaßen aus: Mithilfe eines kleinen Avatars namens Lone (ein Schelm wer Symbolik dahinter vermutet) und einem im Vergleich zu ihm geradezu überdimensionalen Vehikel, begeben wir uns auf eine gut 3-4 Stunden lange Reise durch ein weitgehend verödetes Land, in dem offenbar vor allem Naturkatastrophen und weitere nicht eindeutig definierte Faktoren fast alles Leben ausgelöscht zu haben scheinen.

Warum wir diese Reise antreten und was es mit deren möglichem Ziel auf sich hat, wird uns in mittlerweile typisch abstrakter Indie-Manier a la Limbo, Journey und Co nicht anhand einer leicht dechiffrierbaren Story vermittelt. Auf Dialoge, weitere Figuren oder Medien wie Bücher, mit deren Hilfe wir uns ein klareres Bild über die Ereignisse machen könnten, müssen wir ebenso verzichten wie auf eine Einführung in die Spielmechanik oder Hinweise, falls wir an einer Stelle mal nicht weiterwissen. Das ist allerdings auch kaum nötig, denn so wie einer der größten Reize von FAR darin besteht, uns selbst anhand kleiner Info- und Interpretationshäppchen einen Eindruck der Spielwelt zusammenzureimen, so sehr lebt das Gameplay von seiner Eingängigkeit, die uns dank eines cleveren Designs meist ohne viel Überlegen buchstäblich auf die Sprünge hilft.

Dazu gehört ebenso die Entscheidung der Macher, auf Gegner oder Fallen komplett zu verzichten, sodass wir ausschließlich damit zu Gange sind, unser Fahrzeug am Laufen zu halten und Hindernisse wie hochgezogene Brücken, Tore oder ansteigende Höhen zu überwinden und dazu unser Gefährt etwa mit einer Segelkonstruktion im Verlauf des Abenteuers ein wenig aufzuwerten. Doch auch solche Features erweisen sich wie das ganze Erlebnis als extrem minimalistisch. Wer also an variable Funktionen und Looks wie bei einem Racing-Game denkt, liegt komplett falsch. Vielmehr müssen wir den sich schnell auflösenden Treibstoff mittels eingebautem Verbrennungsmotor stetig auffüllen, indem wir ihm „energiereiches“ Material zufügen, das wir außerhalb unseres Fahrzeuges in der Welt finden.

Lone selbst kann dabei eigentlich nur springen, gleiten und eben Gegenstände greifen. Die Steuerung des Fahrzeugs besteht aus einem getimten Zusammenspiel verschiedener Knöpfe. Während wir mit einem Button beschleunigen und mit einem anderen notwendigerweise Dampf ablassen, fahren wir mithilfe eines eingebauten Fahrstuhls etwa bis aufs Dach, um dort bei gutem Wind die Segel zu setzen oder bei einem ausbrechenden Feuer im Maschinenraum zum Minischlauch zu greifen, um den Brand zu löschen. Das mag zuweilen fast schon meditative Züge annehmen, aber in jedem Fall halten uns die einzelnen Faktoren im besten Fall in einem kleinen Dauerflow aus Schalten und Walten innerhalb des Fahrzeugs, der in den Phasen zwischen zwei Hindernissen durchaus kleinere Glücksgefühle hervorrufen kann.

Wer so vor sich hinfährt und dabei das Getriebe am Laufen hält, vergisst, wie eingangs angedeutet, sehr schnell, sich hier (auch laut Presseinfo der Macher) in einer Postapokalypse zu befinden. Zwar geht es immer nur streng direktional von links nach rechts, allerdings sorgen geskriptete Tag-Nacht- oder Wetterwechsel ebenso für Kurzweil wie einige eingestreute Katastrophen wie beispielsweise ein ausbrechender Vulkan. Erleidet unser Vehikel einmal aufgrund eines zu langen Feuers oder Blitzes zu starken Schaden, ehe wir es reparieren, versetzt uns FAR unmittelbar vor das aktuelle Hindernis. Frust kann also nie wirklich aufkommen; zumal die Aufgaben auch nie in echte Kopfnüsse ausarten und man mit ein bisschen Herumhüpfen, Schieben und Ausprobieren des Pudels Kern stets schnell entdeckt.

Grafisch sieht FAR trotz sehr dezenter Konturen und geringer Farbpalette richtig gut aus und punktet mit einer reduzierten, aber dafür umso geschmeidigeren Technikperformance. Kantenflimmern oder Framerate-Einbrüche sucht man hier vergebens und auch die Steuerung geht selbst mit Tastatur (natürlich ebenso mit Gamepad) schon aufgrund nur weniger Eingaben gut von der Hand. Speziell die kontrastreichen Licht- und Schatteneffekte sowie der Einsatz verschiedener Grautöne lassen oft genug den Anschein eines Gemäldes aufkommen. Neben den Bewegungen unseres Avatars können wir noch selbst die Kamera heran- oder wegzoomen und uns so eine meist optimale Sicht auf unser Vehikel-Innenleben oder eben die mitreißende Atmosphäre der Spielwelt verschaffen.

Doch reicht das bisher Geschilderte wirklich aus, um dieses entspannt kontemplative Solo-Game in seiner Inszenierung und der damit einhergehenden Wirkung zu beschreiben? Mitnichten. Okomotive gelingt mit klarem Kalkül, jedoch ohne sichtbare Anstrengung im Design und ganz ohne aufreibende Spielmechaniken ein bemerkenswert eigenständiges Abenteuer, das sich nie aufdrängt oder zu sehr versucht, selbst in den wenigen dramatischeren Momenten aus dem zuvor gesetzten Rahmen zu fallen. Dieser Eindruck zieht sich bis zum Abschluss durch. Plötzlich ist man am Ziel und wird stimmigerweise nicht mit überbordenden Effekten oder einem aufgesetzten Twist entlassen, obgleich das Ending im Kontext absolut Sinn macht. Etwas anderes würde auch nicht zum Ansatz der Reise als eigentlichem Ziel passen und im Grunde sogar mehr zerstören als nützen.

Die wichtigsten motivischen Antriebsfedern setzt FAR ohnehin bereits in den ersten paar Minuten, in denen wir nicht nur unser Zuhause verlassen und in unser Konstrukt steigen, sondern angeleitet von den Eindrücken des allerersten Bildes nach den kleinen Puzzlestücken in der dann doch offenkundig tief melancholischen Geschichte des kleinen Helden Lone suchen. Das mag in Summe narrativ für viele Spieler vielleicht letztlich doch (zu) wenig sein und man kann Kritik verstehen, die diesem (und den meisten anderen Indie-Titeln) eine unverhohlene Offenheit im Umgang mit konkretem Storytelling vorwirft.

Aber eine solche Kritik wäre in diesem Fall besonders ungerecht, da Don Schmocker und Kollegen ihr (Spiel-)Konzept in Verbindung mit der Grundthematik jederzeit ernstnehmen und sich mit ihrem sympathischen Setting einer unaufgeregten Postapokalypse ebenso von der Konkurrenz abheben wie spielerisch beispielsweise von „echten“ Fahrsimulationen oder dialoggetriebenen Adventures. Und um einen weiteren wichtigen Positivaspekt nicht zu vergessen: Der wunderbar zwischen mehreren Genres changierende Soundtrack trägt zusätzlich viel dazu bei, die Spielzeit auch tonal höchst angenehm auszugestalten.

Fazit

Einfach Reisen, eine Welt erleben und dann ganz ohne Stress irgendwann ankommen. Wollte man FAR: Lone Sails mit einem Satz beschreiben - er könnte so ausfallen. Den Schweizern von Okomotive gelingt mit ihrem Titel ein unaufgeregt einschmeichelnder Mix aus Fahrsimulation, Jump´n´Run und Adventure, wie man ihn trotz eines schon länger äußerst üppigen Angebots an Indie-Perlen kaum in dieser Qualität gespielt haben dürfte. Zwar ist das Ganze nach wenigen Stunden recht schnell auch wieder vorbei und richtig viel Grund zu weiteren Durchläufen liefert FAR ebenfalls nicht. Wer aber am PC (oder dann auf Konsole) ein sehr gut produziertes, im Gegensatz zu vielen Titeln nie hektisches und dazu äußerst stimmungsvolles Game genießen möchte, das mit kleinen Details sehr gezielt seine atmosphärische Spielwelt nach vorne rückt, ist hier genau richtig.

Wer sich schon von anderen Indie-Titeln wie Limbo oder Journey mit deren unterschiedlichen Reisemotiviken und Spielmechaniken fesseln ließ, bekommt erneut Gelegenheit, einem Hauch von Story über Themen wie Vergänglichkeit, Hoffnung und den (mechanischen) Sinn des Lebens nachzuspüren. Das mag manchem Spieler vielleicht zu dünn und anderen trotz fehlender Hinweise oder Tutorials auch zu wenig herausfordernd sein; alle anderen lassen sich hingegen postapokalyptisch von einer symbolgeschwängerten Situation zur nächsten tragen und haben dazu Tage später noch den wunderschönen Soundtrack im Ohr.

FAR: Lone Sails • Okomotive/Mixtvision • Indie-Adventure/Fahrsimulator/Jump´n´Run

Abb. © Okomotive/Mixtvision

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