2. September 2018

Final Walk

Der Auftakt zur (wahrscheinlich) letzten Season von Telltales „Walking Dead“-Serie weist den Weg zum Neustart

Lesezeit: 5 min.

Vor drei Jahren wäre das noch anders gewesen. Da erscheint ein neues Telltale-Game und kaum jemand scheint es noch so richtig zur Kenntnis zu nehmen. Während frühere Adventure-Staffeln zu wohlsortierten Vorlagen wie The Wolf Among Us, Game of Thrones oder Batman noch geradezu hyperventilierend Aufmerksamkeit auf sich zogen, ist es mittlerweile ganz schön ruhig geworden um das amerikanische Studio, das es tatsächlich bereits seit fast 15 Jahren gibt.

Die Stille nach dem Hype belegt vor allem der jüngste, äußerst bedächtige Widerhall zum Auftakt der mittlerweile fünften Staffel von The Walking Dead; der Eigenproduktion also, die mit am meisten Kritiker, Medienwissenschaftler und Zocker dazu animierte, sich Gedanken über die serielle Zukunft des Gamings nach TV-Vorbild zu machen. Doch das scheint heute irritierend lange her, zumal selbst die spannende Ankündigung seitens Telltale, mit dieser nun gestarteten und in vier Episoden unterteilten Season den Abschluss der Game-Serie vorlegen zu wollen, ebenfalls nicht zu einer Resonanz früherer Tage führte.

Man kann diesen Umstand aber vielleicht auf folgende Formel herunterbrechen: Nach Jahren des spielerischen und designtechnischen Wiederkäuens immer gleicher Adventure-Standards, können mittlerweile selbst die nach wie vor gut geschriebenen Erzählungen im Einklang mit einer knackigen Dramaturgie nicht mehr so recht begeistern. Dazu kommt eine gerade in der heutigen Zeit viel zu lange Warterei auf die jeweils nächste Folge hinzu – der mediale Kampf um Sichtbarkeit kennt da bei Warteperioden von bis zu mehreren Monaten einfach keine Gnade.

Und weil der Indie-Markt mit vielen vergleichbaren Konzepten ebenso für gesteigerte Konkurrenz sorgt und auch größere Studios wie zuletzt Daedalic mit ihrer kritischen Sci-Fi-Reflexion State of Mind (hier nochmal unser Test) ebenfalls in diesem Metier nochmal stärker auftrumpften, bleibt nicht mehr viel übrig für das einstige Telltale-Zugpferd, dessen erste Staffelfolge seit dem 14. August wie gewohnt für PS4, Xbox One, Switch und PC verfügbar ist (die weiteren drei Episoden folgen nacheinander in den nächsten Monaten).

Glücklicherweise läutet der Auftakt - wie von den Machern im Vorfeld bereits versprochen - allerdings den längst überfälligen Wandel zumindest bereits ein und gibt schon nach einigen Szenen der gut zweistündigen Handlung der Hoffnung Nahrung, es könnte spätestens mit den angekündigten Produktionen im nächsten Jahr (auch dank neuer Engine) wirklich mehr Zeitgemäßes und auch im Sinne der Stories mehr konsequent damit verwobenes Gameplay geben. Denn neben einem zumindest für die WD-Serie frischeren Design serviert die Folge mehr Freiheiten, was dem Konzept einer Abkehr von spielerischer Redundanz bei stets nur wechselnden Szenarien merklich guttut.

Wie schon in den drei Vorgänger-Staffeln (die Spin-off-Season zu Michonne also ausgenommen) erleben wir den nackten Überlebenskampf vermittelt durch die einst kleine Waise Clementine, die sich nach den Vorkommnissen der zweiten und der (zunächst überraschenderweise weitgehend ausgesparten) dritten Staffel nun als Teenager-Mum durchs postapokalyptische Leben schlägt.

Denn spiegelbildlich zu ihrer eigenen Situation in Staffel 1, als Ex-Protagonist Lee sich dem unerfahrenen Mädchen annahm, um es wie ein Ersatzvater mit den Regeln der neuen Welt vertraut zu machen, trägt Clementine nun die Verantwortung für den ebenfalls elternlosen AJ. Ihr Verhältnis steht im Zentrum der Handlung, die sich deshalb wieder stark nach der Premieren-Season anfühlt, die bis heute bei vielen Spielern als die beste gilt.

Das symbolische Mutter-Sohn-Duo bleibt allerdings nicht lange unter sich und gerät an eine Truppe weiterer Jugendlicher, die sich in einer alten Schule eingerichtet haben; jedoch aufgrund schwindender Ressourcen zunehmend unter Nahrungsdruck geraten. Die Charaktere sind wie immer bei Telltale hervorragend geskriptet, gut vertont und sinnvoll in das jeweilige Setting integriert.

Somit vermittelt die erste Episode sehr gut das Gefühl einer Teen-Group, die wie Clementine und AJ gar keine Zeit für längst von den Auswirkungen der Zombie-Apokalypse weggefressene Dinge wie Kindheit, Spaß oder erste Liebe haben darf und daher auch ohne innere Reife notgedrungen erwachsen sein muss. Doch auch das macht die nur scheinbar neue Gruppenkonstellation sofort klar: auch unter Jugendlichen brechen all die typischen WD-Probleme aus, die den Tod zur Folge haben.

Wir treiben die Handlung primär mithilfe des gewohnten Dialogsystems voran, bei dem wir unter Zeitdruck aus mehreren Optionen wählen und so die Situation beeinflussen können. Ob sich unsere Entscheidungen wirklich langfristig auswirken, bleibt auch diesmal stark hypothetisch; allerdings setzt The Final Season wie bereits angedeutet zumindest anderweitig einige im Vergleich zu früher ungewohnte Akzente.

Vor allem die statischen Action-Sequenzen gegen angreifende Zombies, die früher reine Quick-Time-Events waren, erhalten nun dank etwas offenerer Areale und einer leicht größeren Handlungsvielfalt mehr Abwechslung und Vielfalt. Überhaupt erwartet uns etwas mehr Beinfreiheit in den Gebieten, selbst wenn das Gameplay natürlich noch meilenwert davon entfernt ist, eine auch nur halbwegs wirklich offene Spielwelt anzubieten. Aber nach Jahren des Stillstands ist man ja schon zufrieden mit kleineren Neuerungen.

Am Grafikdesign haben die Entwickler ebenfalls markante Änderungen vorgenommen und dem Geschehen nun einen wesentlich düstereren Touch verliehen, der sich mittels schärferer Kontraste und härterer Zeichnung deutlich mehr an der Comic-Vorlage orientiert und so auch zum Thema des Games optimal passt: den unbequemen Weg einer eigentlich immer noch jungen Heldin nachzuzeichnen, die zwischen Verantwortung, Verlust und einem Rest Hoffnung den harten Weg des Überlebens gehen musste und immer noch muss.

Bisher lässt es sich schwer einschätzen, ob der Auftakt im Verbund mit den drei noch kommenden Episoden tatsächlich zu einem befriedigenden Gesamtabschluss der Serie zusammenwächst und ob Motive wie Figuren früherer Staffeln ebenso noch auftreten wie einige nötige Erklärungen, die sich speziell aus der letzten Staffel nach wie vor ergeben. Aber da es storytechnisch selten etwas Gravierendes an den Telltale-Erzählungen zu meckern gab, sollte man den Autoren einfach mal vertrauen. Das haben sie sich schließlich über die Jahre hin absolut verdient.

Fazit

Der Anfang vom Ende. In gleich zweifacher Hinsicht markiert die erste Episode der neuesten Telltale-Staffel für PS4, Xbox One, Switch und PC einen möglichen Abschluss: einerseits vom langjährigen Erfolgsgarant The Walking Dead; andererseits von der mittlerweile doch arg angestaubten Engine und einem damit einhergehenden Gameplay, das dringend eine Frischzellenkur vertragen könnte und diese auch bei den nächsten Produktionen erhalten soll.

Letzteres deutet sich nun bereits im kleineren Maßstab an, denn die Auftaktepisode punktet mit etwas mehr (Bewegungs-)Freiheit, ohne die erzählerischen Qualitäten der Reihe zu vernachlässigen. Neue, vorwiegend sympathische Charaktere sorgen für die üblichen Konflikt- und Spannungsbögen, wobei man sicher gespannt sein darf, wie die Macher ihren wichtigsten Charakter Clementine für die kommenden noch drei Folgen weiterentwickeln.

The Walking Dead - The Final Season • Telltale Games • Adventure

Abb. © Telltale Games

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