12. Oktober 2021 2 Likes

„Tom Sachs – Space Program: Rare Earths“ – Zu den Sternen!

Eine verspielte, andächtige Hommage an die Raumfahrt und die Suche nach Sinn

Lesezeit: 3 min.

Weniger als 600 Menschen waren bislang im Weltall, noch weniger auf einem fremden Himmelskörper, insofern kann man durchaus behaupten, dass wenige Dinge für den Durchschnittsbürger so unerreichbar sind, wie die Raumfahrt. Bis zum 10. April 2022 kann man in einer immersiven Ausstellung in den Deichtorhallen in Hamburg so tun, als würde man zum Astronauten ausgebildet werden – zumindest wenn man ironiebegabt ist.

Schon andere „Missionen“ organisierte der in New York arbeitende Künstler Tom Sachs, sie führten zunächst ganz klassisch zu Mond und Mars, bevor es zum Jupitermond Europa ging. Nun ist das Ziel der hellste von der Erde sichtbare Asteroid: 4-Vesta. Dort sollen die seltenen Erden abgebaut werden, die auf der Erde, nun ja, immer seltener werden. Doch die seltenen, die raren Erden beziehen sich natürlich auch auf den Seltenheitswert der Erde selbst, die schließlich einmalig ist und die wir Menschen dennoch ziemlich rücksichtslos behandeln. Den Blick von Außen will Sachs mit seiner Arbeit also evozieren, so wie das legendäre Foto, das die Apollo-Astronauten einst von der hinter dem Mond aufgehenden Erde machten, den Blick und die Wahrnehmung auf die Erde grundlegend änderte.

Zu diesem Zweck baut Sachs in der Ausstellung „Space Program: Rare Earths“ mit seinem Team, das man sich gerne als verspielte, verschworene Einheit vorstellt, Monumente der Raumfahrt nach: Vom Kontrollzentrum mit unzähligen Monitoren, über Mondkrater, die gerade ausgegraben werden, bis zu einer erstaunlich detailgetreuen Nachbildung der Mondlandefähre. Der Witz dabei ist nun, dass all die Exponate aus Schrott hergestellt sind, aus Dingen des Alltags, die umfunktioniert wurden, bemalt und zurechtgeschnitten und einer neuen Funktion zugeführt. Wie die überdimensionierten Spielzeugwelten eines großen Kindes muten die Exponate dadurch an, die ironischerweise aus praktisch wertlosem Material etwas nachbilden, was zu den aufwändigsten, teuersten Dingen zählt, das Menschen bauen.

Doch nicht nur bestaunen lassen sich die Exponate, in einem „Indoktrinierungszentrum“ kann man sich zum Astronauten ausbilden lassen, was neben psychologischer Befragung: „Benennen Sie in einzelnen Worten die positiven Dinge, die Ihnen zu ihrer Mutter einfallen.“ (!), auch handfeste Tests bedeutet: Schrauben sortieren …

Nach erfolgreich bestandenem Test darf man sich dann in eine Röhre legen und sich zu meditativer Musik auf eine Reise in die Tiefen des Universums begeben, ein Universum, das in diesem Video mal aus Tennis- und Basketbällen besteht oder Spiralnebel aus Zucker zeigt. Dieselbe verspielte, selbstironische Herangehensweise zeigt sich auch im „Re-Education Center“, wo Videos die Regeln des Tom Sachs Space Program erläutern. Da gibt es zum Beispiel das wunderbare Video „Love Letter to Plywood“ zu sehen, eine Liebeserklärung an die Spanplatte! Deutlich von den skurrilen, peniblen Filmen Wes Andersons und ihrer Do-it-Yourself-Ästhetik inspiriert, beschreibt Sachs hier nicht nur die Vorzüge der Spanplatte, sondern auch, wie sie bearbeitet werden sollte. Und wenn dann betont wird, dass in seinem Studio in New Yor, natürlich nach dem imperial und nicht dem metrischen System gemessen wird, dann darf man da getrost an den millionenschwerer Mars-Orbiter denken, der verloren ging, weil jemand in Zentimeter maß statt in Inch – oder war es doch umgekehrt?

Doch so ironisch und humorvoll Sachs Kunst auch ist, seine Bewunderung und vor allem Faszination für die Raumfahrt scheint stets durch. Er vergleicht die aus hunderttausenden Einzelteilen bestehenden Raketen, Rover und Satelliten mit den Kathedralen, die in ihrer Zeit die aufwändigsten Gebäude waren, so wie die Raumfahrt heute zum aufwändigsten zählt, das Menschen gestalten. (Dass das wohl aufwändigste von Menschen geschaffene Bauwerk der Gegenwart, der Large Hadron Collider, auch dazu dient Teilchen zu finden, die manche als „Gottteilchen“ bezeichnen, müsste Sachs gut ins Konzept passen). Und so wie früher Menschen in Kathedralen gingen, um nach Sinn zu suchen, so zieht es den Menschen inzwischen in ferne Welten, doch die Sinnsuche geht weiter.

Ganz konsequent also, dass ein Raum, der äußerlich wie jene riesige Halle aussieht, in der in Cape Canaveral die Saturn-V Rakete montiert wurde, im Inneren fast stockdunkel ist und zu einem Altar führt: Kniet man nieder, verneigt man sich vor einer winzigen Figur, die scheinbar im Raum schwebt: Yoda.

Alle Abb.: Joshua White/JWPictures

Tom Sachs – Space Program: Rare Earths • Ausstellung • Deichtorhallen, Hamburg • bis 10. April 2022

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