29. Dezember 2021 1 Likes

Tardi: Adele Blanc-Sec

Die Neuausgabe des französischen Comic-Klassikers in Sammelbänden

Lesezeit: 4 min.

Jacques Tardi ist einer der ganz Großen des internationalen Comics. Nicht umsonst wurde der 1946 geborene Franzose bereits mit dem Grand Prix de la Ville d’Angoulême seiner Heimat, dem deutschen Max-und-Moritz-Preis und dem amerikanischen Eisner Award ausgezeichnet. Als eine von Tardis bekanntesten Schöpfungen gilt die Serie „Adeles ungewöhnliche Abenteuer“, die immerhin von Luc Besson verfilmt wurde. Beim Verlag Schreiber & Leser startet nun eine Neuausgabe der Adele Blanc-Sec-Comics mit Sammelbänden im Albumformat.

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Die Serie startete 1976 und setzt im Frankreich des Jahres 1911 ein, also mitten in der fortschrittlich-dekadenten Belle Époque bzw. Fin de siècle vor dem Ersten Weltkrieg. Die junge Adele, eigentlich eine Romanschriftstellerin, wird als taffe, sogar etwas zwielichtige Antiheldin in allerhand gefährliche Episoden verwickelt. Die Jagd nach einer Diebesbeute, die verschiedene skrupellose Parteien begehren, scheint letztlich noch das Unterfangen mit der größten Erdung zu sein. Anders sieht es da schon aus, als ein okkultes Ritual aus der Ferne dazu führt, dass im Pariser Museum für Naturgeschichte ein Pterodactylus aus seinem Ei schlüpft, woraufhin der Flugsaurier mit seinen Angriffen für Angst und Schrecken in der französischen Hauptstadt sorgt. Außerdem begibt sich Adele auf eine im Schatten des Eifelturms endende Hatz nach der Statue eines assyrischen Dämons, womit sie in das Wespennest eines mächtigen Geheimbunds sticht. Darüber hinaus erwecken ehrgeizige Wissenschaftler mittels Technologie einen Urzeitmenschen in Frankenstein’scher Manier zum Leben und träumen von einer Armee aus Höhlenmenschen-Supersoldaten …

 

Vielfältig und verfilmt

Tardis üppiges Schaffen deckt ein breites Spektrum und mehrere Medien ab. Er schrieb und zeichnete viele historische Kriegscomics mit teils persönlichem, familiärem Bezug. Obendrein inszenierte der Franzose allerhand Krimis: herrliche Adaptionen der Nestor Burma-Geschichten nach Léo Malet sowie Zusammenarbeiten mit Neo-Polar-Neuerer Jean-Patrick Manchette. Aber auch Panel-Interpretationen von Science-Fiction-Wegbereiter Jules Verne finden sich im Comic-Portfolio des Jacques Tardi, der mit seinen Ideen und Bildern obendrein den Steampunk-Animationsfilm „April und die außergewöhnliche Welt“ auf den Weg brachte. Egal was er realisiert, adaptiert oder inspiriert: Monsieur Tardi hat seit Langem einen eigensinnigen Strich, einen kühnen Schwung und einen markanten Duktus für seine Figuren – einen Stil, den man unter keinen Umständen verwechselt und immer gerne betrachtet, völlig unabhängig davon, um welches Genre und welche Geschichte es geht.

In den 1970ern war das umso wichtiger, da Tardi dabei half, den frankobelgischen Comic grafisch von der klassischen klaren Linie und strukturell von seinen traditionellen Veröffentlichungsmechanismen fortführen – nicht zuletzt mit seinen „Adele“-Bildergeschichten. Denn die ersten beiden Alben von „Les Aventures extraordinaires d’Adèle Blanc-Sec“ wurden, völlig untypisch für die damalige Zeit, nicht vorab in den großen, florierenden Comic-Magazinen serialisiert, sondern in einer auflagenstarken Tageszeitung, und danach folgte direkt das Album, alles eingebettet in einen stattlichen Verlagsdeal. Übrigens siedelte Tardi seine bis heute sporadisch fortgesetzten Adele-Comics im selben fiktiven Science-Fantasy-Kosmos an wie seine anderen Frühwerke um „Das Ende der Hoffnung“ und „Dämon im Eis“.

Luc Besson verfilmte Elemente mehrerer Adele-Alben 2010 unterdessen als „Adele und das Geheimnis des Pharaos“ mit der überzeugenden Louise Bourgoin in der Hauptrolle. Heraus kam ein hübscher, schräger kleiner Fantastik-Film mit einem ganz eigenen Ansatz, Rhythmus und Humor, der wesentlich besser ist als sein Ruf, selbst wenn er nie in einem Atemzug mit „Léon der Profi“, „Das fünfte Element“, „Nikita“, „Valerian“ und „Anna“ genannt werden muss. Einer dieser Filme, die einen überraschen, wenn man sie das erste Mal sieht oder auf einem Sender wie RTL2 oder Tele5 zufällig reinzappt. Bessons Adele-Adaption spielte bei einem Budget von 27 Mio. Dollar an den weltweiten Kinokassen trotzdem lediglich 34 Mio. Dollar ein, davon 13 Mio. in Adeles französischer Heimat.

 

Ungezügelt seltsam

Bei aller multimedialer Popularität, comic-historischer Wichtigkeit, berechtigter Tardi-Verehrung und ewiger zeichnerischer Klasse des Altmeisters soll nicht verschwiegen werden, dass die „Adele“-Comics inhaltlich und erzählerisch ein paar Macken haben. Oft hat man beim Lesen das Gefühl, dass die Handlung allein für die häppchenweise abgedruckte Fortsetzungs-Geschichte in der Zeitung damals Haken um Haken schlägt, Twist um Twist präsentiert. Noch eine alberne Verkleidung, noch eine spektakuläre Wendung, noch ein neuer Akteur, noch eine verzwickte Enthüllung. Selbst Tardi, so scheint es, macht sich hin und wieder über die eigenen Storys lustig. So kommentiert eine Nebenfigur das Geschehen in einem Panel des zweiten ursprünglichen Bandes einmal mit den Worten: „Ja, seltsam. Taugt nicht mal für einen Schundroman, viel zu kompliziert. Keiner würde das verstehen.“ Natürlich hat diese Zügellosigkeit und Albernheit ein Stück weit ihren eigenen Charme und zollt den Vorbildern aus anderen Zeiten Tribut.

Nichtsdestotrotz ist es allemal erfreulich und absolut sinnig, dass Adeles Abenteuer jetzt bei Schreiber & Leser direkt neben der Neuedition von Hugo Pratts noch einflussreicherem Klassiker „Corto Maltese“ aus derselben Ära in einer Sammelband-Edition neu aufgelegt werden. Erst recht, da Tardi angeblich an der seit 2007 ausstehenden Fortsetzung, vielleicht sogar dem großen Finale im zehnten Album arbeitet. Den ersten Hardcover-Band von „Adele Blanc-Sec“ gibt es auch als limitierte Vorzugsausgabe, der zweite ist für Juni angekündigt.

Abb.: © 2021 Casterman/dt. Ausgabe Schreiber & Leser

Tardi: Adele Blanc-Sec Sammelband 1 • Schreiber & Leser, Hamburg 2021 • 160 Seiten • Hardcover: 29,80 Euro

 

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