Weltraum für alle!
Über eine Organisation, die sich darum kümmert, dass es bald Astronauten mit Behinderung geben wird
Wussten Sie, dass taube Menschen erheblich bessere Astronauten abgeben? Mir jedenfalls war das neu.
Ich weiß nicht, wieso ich nicht früher darauf gekommen bin, schließlich liegt es doch auf der Hand: Durch die Veränderung des Gleichgewichtsorgans bei tauben Menschen sind sie so gut wie immun gegen die sogenannte Reisekrankheit – was an Orten wie etwa der Internationalen Raumstation ein entscheidender Vorteil ist. Außerdem können sie sich in Zeichensprache verständigen, was auf der ISS in bestimmten Situationen ebenfalls hilfreich sein kann. Kurz gesagt: Wer einen Astronauten sucht, sollte Taube und Schwerhörige als vielversprechende Kandidaten in Betracht ziehen.
Dennoch gab es meines Wissens noch keine tauben Astronauten. Vielleicht täusche ich mich ja auch, aber das kommt mir wie ein schweres Versäumnis vor. Dabei fällt mir ein, dass es – soweit ich weiß – überhaupt noch nie einen Astronauten mit Behinderung gab.
Auf dieses Problem wurde ich durch eine Organisation namens AstroAccess aufmerksam, die sich ein theoretisch recht einfaches, praktisch aber unglaublich kompliziertes und verzwicktes Ziel auf die Fahnen geschrieben hat.
AstroAcess setzt sich dafür ein, dass auch Menschen mit Behinderung Astronaut werden können. Die Organisation hat zwar keinen Einfluss auf den Auswahlprozess der Raumfahrtbehörden wie etwa der NASA, aber sie versucht, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen – etwa indem sie Menschen mit Behinderung die Teilnahme an Parabelflügen ermöglicht, bei dem ein Flugzeug einen so extremen Sturzflug vollführt, dass in der Maschine kurzzeitig Schwerelosigkeit herrscht.
Die Idee als hehres Ziel zu bezeichnen wäre untertrieben – es ist eine wirklich fantastische Idee. Allein das Konzept, Menschen mit Behinderung nicht aus Wohltätigkeit ins Weltall zu schicken, sondern ihre Stärken und Fähigkeiten zum Einsatz zu bringen, ist – ich kann es gar nicht genug betonen – genial.
In diesem Sinne ist AstroAccess viel mehr als nur ein Wohltätigkeitsverein. Denn es geht darum, diese Stärken und Fähigkeiten herauszukitzeln und die Bedürfnisse und Möglichkeiten von Astronauten mit Behinderung aufzuzeigen. Nehmen wir zum Beispiel die bereits erwähnte Zeichensprache, die naturgemäß auf Hand- und Armbewegungen beruht. Kann man diese auch sicher und effektiv in der Schwerelosigkeit ausführen, wo man mit jeder Bewegung Gefahr läuft, sich um sich selbst zu drehen? Wie lassen sich schwerhörigen Menschen bestimmte standardisierte Sprachsignale übermitteln? In den nächsten Jahren werden mehr Menschen als je zuvor den Weltraum besuchen, so viel steht fest. Wenn wir uns nicht jetzt darüber Gedanken machen, werden wir später mit viel größeren Schwierigkeiten zu kämpfen haben.
Und damit nicht genug. Wie muss ein Raumschiff beschaffen sein, damit sich blinde Menschen darin zurechtfinden? Welche Oberflächen und Hilfsvorrichtungen sollten eingebaut, welche Modifikationen müssen bei Start und Landung vorgenommen werden? Die meisten von uns würden diese Handicaps wohl als Hürden begreifen, was sie momentan ja noch sind. Auch hier nimmt AstroAcess eine Vorreiterrolle ein, denn die Beantwortung dieser Fragen spielt eine wesentliche Rolle dabei, wenn wir den Weltraum für alle zugänglich machen wollen.
Jemanden allein wegen seiner Behinderung eine Vorzugsbehandlung zukommen zu lassen ist falsch. Eine Behinderung ist eine komplexe Angelegenheit, und diejenigen, die damit leben müssen, zu verhätscheln und aller Verantwortung zu berauben ist unfair – und womöglich will der oder die Betroffene das auch gar nicht. Aber wenn man sich die Liste der AstroAcess-Botschafterinnen und -Botschafter ansieht, kommt man aus dem Staunen nicht mehr heraus. Das sind genau die richtigen Kandidatinnen und Kandidaten, wenn die NASA und ähnliche Behörden dem Thema gegenüber etwas aufgeschlossener wären. Centra Mazcyk zum Beispiel: ehemalige Profibasketballerin an der High School, First Sergeant der 82th Airborne Division, Abschluss in Soziologie und (Augenblick, ich muss meine Notizen bemühen) Gewinnerin einer Medaille im Speerwerfen bei den Paralympics. Wenn das nicht reicht, um Astronautin zu werden, dann weiß ich auch nicht.
Außerdem – das sozusagen als Sahnehäubchen – bemüht sich AstroAccess intensiv um Menschen mit queerem Background oder aus einem sozial benachteiligten Umfeld. Eine Initiative, die andere Raumfahrtprogramme schmerzlich vermissen lassen.
Ich will hier keine Lobeshymne anstimmen, immerhin ist dies eine kritische und gelegentlich sogar zynische Kolumne. Aber weder Kritik noch Zynismus sind angebracht, wenn es um Menschen wie Centra Mazyck und die anderen Teilnehmende von AstroAcess geht. Manchmal gibt es auch Gutes und Unverzichtbares auf der Welt. AstroAccess gehört dazu.
Rob Boffard wurde in Johannesburg geboren und pendelt als Autor und Journalist zwischen England, Kanada und Südafrika. Er schreibt unter anderem für „The Guardian“ und „Wired“. Seine Romane „Tracer“ (im Shop), „Enforcer“ (im Shop) und „Verschollen“ (im Shop) sind im Heyne-Verlag erschienen. Alle seine Kolumnen finden Sie hier.
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