Manfred Theisen: „Wir sind die letzte Generation“
Ein fesselnder Roman zur Klimakrise, der nicht nur mit seiner Form heraussticht
Es gibt kaum ein Thema, das aktuell wohl ähnlich polarisiert wie der Umgang mit der sogenannten letzten Generation. Zum einen stellt die Klimabewegung unsere kapitalistisch-konsumorientierte Lebensart konsequent in Frage und legt so den Finger in die klaffende, nicht mehr zu übersehende Wunde einer immer noch erschreckend passiven Gesellschaft im Angesicht der Klimakatastrophe; zum anderen aber sind die von ihr verwendeten Mittel immer wieder Anlass einer auch von manchen Medien aktiv aufgeheizten Debatte, die letztlich leider das in den Hintergrund rückt, worum es eigentlich gehen sollte, nämlich die Bewahrung unser aller Lebensgrundlage.
Daran schließen sich Fragen an, zu denen viele Meinungen kursieren, die sich oftmals scheinbar unvereinbar gegenüberstehen: Ist die Bewegung nun beispielsweise eine Gefahr im Sinne einer extremistischen Vereinigung, wie mittlerweile sogar auf juristischer Ebene diskutiert wird, oder ist sie als Gewalt ja offen ablehnende Gruppierung ein Phänomen, das man als Demokratie aushalten und im Besten Fall als Antriebsfeder für mehr Handeln für sozialverträglichen wie echten Klimaschutz nutzen sollte?
Vor diesem komplexen Hintergrund einen Roman über die letzte Generation und ihren Kampf zu verfassen, der sich an erwachsene, aber vor allem jüngere Leser:innen richtet und das Thema nicht in Form eines Sachbuchs behandelt, kann ohne Übertreibung als ein eher schwieriges Unterfangen eingestuft werden. Der Politologe Manfred Theisen, der Kontroversen literarisch schon in der Vergangenheit nicht scheute, stellte sich als längst versierter Autor (u. a. bekannt für „Rot oder Blau“) dieser Herausforderung und das sogar in dezidiert gesteigert privater Art und Weise.
Denn Theisen schrieb „Wir sind die letzte Generation“ (im Shop) zusammen mit seiner Tochter, sodass wohl gerade der mit der Klimakrise oft verhandelte Konflikt der Generationen (bezogen auf die Dringlichkeit der Krise) im Text selbst einen zusätzlichen Fokus erhielt und, wie es im Vorwort heißt, verschiedene Blickwinkel existierten, die es zu vereinen galt.
Aber „Wir sind die letzte Generation“ ist nicht nur ein Roman eines (offenbar gelungenen) innerfamiliären Austauschs, sondern, trotz aller Literarizität, vor allem eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Motiven der Bewegung und den eingangs skizzierten Irritationen, die sie nach wie vor auslöst. Als erzählerischen Motivator verwendet Theisen dazu eine Liebesgeschichte zweier Teenager namens Ben und Johanna (genannt Flocke), die sich – natürlich – zunächst völlig fremd sind und deren sich anbahnende Beziehung eng verquickt wird mit dem Für und Wider gegenüber der Bewegung.
So muss zunächst, ganz klassisch, der Zufall helfen, als Ben Johanna eines Tages unbedarft dabei fotografiert, wie sie als überzeugte Aktivistin und Mitbesetzerin des Hambacher Forsts eine Sicherheitskamera übersprüht. Ben, gleich fasziniert Johanna und aufgrund eines Schulreferats über den Widerstand im Dritten Reich eigentlich wenig an anderen Themen interessiert, macht sich auf die Suche nach ihr. Was leicht wie Stalking anmutet, wird zum Beginn eines sich Herantastens zwischen dem verliebten Ben und der zunächst skeptischen Johanna, die den Jungen dennoch in ihren Lebenskosmos aus einer selbstbewussten Abkehr von dem, was man „normales Leben“ nennen könnte, und aktiver Planung von Klimaprotestaktionen einlädt und sich ebenfalls bald in ihn verliebt.
Im Verlaufe des Textes beginnt Ben, angetrieben von Johanna, sein Leben zu hinterfragen und mutiert selbst zum Aktivisten, der sich der Bewegung anschließt. Dies ist umso bemerkenswerter, da Bens Mutter ausgerechnet zur Sicherheitsfirma gehört, die den Hambacher Forst als „Eigentum“ vor den Protestlern „schützen“ soll, was natürlich zusätzlich zu Verwerfungen zwischen den Figuren führt.
Was nun Theisens Roman aber überraschenderweise besonders auszeichnet und ihn über die
gesamte Länge eigentlich sogar spannender macht als die zwar ordentlich konstruierte, jedoch eher gewöhnliche Coming-of-Age- bzw. Liebesgeschichte über rebellische Teenager, ist die Sprache. Denn „Wir sind die letzte Generation“ ist ein konsequent lyrisch gehaltenes Werk, das auf typische Prosaformen schon rein optisch verzichtet, wenn etwa auf vielen der Seiten nur wenige Zeilen wie bei einer Gedichtstrophe oder einem Aphorismus platziert werden und die Erzählhaltung strikt subjektiv bei den beiden Figuren verharrt.
Dieser Ansatz erweist sich als Glücksgriff, da die Gedanken der beiden Hauptfiguren so teils nebeneinanderstehen, wie sie aber auch unmittelbar ineinander übergehen können. In einfallsreichen, sehr pointierten und oft poetisch mitreißenden Sätzen nimmt uns Theisen so mit in die Gefühlswelt seiner Charaktere und gibt uns stets die Möglichkeit des Innehaltens und Reflektierens. So stellt sich ein anspielungsreicher, nie verschwurbelt bis zu verkopfter Lesefluss ein, wie er in der Gegenwartsliteratur in dieser Form zu selten vorkommt und der gerade in diesem Fall sowohl zu den Figuren wie zum Thema optimal passt.
Am Ende mag man sich nur vielleicht fragen, ob die im Roman mehrfach aufgerufene Parallelsetzung zwischen Klimaprotest und Widerstand in Nazi-Deutschland wirklich einleuchtend oder sogar kontraproduktiv für das Thema ist, doch das sollte Theisens Werk nicht in seinem erkennbaren Bestreben diskreditieren, in literarisch ansprechender Form Verständnis für die verschiedenen Motive und Ängste von uns allen im Umgang mit der Klimakrise herstellen zu wollen. Das dies dazu ohne viel Faktenhuberei geschieht und Theisen mit seiner Sprache Raum zum eigenen Nachsinnen ohne aufgesetzten Moralismus lässt, mag als positive Grundhaltung des Textes nochmal betont werden. „Wir sind die letzte Generation“ ist eben ein Roman, das nicht polarisieren, sondern vermitteln will. Es sollte mehr davon geben.
Manfred Theisen: Wir sind die letzte Generation • Roman • cbj Jugendbuch, München 2023 • 304 Seiten • Erhältlich als Taschenbuch und eBook • Preis des Taschenbuchs: € 10,00 • im Shop
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