19. Juni 2017 3 Likes

In Basel

Warum wir die Zukunftsdebatte nicht so führen, wie es eigentlich notwendig wäre

Lesezeit: 5 min.

Kürzlich war ich in Basel, um mit einer Gruppe junger Menschen darüber zu sprechen, dass es um die Welt nicht zum Besten steht. Das Thema war gesetzt (die Veranstaltung fand im Rahmen der Baseler „Umwelttage“ statt), aber die Aufgabe dadurch nicht leichter, vor allem nicht in Basel, dieser friedlichen, gemütlichen Schweizer Stadt voller Museen und Biosupermärkte und statistisch nachgewiesener Lebensqualität, diesem Ort in der Mitte Europas, wo die „Welt, um die es nicht zum Besten steht“ so weit weg wirkt wie der Mond von der Erde (wenn nicht noch weiter). Wie kann man Jugendlichen, die an so einem Ort aufwachsen, vermitteln, dass der sie umgebende Wohlstand nur durch den brutalen Zugriff auf natürliche und menschliche Ressourcen außerhalb der europäischen Zentren aufrechterhalten wird? Wie kann man ihnen erklären, dass dieser Wohlstand auf schamlosen und schamhaft verdrängten Routinen der Externalisierung gründet? Und wie kann man sie motivieren, sich mit den Ursachen dieser Routinen zu beschäftigen und vielleicht sogar etwas daran zu ändern?

An diesem „Wie“ entzündet sich eine offenbar grundsätzliche Problematik der zivilisatorischen Situation, in der wir uns gerade befinden. Die Fakten sind klar herausgearbeitet und werden in einem endlos mahlenden medialen Reproduktionsprozess immer wieder neu präsentiert: Die globale Temperatur bewegt sich auf Werte zu, bei denen das Wort „Flüchtlingskrise“ keinen Ausnahmezustand mehr bezeichnen wird; die Artenvielfalt geht so dramatisch zurück, dass man von Vielfalt eigentlich nicht mehr sprechen kann; die Böden werden in einem so atemberaubenden Tempo ausgelaugt oder versiegelt, dass „urban gardening“ bald alles andere als ein putziges Nischenprojekt sein wird. Diese Fakten ändern jedoch sichtlich nichts daran, dass die „Megamaschine“, wie Lewis Mumford einmal das fatale Funktionsgefüge aus weltverbrauchendem Energie-, Finanz- und Politiksystem genannt hat, ohne Rücksicht weiterrotiert. Ja, auch die Betroffenheit über die Fakten ändert nichts daran (in meinem Umfeld gibt es niemandem, der, wenn man die Fakten mit ihm diskutiert, sich nicht in irgendeiner Weise betroffen zeigt), ebenso wenig wie die Tatsache, dass weltschonende Alternativkonzepte für beinahe jeden gesellschaftlichen Sektor nicht nur längst vorhanden, sondern auch durchgerechnet sind. Was also stimmt hier nicht? Was stimmt mit uns nicht?

Wer (wie ich) im Bereich der Faktenvermittlung und des sich daraus zwingend ergebenden Appells, Lebens- und Wirtschaftsweisen neu zu justieren, tätig ist, bekommt die Antwort auf diese Frage regelmäßig aufs Brot geschmiert: Die Menschen, so heißt es, verhalten sich eben nicht faktenorientiert, sie filtern die Fakten durch ihre höchst unterschiedlichen Wertvorstellungen, und über ihre Wertvorstellungen wollen sie nicht belehrt werden, schon gar nicht von jemandem, der auf die Notwendigkeit aufmerksam macht, diese Wertvorstellungen zu hinterfragen; immerhin haben die Menschen mit dem konsequenten Ausblenden solcher kognitiver Dissonanzen zwischen dem, was sie wissen, und dem, was sie tun, ja ziemlich viel erreicht. Also, heißt es weiter, komme den Menschen bloß nicht mit dem „moralischem Zeigefinger“ oder gar – Vade, Satana! – mit einer „Ideologie“, sondern achte darauf, sie „emotional abzuholen“. In diesem öko-didaktischem Neusprech werden aus nüchternen Zahlen Begriffe wie „Sicherheit“, „Integrität“ oder „Unabhängigkeit“. In dieser schönen neuen Wachstumswelt kann man gerne zwei Geländewagen besitzen, wenn sie nur nicht allzu viel Kohlendioxid in die Luft blasen. In dieser grün-libertären Echokammer will man nichts von irgendwelchen Katastrophen hören, sondern von Möglichkeiten.

Ja, gut. Wenn es denn funktionieren würde …

Es ist nicht zu übersehen, dass der Zukunftsdiskurs in den letzten Jahren eine Wende ins Gefühlig-Plüschige vollzogen hat, und auch wenn ich mir darüber im Klaren bin, dass es keinen Sinn hat, diesen Diskurs lediglich in einem winzigen Kreis von „true believers“ zu führen, habe ich doch große Zweifel daran, ob auf diese Weise das Notwendige und Rationale – nämlich das massive Drosseln, ja, das Abschalten der Megamaschine – erreicht werden kann, jedenfalls nicht in dem Zeitfenster, das noch zur Verfügung steht. Denn wenn wir von Generation zu Generation die Botschaft weitergeben, dass unsere Art zu wirtschaften die einzig Mögliche ist, dann ersticken wir jene Kreativitätspotentiale, die wir bitter benötigen, um das zu bewahren, was wirklich bewahrenswert ist: Rechtsstaat, soziale Ordnung, Frieden und ja: Wohlstand. Selbstverständlich ist unsere Art zu wirtschaften nicht die einzig Mögliche, tatsächlich ist sie nur wenige hundert Jahre alt, aber sie hat unsere „mentalen Infrastrukturen“ (eine ziemlich geniale Wortpaarung von Harald Welzer) so einzementiert, dass der Erneuerungsprozess laut dröhnend um sich selbst kreist. Das glauben Sie nicht? Dann probieren Sie es doch einmal aus: Wie weit können Sie denken, bis Sie zu der Erkenntnis gelangen, dass man da eben nichts machen kann, sonst würde ja das „System“ zusammenbrechen?

Und so habe ich bei der Diskussion mit den Baseler Jugendlichen kurz überlegt, was eigentlich geschehen würde, wenn ich ihnen einfach das erkläre, was Hannah Arendt als „tatsächliche Wirklichkeit“ bezeichnet hat: das, was jenseits all des Lärms aus Meinungen und Meinungen über Meinungen eigentlich geschieht; das, worauf es eigentlich ankommt. Dass von der Natur, die noch ihre Großväter kannten, bald nichts mehr übrig sein wird. Dass eine um ein oder zwei Grad erhöhte globale Mitteltemperatur nicht nur „wärmer“ heißt, sondern vor allem: instabiler, dysfunktionaler. Dass nicht wenige Menschen auf dem Planeten infolge der jetzt schon veränderten Temperatur aussortiert werden. Dass die Erwachsenen, die über die Geschicke des Planeten bestimmen, keine großartige Zukunft für ihre Kinder und Enkel im Sinn haben, sondern eine großartige Gegenwart für sich selbst. Dass diejenigen, die nicht müde werden, andere als Ideologen zu brandmarken, selbst die größten Ideologen sind. Dass die Katastrophe kein Ereignis in der Zukunft ist, sondern der Zustand, in dem wir uns eingerichtet haben. Dass es, ceterum censeo, für jene, die zu Beginn des 21. Jahrhunderts geboren wurden, letztlich um diese eine Aufgabe geht: das „System“ zu kompostieren und zu überwinden. Nun, hätte ich das alles gesagt, wären die Jugendlichen vermutlich leicht erschrocken von dannen gezogen, und womöglich hätten mich später die Beschwerden einiger Eltern erreicht, man möge doch ihren Nachwuchs nicht derart politisieren, aber das wäre es wert gewesen.

Doch ich war ja in Basel, dieser friedlichen, gemütlichen Stadt voller Museen und Biosupermärkte und Lebensqualität, und die Sonne schien, und alle waren so nett zu mir, und ich sah in die leuchtenden Augen einer Generation, die von den Abgründen der Menschheit noch nicht viel gehört hat – und so ließ ich es bleiben. Es war, wenn man so will, ein Akt der emotionalen Vernunft.

Und ein Akt der Feigheit.
 

Sascha Mamczaks Buch „Die Zukunft – Eine Einführung“ ist im Shop erhältlich. Alle Kolumnen von Sascha Mamczak finden Sie hier

Kommentare

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.
Sie benötigen einen Webbrowser mit aktiviertem JavaScript um alle Features dieser Seite nutzen zu können.