14. August 2012 1 Likes 1

Elegie des Weltuntergangs

„Melancholia“ von Lars von Trier

Lesezeit: 5 min.

Nazi-Kontroverse hin oder her – Lars von Trier ist und bleibt einer der letzten großen Filmautoren traditioneller Truffaut’scher De­finition. Jenseits kommerzieller Zwänge, eitler Gefallsucht und handwerklicher Einförmigkeit gibt es für den ungemütlichen Dänen nur eine eigene Inspirationsquelle, und die heißt: Lars von Trier. Als klassischer Auteur beschäftigt er sich mit dem, was ihn bewegt, Referenzen auf das Werk anderer sind ausschließlich von eigenem Interesse motiviert, der Zusammenschluss mit Kollegen in der berühmt-berüchtigten Dogma-Bewegung war genau so lange spannend, bis deren Beschränkungen störten, seine Themen und Motive reflektieren seine protestantisch geprägten Obses­sionen. Dabei bedient er sich konsequent der genuinen künstle­rischen Ausdrucksmittel des Kinos, beherrscht die Technik der caméra-stylo eines erkennbaren individuellen Stils fast ebenso gut wie sein großes Vorbild Tarkovsky – und bewegt sich auf dem Terrain des künstlerischen Einzelstücks ebenso souverän wie auf dem der Aneignung verschiedenster Genres.

Ob Musical (Dancer In The Dark), Brecht’sches dialektisches Theater (Dogville) oder Mystery-Thriller (Geister – Meisterwerk!) – gerade im Spannungsfeld zwischen Autorenfilm und Genrekino entfalten sich die Qualitäten dieses außergewöhnlichen Regisseurs zu voller Blüte. Dabei setzt er zunehmend auf internationale Besetzungen, inkorporiert Holly­wood-Stars, isländische und französische Sängerinnen ebenso wie arrivierte Schauspieler aus seiner skandinavischen Heimat – eine Casting-Strategie, die seinen Filmen zunehmend transnationalen, allegorischen Charakter verleiht. Dass im Mittelpunkt seiner Werke zumeist Frauenfiguren stehen, denen schlimme Dinge widerfahren, kann man kritisieren, der Vorwurf der Mysogynie greift jedoch zu kurz; dafür fehlt von Trier einfach der Gestus des lustvollen Herabwürdigens, der beispielsweise einige Werke von Neil La Bute durchdringt. Man muss das einfach als eine ganz spezielle thematische Obsession des Regisseurs sehen und sich der Sache filmkritisch nähern, denn schließlich handelt es sich hier in den allermeisten Fällen um ästhetische Entscheidungen, nicht um ideologische.

Melancholia ist nun ein weiteres Beispiel für die ganz spezifische Nutzbarmachung eines klassischen Genres für eine ganz individuelle künstlerische Aussage. Am Anfang steht eine gängige Prämisse der Science Fiction: Ein riesiger unbekannter Planet nähert sich der Erde. Die Wissenschaftler der Welt sind sich uneinig: Wird Melancholia, so der Name des Giganten, lediglich vorbeiziehen oder durch einen Frontalaufprall das Ende der Welt besiegeln? Vor dem Hintergrund dieses Szenarios, das lediglich am Rande nach und nach enthüllt wird, zeigt der Film die Ereignisse rund um ein desaströses Hochzeitsfest auf einem örtlich nicht näher bestimmten herrschaftlichen Landsitz. Die Braut Justine (Kirsten Dunst) bringt durch ihr erratisches Verhalten immer wieder Unruhe in die sowieso schon nicht besonders rund laufende Feier – am Ende verlässt ihr Bräutigam das Fest und wird nicht mehr zurückkehren.

Das ist Kapitel 1. In Kapitel 2 verlagert sich der Schwerpunkt der Betrachtung auf Justines Schwester Claire (Charlotte Gainsbourg). In den Tagen nach der gründlich missglückten Feier umsorgt sie die schwer depressive Justine, und wird dabei von ihrem Mann John (Kiefer Sutherland) eher behindert als unterstützt. Neben dieser Aufgabe, die sie mit Hingabe bewältigt, entwickelt sie eine von krankhafter Angst geprägte Obsession für das Herannahen des potenziell todbringenden Planeten. Alle Beschwichtigungsversuche des Hobby-Astronomen John fruchten nur kurz, danach setzt die Panik massiv wieder ein. Und erweist sich am Ende als begründet, denn tatsächlich lässt von Trier schließlich die Welt untergehen.

Vor einigen Jahren erkrankte der Regisseur an einer schweren Depression. Das erste künstlerische Resultat dieses psychischen Ausnahmezustandes, Antichrist, beschäftigte sich ganz explizit mit der gefühlten Unvereinbarkeit von individueller Extremerfahrung und objektiver Betrachtung und Behandlung durch Psychologie und Therapie vor dem Hintergrund eines diffusen Wald­horrors. In Melancholia nutzt Lars von Trier nun die gewählten SF-Topoi, um das Wesen der erlittenen Krankheit ganz unabhängig von medizinischen Heilsversprechen zu erkunden und deutlich zu machen. Und genau hier liegt die große Stärke des Films als Autorenwerk – in der spezifischen Verbindung persönlicher Erfahrung und genuiner künstlerischer Verarbeitung. Klar zweigeteilt zeigt der Film zwei psychische Krankheiten, die oft zusammengehören, aber laut internationaler Diagnoseklassifikation ICD-10 getrennte Zustände darstellen: Depression und Angst.

Justine ist die Depressive – und so widmet sich der erste Teil des Films mit großer Leidenschaft der Darstellung der Welt als ekelhafte Ansammlung schauriger Charaktere und Situationen, vor denen man sich eigentlich nur ekeln kann. Justine schwankt zwischen Gefühlen großer Trauer und Leere, kann sich ihrem Bräutigam nicht öffnen, gibt sich auf dem Golfplatz bedeutungslosem Sex mit einem Hochzeitsgast hin, verstört die Gesellschaft mit ihren Ausfällen. Klar, dass das Herannahen der Apokalypse sie neugierig macht – für sie bedeutet Melancholia die potenzielle Erfüllung ihrer Todessehnsucht und das Ende ihres Weltekels. Und damit auch die Lust am Leiden – der Planet heißt nicht umsonst so, wie er heißt.

Claire dagegen verkörpert die Angst. Der ewige Kreislauf aus Grübeln, Katastrophendenken, pathologischen Beruhigungsstrategien und Panikattacken bestimmt ihr Handeln. Sie betrachtet den fremden Planeten als tödliche Bedrohung, der sie sich nicht gewachsen sieht, und reagiert mit den klassischen Symptomen einer generalisierten Angststörung. Von Trier zeigt anhand der beiden Schwestern, wie Depression und Angst zusammenhängen, in welchen Punkten sie sich ähneln, wo sie sich unterscheiden – aus seiner persönlichen Erfahrung heraus entwickelt er eine Studie des psychischen Grauens, dem er einen externen Auslöser gibt, der sich wiederum aus Genrekonventionen speist. Insofern ist Melancholia ein perfektes Beispiel für das, was die französischen Kritiker der Cahiers du Cinéma als Ideal des Autorenkinos postulierten.

Dass dabei kein bleischweres Traktat entsteht, sondern ein wunderschönes Stück Kino mit sichtbarer Lust an der Zerstörung, liegt vor allem daran, dass von Trier sich so weit von den eigenen Dogma-Restriktionen entfernt wie selten zuvor. Vor allem der Prolog, eine in Superzeitlupe inszenierte und schwer bearbeitete Vision der späteren Ereignisse, erstrahlt zu Wagnerklängen in unfassbar slicker Werbeästhetik – in dieser Sequenz scheinen die bewegten Bilder fast stillzustehen und verwandeln sich in malerisch-barocke Tableaus des Surrealen.

Doch auch das, was dann folgt, ist trotz der oft eingesetzten typischen Handkamera stets erstklassig ausgeleuchtet und vor allem ganz klar inszeniert. Die Kamera entfernt sich dabei immer wieder von den Figuren, erhebt sich über das Szenario, schwebt über den reitenden Schwestern oder den dräuenden Wäldern. Auch Kirsten Dunst und Charlotte Gainsbourg sind wunderbar anzusehen in ihrem Leid. Und tatsächlich bemängelte von Trier in diversen Interviews nachträglich die Schönheit des Films als vielleicht ein wenig übertrieben (andererseits bezeichnete er sich in denselben Interviews als Nazi, also alles Quatsch). Auch die für von Trier typischen Momente schräger Komik finden sich hier wieder und sorgen dafür, dass das alles trotz der harten Thematik einfach wahnsinnig unterhaltsam ist. Und wenn am Ende die Depressive im Angesicht der globalen Auslöschung zum ersten Mal die totale Erleichterung erfährt, während die Angstgestörte Rotz und Wasser heult, dann wird ein für alle Mal geklärt: Wer zuletzt lacht, lacht am besten. Guter Film.

Melancholia • DK/D/S/F 2011 · Regie: Lars von Trier · Darsteller: Kirsten Dunst, Charlotte Gainsbourg, Kiefer Sutherland, John Hurt, Charlotte Rampling, Alexander Skarsgård

Kommentare

Bild des Benutzers Uwe Neuhold

Auch ich fand den Film zwar optisch wirklich sehr schön gemacht, was mir aber überhaupt nicht gefiel, ist seine wissenschaftsfeindliche Prämisse: Der Astronom ist der Böse und die Wissenschaft belügt uns, während die "spirituelle" Protagonistin die Gute ist und "einfach spürt", dass der Planet die Erde treffen wird. Da von Trier ihr am Ende recht gibt, vermittelt er (evtl. unbeabsichtigt) eine Abkehr von der Wissenschaft im 21. Jahrhundert und stattdessen eine Rückwendung zu mittelalterlichen Glaubenswelten.

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