31. Oktober 2014

Kunst des Schunds

Stephen Throwers B-Film-Bibel „Nightmare USA“

Lesezeit: 3 min.

Horrorfilme kann eigentlich nur lieben, wer – wenigstens hin und wieder – abseits, in bisweilen tieferen Regionen gesetzte Ansprüche pflegt und dem Schmutzigen, Ramschigen und Mehr-gewollt-als-Gekonntem Liebe entgegenzubringen vermag. Die Liste der unhintergehbaren, verbindlich und allgemein vorzeigbaren Meisterwerke des Genres ist kurz; in der deutlichen Mehrheit sind Filme, deren Mängel und Mutwilligkeiten nur ein liebender (und vielleicht auch: geschulter) Blick zu übersehen imstande ist. Oder andersrum: Kleine schäbige Horrorfilme sind nicht selten Exponate einer Kunst am Werk, die fürs Blicken sensibilisiert und sowohl ästhetische Konventionen als auch Publikumserwartungen und -skepsis mit einer Dreistigkeit und Ehrlichkeit suspendiert, die einen darauf stößt, wie unfrei und verlogen Mainstream-Filmemacherei oft daherkommt. „Horrorfilme sind B-Filme, Exploitation-Filme, Schundfilme, vergessene Werke, Kultfilme. Horrorfilme scheinen aus dunklen Nebengassen zu kommen, die schwer einzusehen sind. In Nebengassen gibt es keine so große Kontrolle, keine Ausgewogenheit; dort herrscht Freiheit, aber auch Willkür.“ (Hans Schifferle)


Das Horrorfilmpublikum besteht daher zu einem erheblichen Teil nicht aus Freizeitfilmeguckern, sondern aus Aficionados, und diejenigen, die sich nicht nur rezeptiv, sondern produktiv auch durch die abgelegensten und allerdunkelsten Nebengassen bewegen, forschen oft tiefer, weiter und leidenschaftlicher als die Exegeten kulturell konsensfähiger Objekte. Ein solcher Berg an dank seiner Abseitigkeit umso horizonterweiternden Wissens und eines der schlicht besten Filmbücher des Universums ist Stephen Throwers „Nightmare USA“, eine kiloschwere und prachtbandformatige Studie zum guten bzw. mindestens sehenswerten unabhängigen amerikanischen Schundfilm von 1970 bis 1985. Das Buch erschien erstmals 2007, war zügig und lange vergriffen und ist nun – so man sich sputet – in einer auf 250 Exemplare limitierten, von einem vom Autor signierten und nummerierten Poster begleiteten Neuauflage wieder greifbar.

Es kostete Thrower (wer es fürs Erste kürzer mag, kann sich seine Obsessionen in einem dreiteiligen Interview sechs Jahre Arbeit, deren Früchte auch die fanatischsten Connaisseure auf die Probe stellen dürften. Klar, auch mehr oder weniger legendäres Zeug wie Frank Henenlotters „Basket Case“ (1981), Herschell Gordon Lewis‘ „The Gore Gore Girls“ (1972) oder Tobe Hoopers „The Texas Chain Saw Massacre“ (1974) wird berücksichtigt bzw. (ausführlich) besprochen. Aber „The Deadly Spawn“, „Screams of a Winter Night“, „The Strangeness“, „Messiah of Evil“ oder Regisseure wie Frederick Friedel, Tony Malanowski oder Fredric Hobbs muss man nun wirklich erst mal kennen. Man kann Stichproben nehmen, wo man will: Es gibt nichts, was sich nicht lohnt.

Natürlich erhöhen Throwers Ausführungen und der O-Ton der zahlreichen Interviewten den jeweiligen Filmgenuss erheblich, aber keiner der unzähligen erwähnten Filme wird umsonst (oder lediglich aus dem einzigen Grund schierer Abseitig- und Ballerigkeit) erwähnt. Mehr über Film und die Leidenschaft für Film kann ein (selbstverständlich auch mit Bildmaterial prall gefülltes) Buch nicht lehren. Und man muss nicht einmal ein Horrorfilmliebhaber sein – abgesehen davon, dass die prinzipielle Irrelevanz von Genregrenzen keine unwichtige Rolle spielt; natürlich wimmelt es von weicher Science-Fiction, vornehmlich malerischen Invasoren aus dem Weltall –, um sich mit reichlich Lust und Gewinn in die bizarre und wundervolle Welt preiswert, windschief und herz- und heißblütig zusammengezimmerter amerikanischer Leinwand-Alpträume hineinbegeben zu können. Mit diesem atemberaubenden Ungetüm kann eigentlich nur Tim Lucas‘ gleichfalls zum Low-Budget-Monsterköpfe-Plattschlagen taugliche Mario-Bava-Monografie All the Colors of the Dark konkurrieren.

Stephen Thrower: Nightmare USA. The Untold Story of the Exploitation Independents · FAB Press, Surrey 2007/2014 · 530 Seiten · £ 39,99

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