9. November 2014 2 Likes

Der richtige Doktor zur richtigen Zeit

Die Verbindung zwischen den britischen Kulthelden Doctor Who und Sherlock Holmes

Lesezeit: 4 min.

Man braucht keinen Meisterdetektiv, um zu erkennen, dass es zwischen den Fanlagern des viktorianischen Ermittlers Sherlock Holmes und des durch Zeit und Raum reisenden Doctor Who (bzw. der Science-Fiction und der Fantastik im Allgemeinen) heute eine relativ große Schnittmenge gibt. Gerade die moderne Holmes-Serien-Variante Sherlock der BBC hat oft dieselben Zuschauer wie der BBC-Dauerbrenner Doctor Who, während Sherlock-Hauptdarsteller Benedict Cumberbatch im zweiten neuen Star Trek‑Film sogar der dominante Faktor war und ohne Sherlock vermutlich nicht an die Rolle gekommen wäre (und den Drachen Smaug in der Hobbit-Verfilmung mit seinem Serien-Watson und Film-Arthur-Dent Martin Freeman hätte er dann wohl auch nicht gegeben).

Mögliche Gründe, wieso die Kluft zwischen Science-Fiction und Krimi – zwischen Doctor Who und Sherlock Holmes – in vielen Fällen mühelos überbrückt wird, gibt es einige: Der britische Charme und Schick, der sowohl die Geschichten von Doktor Watson als auch um Doctor Who durchsetzt. Darüber hinaus geht es jeweils um einen kühlen, rationalen Protagonisten mit sympathischem Sidekick, der den Helden trotz dessen Ausnahmestellung als rationales Genie in den richtigen Momenten menschlich macht. Dazu kommen spannende, ungewöhnliche, abwechslungsreiche Abenteuer und Fälle, egal ob im viktorianischen beziehungsweise gegenwärtigen London oder in fremden und fernen Science-Fiction-Welten.

Und nicht nur bei den Fans gibt es Überschneidungen, sondern auch bei den Machern. Als prominentestes und einflussreichstes zeitgenössisches Beispiel steht Steven Moffat an oberster Stelle: Der Mitschöpfer von Sherlock gewann schon 2005 einen Hugo Award für eine von ihm geschriebene Folge Doctor Who, ehe er die SF-Kultserie inzwischen als Produzent und Showrunner übernommen hat.

Außerdem existieren seit geraumer Zeit zahlreiche Pastiches, in denen sich Holmes und Watson mit Elementen aus den Genres Science-Fiction, Horror und Fantasy befassen müssen. Isaac Asimov gab 1986 die Anthologie „Mit Sherlock Holmes durch Zeit und Raum“ heraus, mit Storys von u. a. Poul Anderson, Gordon R. Dickson, Gene Wolfe und Fred Saberhagen. Esther Friesner schuf mit „Druidenblut“ 1988 einen wunderbaren Alternativweltroman um ein magisches England. Roger Zelazny schrieb 1993 den witzigen Genre-Mix „Clan der Magier“, in dem auch Holmes und Watson mitmischen. SF-Veteran Mike Resnick stellte mit Martin Greenberg 1995 die SF-Sammlung „Sherlock Holmes in Orbit“ zusammen, derweil Michael Reaves und John Pelan als Herausgeber 2003 „Schatten über Baker Street“ präsentierten, eine Anthologie, in der die Welten von Sir Arthur Conan Doyle und H. P. Lovecraft vermischt wurden – Neil Gaimans Story „Eine Studie in Smaragdgrün“ aus dem Band gewann 2004 den Hugo Award. Nicht zu vergessen, welchen Einfluss Fantastik-Titan Philip José Farmer mit seinem Crossover-Konzept des Wold Newton Universums, zu dem auch Sherlock Holmes gehört, auf die Genre-Literatur hatte und immer noch hat.

Ein weiterer Kreativer, den man aktuell in den Dunstkreisen von Dr. Watson und Doctor Who antrifft, ist der britische Autor George Mann. Dieser hat neben seinen Steampunk-Krimis „Affinity Bridge“ und „Osiris Ritual“, die in einer viktorianischen Welt spielen und sich um das Ermittlergespann Newbury und Hobbes drehen, auch schon Bücher und Hörspiele zum Serien-Universum von Doctor Who verfasst. Während Anfang 2015 erstmals einer seiner SF-Romane mit dem Doktor und der TARDIS auf Deutsch veröffentlicht wird, erschien gerade Manns erster Sherlock-Holmes-Roman „Der Wille des Toten“ in deutscher Übersetzung (mittlerweile fungierte Mann sogar als Herausgeber einer englischsprachigen Anthologie mit neuen klassischen Fällen des Detektivs, und im August erschien auf Englisch Manns nächster Holmes-Pastiche in Romanlänge).

In „Der Wille des Toten“ trifft der Engländer den Ton, den ein Sherlock-Holmes-Pastiche braucht, meistens ziemlich gut, wenn er Doktor Watson nicht gerade einen Verletzten auf einen Arzt warten oder Holmes das Kokain während eines Falles nehmen lässt. Schade und unnötig eigentlich, dass Mann mit der von ihm ersonnenen Figur des Inspektor Charles Bainbridge (eigentlich einem Charakter aus seiner Newbury-and-Hobbes-Steampunk-Serie, zu der es hinten im Holmes-Band noch eine Kurzgeschichte gibt) einen weiteren Ich-Erzähler ins Spiel bringt und zwischendurch auch noch ein paar andere Erzähler zu Wort kommen lässt. Das hätte Manns Dr. Watson als versierter Federführer nicht gebraucht. Davon abgesehen, gibt es selbst in George Manns klassischem, kurweiligen Fall um ein verschwundenes Testament und zu viele Erben einen Hauch von Science Fiction und Steampunk, da im Subplot des Romans unter anderem ein Quartett dampfbetriebener Eisenmänner, die in der Hauptstadt des Empires Raubüberfälle verüben, eine Rolle spielen.

Den Fans von Sherlock Holmes und Doctor Who wird diese Mischung sicher ein weiteres Mal gut gefallen – und näher kommen sich die beiden Welten vorerst leider eh nicht.

Der eben schon erwähnte Steven Moffat würde „seine“ beiden TV-Serien zwar sehr gerne in einer Crossover-Episode von Sherlock und Doctor Who zusammenprallen lassen, doch passt das nicht zum Zeitplan der vielbeschäftigten Hauptdarsteller. Moffats kreativer Kompagnon Mark Gatiss mag überdies Recht haben, wenn er den vielen auf ein Crossover hoffenden Fans da draußen sagt, dass das Treffen der beiden Monster-Egos in der Vorstellung wahrscheinlich ohnehin am schönsten ist und am besten funktioniert.

Vergnügen und begnügen wir uns vorerst also mit den elementaren „Überschneidungen im Geiste“, die uns Macher und Schöpfer aus beiden Lagern kredenzen.

Unser Autor Christian Endres hat den Meisterdetektiv selbst schon mehr als einmal mit der Fantastik kombiniert – u. a. in seiner mit dem Deutschen Phantastik Preis ausgezeichneten Storysammlung „Sherlock Holmes und das Uhrwerk des Todes“. 2015 erscheint sein Alternativwelt-Roman „Sherlock Holmes und die tanzenden Drachen.“

George Mann: Sherlock Holmes – Der Wille des Toten • Panini, Stuttgart 2014 • 288 Seiten • € 12,99

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