27. Dezember 2015 2 Likes

Konföderation am Scheideweg

Sylvain Runbergs Serie „Orbital“ befasst sich mit dem Zeitalter der intergalaktischen Politik

Lesezeit: 4 min.

Der 4. Mai 2278 sollte zu einem ganz besonderen für die Menschheit werden. In Prag wollte die Weltbevölkerung darüber abstimmen, ob die Menschen der Konföderation, einem Galaxien umspannenden Verbund von bis dato 781 Mitgliedern, beitreten sollten. Das Referendum endete jedoch in einer Tragödie. Gleich zu Beginn der Versammlung legten radikale Gegner des Beitritts, die Isolationisten, den Veranstaltungsort in Schutt und Asche und töteten dabei tausende Unschuldige.

Schon die ersten Seiten von Sylvain Runbergs fünfter Comicserie zeigen, was die Leserschaft von „Orbital“ erwarten kann. Actionreiche Szenen kommen in der Geschichte genauso vor wie politische Intrigen. Das Attentat vom Anfang bleibt eines der Schlüsselmomente, die das Leben der Protagonisten nachhaltig prägen. Ein weiterer ereignete sich zwei Jahre später, als die Erdlinge längst Mitglied der Konföderation waren. Nach einem Machtwechsel gingen isolationistische Politiker interstellaren Kolonisationsplänen nach und dazu über, mit Hilfe der von Aliens zum Wohle der Menschheit und des Planeten bereitgestellten Technologien gegen die Sandjaren in den Krieg zu ziehen. Der darauf folgende Genozid brandmarkte die Menschen endgültig als eine wankelmütige, egoistische und gewaltbereite Spezies, die nicht zum verlässlichen Alliierten geeignet ist. Hohe Posten im System und auf der namensgebenden Station Orbital bleiben ihnen deshalb verwehrt.

Besonders betroffen von den Nachwirkungen jenes Krieges sind Kaleb Swaney und Mezoke Izzua. Kaleb ist der erste Mensch, der es in die IDA (Interweltliche Diplomatische Abteilung) schafft. Seine Eltern waren Befürworter eines Beitritts und starben an jenem Tag in Prag. Zusammen mit der Sandjarin Mezoke bildet er ein Agenten-Binom, das Krisen und Konflikte friedlich beilegen soll, bevor daraus ein Krieg entsteht. Doch Friede und Versöhnung erweisen sich schnell als höhere Ziele, die in einem von Machthunger, Ränkespielen und Xenophobie befallenen Verbund kaum noch zu realisieren sind. Und so wird das aus ideologischen Hoffnungen geformte Duo sehr schnell zu Schachfiguren in einem großen Spiel, das schließlich zu einem Ende der Konföderation führen könnte.

Mit „Orbital 1: Brüche“  legte der Bielefelder Splitter-Verlag 2007 den ersten Comic des Belgiers Runberg vor. Der studierte Historiker erkannte erst mit 30 Jahren sein Talent als Geschichtenerzähler und hat sich seitdem in fast jedem Genre ausgetobt. Sci-Fi Epen wie „Orbital“ oder „Warship Jolly Roger“ gehören genauso zu seinem Repertoire wie Fantasy-Titel à la „Kongunar“ und „Reconquista“. In „Weiße Felder“ widmete er sich dem Comicbetrieb, und die französische Version von Stieg Larssons Bestseller „Millenium“ durfte er ebenfalls texten. Sie liegt, wie auch alle anderen genannten Titel, bei Splitter auf Deutsch vor. Der Franzose Serge Pellé hatte schon vor „Orbital“ Erfahrungen als Comiczeichner gemacht. Unter dem Pseudonym Torgnoll kolorierte er den ersten Band von „Ley cylce de Golden Tiger“ und war als Szenerist und Zeichner für „Le grand Chambardement“ zuständig. Ansonsten fühlt er sich in der Trickfilm- und Computerspielebranche zuhause. Neben der Hauptserie „Orbital“ gibt es noch das Spin-Off „Orbital. Aufzeichnungen 1: Erste Begegnungen“, das den Hintergrund einiger Figuren aus dem Universum beleuchtet und von diversen Zeichnern in Szene gesetzt wurde.

Inzwischen liegt mit „Orbital 3.2: Widerstand“ der Abschlussband zum dritten Abenteuer von Kaleb und Mezoke vor, die nicht mehr als Hoffnungsträger sondern als Staatsfeinde angesehen werden. Im Laufe ihrer Missionen haben sie einen tiefen Einblick in die zerrissene Gemeinschaft erhalten. Xenophobie, Terrorismus, Rassismus und Ideologien sind allerorts präsent und lassen eine Geschichte aus der Zukunft äußerst aktuell erscheinen. Neben den politischen Faktoren und Problemen, entwirft die frankobelgische Kreativ-Combo aber auch einen faszinierenden Blick auf das 23. Jahrhundert und den möglichen (?) technologischen Fortschritt. Mit detaillierten Erklärungen darf allerdings nicht gerechnet werden, zumal außerirdische Technik im Mittelpunkt steht, die fernab irdischer Entwicklungen existiert und somit als gegeben angesehen wird. Der „sense of wonder“ ist dennoch sehr groß und entführt Leserinnen und Leser in faszinierend fantastische Welten jenseits des blauen Planeten. Es ist dabei Pellés Zeichnungen und Kolorationen zu verdanken, dass z. B. das Leben auf dem Mond Senestam trostlos und unwirtlich erscheint, andere Regionen der Galaxie jedoch warm und freundlich wirken. Die ein oder andere wuselige Stadtszene erinnert hingegen an Moebius‘ „The Long Tommorow“ (oder dem Äquivalent in „Das fünfte Element“).

Neben Orbital, dem Machtzentrum und der Verteilerstation, die mit Hilfe ihrer Portale den Zugang zu weit entfernten Planeten ermöglicht, ist das von der Berlinerin Nina Liebert gesteuerte und nach dem AC/DC-Gitarristen Angus Young benannte Raumschiff Angus das zweite SF-Highlight der Serie. Angus ist ein Nevronom, ein lebender Organismus, der mit seiner Pilotin quasi symbiotisch verbunden ist. Welche Macht diese von der Konföderation verbannten und teilweise zerstörten Schiffe haben, wird mehrmals eindeutig beschrieben und machen Angus zu einem vollwertigen, wenn auch mit Vorsicht zu genießenden Protagonisten.

Sylvain Runbergs Serie „Orbital“ bietet in den bisher erschienenen fünf Bänden exzellente Unterhaltung für SF-Enthusiasten, die ein Faible für actiongeladene und mit politischen Themen gespickte Stories haben. Zusammen mit seinem Zeichner Serge Pellé hat der Belgier eine spannende Geschichte rund um Vorurteile und Größenwahn geschrieben, die am Stück gelesen eine ideale Lektüre für herbstliche Wintertage ist.

Sylvain Runberg, Serge Pellé: Orbital • Aus dem Französischen von Tanja Krämling • Splitter, Bielefeld, 2007-2015 •  je 48-112 Seiten • zwischen 13,80 € und 22,80 €

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