4. April 2016 3 Likes

Offline in der britischen Twilight Zone

DBC Pierres Roman „Frühstück mit den Borgias“

Lesezeit: 3 min.

Sein Debütroman „Jesus von Texas“ brachte dem in Australien geborenen, in Mexiko aufgewachsenen und heute in Irland lebenden DBC Pierre unter anderem den Booker Prize ein und war richtig starker, aber auch richtig bitterer Kaffee ohne jeden Zucker. Ein Buch für alle, die sehen wollen, wie der aus genug Romanen und Filmen bekannte amerikanische Junge – sinngemäß – von einem lachenden Michael Moore vom Fahrrad geschubst und ordentlich vermöbelt wird. DBC Pierres zweites Buch „Bunny und Blair“ war dann ein unfassbar sperriger und kaum zugänglicher Roman über zwei frisch getrennte siamesische Zwillinge und ein geplagtes russisches Mädchen. Dem folgte „Das Buch Gabriel“ alias „Licht aus im Wunderland“, eine bissige Satire auf den Überfluss und die Dekadenz der Konsumgesellschaft, die als irrer Trip bis nach Berlin führte. Nun ist DBC Pierres neuester Roman bei Aufbaus Blumenbar-Imprint in der Übersetzung von Max Stadler als „Frühstück mit den Borgias“ endlich auf Deutsch erschienen.

Ariel Panek, passionierter Kapuzenträger und Smartphone-User, ist ein dreißigjähriger Professor für Computerwissenschaften an der Boston University. Der in Polen geborene Mathematiker und Experte für künstliche Intelligenz hat sein erwachsenes Leben sinngemäß in Datenträgern und Chatprotokollen abgepackt und glaubt fest an die posthumane Zukunft, was ihn für seine Studentin Zeva mächtig attraktiv macht. Die beiden wollen sich auf einem Informatik-Kongress in Amsterdam ein paar schöne Tage machen, reisen der Natur ihrer heiklen Beziehung halber jedoch getrennt an. Als Zeva in Amsterdam längst nervös auf Ariel wartet, strandet der in England in einem alten Hotel an der Küste von Suffolk.

Das Hotel The Cliffs entpuppt sich als merkwürdiger Ort mit launischem bis nicht vorhandenem Handy-Empfang, ohne Internet-Anschluss, mit seltsamen Angestellten und einer noch seltsameren Familie, die schon länger als ein paar Tage in der betagten Pension zu Gast ist. Mit den schrägen Vögeln der Mehr-Generationen-Sippe erlebt der gestresste Ariel im Salon eine surreal kameradschaftliche Nacht voller Höhen und Tiefen, in deren Verlauf über Quantenphysik und Alternativwelten genauso gesprochen wird wie über das kaputte Problemkind der Familie. Am Morgen allerdings schlägt in Form einer albtraumhaft unlogischen Entwicklung das Grauen zu, dem der in Systemen, Summen und Algorithmen denkende Ariel kaum etwas entgegen zu setzen hat. Doch es wird noch schlimmer …

In seinem schmalen Roman, der formal viel von einer guten Novelle hat, rechnet DBC Pierre zunächst mit dem digitalen Zeitgeist und denen ab, die ohne Smartphone nicht mehr leben können – die allein durch ihr Smartphone leben und lieben und sich, wie Ariel, in allen möglichen Situationen hinter ihrem Gerät-für-alle-Lebenslagen zu verstecken pflegen. Die Hiebe in diese Richtung, die in eine äußerst gefällige Schreibe gekleidet sind, sitzen. Gleichzeitig herrscht eine köstlich verschrobene Stimmung im Cliffs, die den Leser geschwind in die Zimmer und Gänge des Hotels zieht. Umso erstaunlicher ist es, wie sich „Frühstück mit den Borgias“ nach dem skurrilen ersten Akt erst zu einem beunruhigenden, verstörenden Krimi wandelt und schließlich sogar mitten in der Twilight Zone landet.

Eine gewaltige Überraschung, die dieses außergewöhnliche Büchlein noch interessanter und denkwürdiger macht.

DBC Pierre: Frühstück mit den Borgias • Aufbau/Blumenbar, Berlin 2016 • 221 Seiten • Hardcover: 18,00 Euro

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